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# taz.de -- Deutschland vor der Rezession: Der Klimaschutz soll Märkte retten
> Die Wirtschaft in der Eurozone steht vor einem Einbruch. Ein Ausweg wäre
> die Flucht nach vorn: ein Konjunkturprogramm für mehr Ökologie.
Bild: Hüllen für Glasfaserkabel: Investitionen in die Infrastruktur wären do…
Berlin taz | Würden Sie Matteo Salvini Geld leihen? Dem xenophoben Chef der
italienischen Lega, der bald vom Innenminister zum Regierungschef
aufsteigen könnte?
Ein Blick auf den Kurs zehnjähriger italienischer Staatsanleihen zeigt,
dass es ziemlich viele Investoren gibt, die obige Frage derzeit mit Ja
beantworten. Was man daran sieht, dass Italien nur 1,6 Prozent Zinsen
zahlen muss, wenn es sich an den Finanzmärkten für zehn Jahre Geld borgen
will. Das ist, trotz eines kürzlichen Anstiegs wegen der Regierungskrise,
verdammt nah am Allzeittief. Trotz der Neuwahlen, die Salvini und seine
Lega gewinnen dürften. Dabei steht der Mann für alles, was Märkte hassen.
Wenig Wirtschaftskompetenz, Neigung zu exzessiven Ausgaben, um
populistische Wahlversprechen einzulösen. Und das in einem hoch
verschuldeten Land mit chronischer Wirtschaftsschwäche. Außerdem ständig
Zoff mit Brüssel wegen der Neuverschuldung. Diese Unruhe stört die
Wirtschaft empfindlich.
Grundsätzlich gibt es in der Eurozone derzeit keine oder kaum Zinsen. Wer
dem deutschen Fiskus zehn Jahre lang Geld pumpt, bekommt am Ende sogar
weniger, als er verliehen hat. Der Zinssatz: rekordniedrige minus 0,6
Prozent. Das liegt, natürlich, primär an den Nullzinsen der Europäischen
Zentralbank. Auch Italien profitiert vom Euro: Die Anleger gehen nämlich
davon aus, dass Europa Rom nicht pleitegehen lässt. Denn das wäre das Ende
des Euro.
Doch der Grund, warum sich derzeit viele Staaten sogar noch günstiger
verschulden können als ohnehin seit Jahren, liegt in Washington: Offenbar
wird die Angst vor einem Crash oder einem langfristigen Abwärtstrend der
Weltwirtschaft immer größer. Trumps Wirtschaftskrieg mit China, das scheint
der Welt zu dämmern, ist von Dauer. An den Märkten grassiert offenbar die
Angst, in einem Abschwung viel Geld zu verlieren, wenn man es Unternehmen
leiht oder in deren Aktien investiert. Weil die Billionen etwa aus den
Pensionsfonds aber irgendwo hinmüssen, wählen viele sichere Staatsanleihen:
Ein garantiert geringes, kalkulierbares Minus ist besser als das Risiko
eines hohen Verlusts. Wenn Salvini billig Geld bekommt, ist das also auch
ein Zeichen der weltweiten Angst.
## Deutliche Zeichen für eine Rezession
Die Financial Times schrieb am Montag gar von einem „Sommer der Furcht“. Am
Dienstag zeigten neue Zahlen des Center of Automotive Management in
Gladbach, dass der Autoabsatz im ersten Halbjahr weltweit um 4,6 Prozent
zurückging, deutsche Hersteller hatten noch die geringsten Einbrüche zu
verzeichnen. Laut Münchner ifo Institut hat sich das Weltwirtschaftsklima
stark eingetrübt. Am Mittwoch werden neue Zahlen zur Wirtschaftsleistung
in der Eurozone erwartet, wahrscheinlich wird sie leicht schrumpfen. „Wir
haben deutliche Zeichen dafür, dass wir in eine Rezession gleiten“, sagt
Claus Michelsen, Leiter der Abteilung Konjunkturpolitik am Deutschen
Institut für Wirtschaftsforschung.
Die Debatte, was dann prinzipiell zu tun wäre, ist in Deutschland
erstaunlich wenig polarisiert. Kaum einer der hiesigen Ökonomen bestreitet,
dass der Staat mehr investieren muss, wenn die Wirtschaft einbricht. Dann
kann er Arbeitsplätze mit Kurzarbeitergeld sichern oder die Nachfrage
ankurbeln, indem er Brücken sanieren lässt oder Glasfasernetze fördert.
(Disclaimer: Das gilt aber nur, wenn es um Deutschland geht. Dass andere
Staaten, etwa in Südeuropa, in Krisen zum Sparen gezwungen werden und
deshalb die Wirtschaft weiter einbricht, gilt vielen hierzulande als
absolut notwendig.) Die Frage ist nur: Wann springt er ein und darf er
dafür Schulden machen? Und vor allem: Was sind sinnvolle Ausgaben?
Die erste Frage beantwortet DIW-Mann Michelsen ganz einfach: Der Staat
sollte einspringen, um den Abwärtstrend zu stoppen, bevor er überhaupt
losgeht. „Ein großes Investitionsprogramm wäre ein gutes Signal“, sagt er.
Damit ließe sich zwar nicht unmittelbar die Konjunktur stützen, solche
Programme brauchen, bis sie wirken. Aber psychologisch sei das ein Signal
für Unternehmen, zu investieren. Michelsen schwebt vor, das Geld in die
digitale Infrastruktur zu stecken, in neue Mobilität oder Gebäudesanierung.
Quasi zwei Fliegen mit einem Scheck schlagen: Krise bekämpfen und
Klimaschutz fördern. Ähnlich fordern das auch Grüne und SPD.
Kanzlerin Angela Merkel und CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer winkten bereits ab
– wegen der schwäbischen Hausfrau. Merkel begründete mit dieser
Formulierung einst die Schuldenbremse: Mit mehr als 0,35 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts darf sich der Bund demnach nicht verschulden.
Ausnahmen sind nur in einer „von der Normallage abweichenden
konjunkturellen Entwicklung“ erlaubt, wie es im Grundgesetz heißt. Nur weiß
niemand, wie das zu interpretieren ist. Den Fall gab es seit Einführung der
Schuldenbremse noch nicht. Ökonomen wie Michelsen fordern hier eine neue
Formulierung, um auch in normalen Zeiten mehr investieren zu können. Der
Präsident des Münchner ifo Instituts, Clemens Fuest, will die Regeln nicht
aufweichen. Er fürchtet, dass der Staat sonst in guten Zeiten wieder zu
viel Geld für Konsum ausgibt. Man könnte auch übersetzen: Wahlversprechen
finanziert.
Dass der Staat grundsätzlich Schulden machen kann, um antizyklisch, also
im Abschwung, zu investieren, bestreitet auch Fuest nicht. Hier treffen
sich die beiden Lager. Ebenso wie bei der Analyse, dass Deutschland
dringend Geld in die Zukunft stecken muss, in Klimaschutz,
Ladeinfrastruktur, Digitalisierung. Gerade das ließe sich in der
Niedrigzinsphase gut finanzieren, sagt nicht nur Michelsen.
14 Aug 2019
## AUTOREN
Ingo Arzt
## TAGS
Ökonomie
Wirtschaft
Rezession
Schwerpunkt Coronavirus
Krise der Demokratie
Schwerpunkt Klimawandel
Rezession
Spanien
Schuldenstreit
Eurozone
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