| # taz.de -- Vormarsch der Taliban: Die Diplomatie hat versagt | |
| > Die westlichen Regierungen kümmern sich um die eigenen Leute und | |
| > Ortskräfte. Nötig wäre ein konzertiertes Vorgehen gegenüber den Taliban | |
| > und Pakistan. | |
| Bild: Nur weg hier. Afghanische Flüchtlinge auf dem Flughafen von Kabul | |
| Das bisher vom Westen unterstützte Afghanistan ist auf eine Insel | |
| zusammengeschrumpft. [1][Die Taliban sind inzwischen fast kampflos in alle | |
| Großstädte außer Kabul und fast alle Provinzhauptstädte eingerückt]. Meist | |
| geschah das kampflos. Provinzgouverneure und ganze Armee-Regimenter ergaben | |
| sich den Taliban. Am Samstagabend wurde spekuliert, Präsident Aschraf Ghani | |
| würde noch am selben Tag seinen Rücktritt ankündigen. | |
| Das, so hieß es, würde im Gegenzug für eine Taliban-Waffenruhe und damit | |
| den Verzicht auf einen Sturm auf Kabul oder die Installierung einer | |
| Übergangsregierung erfolgen. Passiert ist es bisher nicht. Ghani sagte in | |
| einer kurzen Fernsehansprache, er bemühe sich, die Streitkräfte zur | |
| Verteidigung zu reaktivieren. Kaum etwas könnte weiter von der Wahrheit | |
| entfernt sein. | |
| Ghanis tagelanges Nichtauftauchen und seine jetzige [2][Ansprache] zeigen, | |
| wie isoliert, uninformiert und illusionsbehaftet der Präsident die Lage | |
| beurteilt. Ghani ist für seine Beratungsresistenz bekannt. Laut | |
| Informationen des US-Militärs sei nur noch ein Sechstel der ursprünglichen | |
| 300.000 Soldaten und Polizisten theoretisch einsetzbar. Stündlich werden es | |
| weniger. Ghani kann einem fast Leid tun, obwohl er große Mitverantwortung | |
| für die derzeitige Misere trägt. | |
| Aber wie sein Vorgänger [3][Karsai] wurde er von den USA ausgewählt, das | |
| Land zu führen – und später infolge von Misserfolgen, die Washingtons | |
| Kriegskurs verursachte und die man ihm qua Mitwirkung ankreiden konnte, | |
| erst „intern“ – aber für alle hörbar – diskreditiert und dann fallen | |
| gelassen. Insofern steht Ghani exemplarisch dafür, wie ihre westlichen | |
| „Partner“, Geber und Patrone Afghanistan und die Afghan:innen seit 2001 | |
| über weite Strecken behandelt haben. | |
| Nun geht es aber weniger um Ghani, sondern um die Zehntausenden von | |
| Menschen, die sogenannten Binnenvertriebenen, die sich nach Kabul | |
| durchgeschlagen haben und dort auf Straßen, in Parks und Moscheen | |
| kampieren, wenn sie nicht Unterschlupf bei Verwandten fanden. Was sich hier | |
| anbahnt, ist nicht nur eine humanitäre Katastrophe. Nicht zuletzt besteht | |
| aufgrund der [4][dritten Coronawelle] akute Ansteckungsgefahr für die | |
| Geflüchteten und ihre Gastgeber. | |
| Dass sich die westlichen Regierungen vor allem um die Evakuierung des | |
| eigenen Botschaftspersonals und mit etwas Glück auch der afghanischen | |
| Angestellten kümmern, zeigt das Versagen einer Diplomatie, die unfähig | |
| scheint, mehr als ein Problem zur gleichen Zeit zu lösen. | |
| Gleichzeitig wäre es dringend nötig, dass sich die USA, die EU-Staaten, | |
| Japan und andere Verbündete zusammentun und gegenüber den Taliban und ihrem | |
| Hauptunterstützer Pakistan intervenieren, den Krieg zu stoppen, doch noch | |
| Verhandlungen zuzustimmen und damit auch die humanitären Probleme | |
| Afghanistans erstmal zu entschärfen. | |
| 15 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Thomas Ruttig | |
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