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# taz.de -- Sieg der Taliban in Nord-Afghanistan: Drogen, Gold und flexible Fro…
> Afghanistans Norden haben die Taliban jetzt ohne großen Widerstand
> erobert – obwohl dort weniger Paschtunen leben und es dort früher viele
> Gegner gab.
Bild: Siegessicher: Ein Kontrollposten der Taliban am letzten Montag in Kundus
Berlin taz | Es erstaunt viele Beobachter, dass die gegenwärtige
[1][Offensive der Taliban] vor allem in Nordafghanistan erfolgreich ist.
Sieben von zehn Provinzhauptstädten, die sie seit vorigem Freitag in einer
beispiellosen Offensive zum Teil kampflos übernahmen, liegen in dieser
Großregion. In der war bis Ende Juni die Bundeswehr für das
Nato-Ausbildungsprogramm der afghanischen Streitkräfte verantwortlich. Dann
stahl sie sich am 29. Juni nachts davon, ohne die Afghanen zu informieren –
in der Furcht, sie könnte noch im letzten Moment von den Taliban
angegriffen werden.
Nordafghanistan reicht von der Grenze zu Turkmenistan im Westen bis nach
Badachschan im Osten, das an Tadschikistan und Pakistan grenzt. Ethnisch
dominiert wird es von Usbeken, Tadschiken und Turkmenen. Dazwischen leben
zahlreiche Minderheiten. Die größte sind die Paschtunen mit etwa 30
Prozent, die im Süden des Landes wie auch bei den Taliban die Mehrheit
bilden.
Die Region kam erst spät, Mitte des 19. Jahrhunderts, zu Afghanistan. Zuvor
war sie eher mit dem mittelasiatischen Staat Buchara verbunden, den die
Sowjetunion in den 1920er Jahren annektierte. Davor flohen Hunderttausende
weitere Tadschiken, Usbeken und Turkmenen. Nicht zuletzt wegen dieser
Vergangenheit war in der Region der Widerstand gegen die sowjetische
Besatzung (1979–89) besonders stark.
Die damals aufkommenden Warlords wurden dominante Akteure der Region. Nach
2001 waren sie die wichtigsten Bündnispartner der US-geführten
Anti-Taliban-Intervention. Auch jetzt richteten sich wieder Hoffnungen
darauf, dass sie den Talibanvormarsch stoppen würden. Aber bereits die
zweite Provinz, die an die Taliban fiel, war Dschusdschan, Hochburg des
usbeko-afghanischen Warlords Abdul Raschid Dostum.
## Dostums Führer schlossen sich Taliban an
Während Dostum mit Präsident Aschraf Ghani in Kabul sprach, gaben seine
Milizen aber auf. Einige Führer schlossen sich gar den Taliban an. Ob aus
Überzeugung oder weil ihnen kein anderer Weg blieb, ist unklar. Dostum und
Ghani flogen am Dienstag nach Masar-i-Scharif, um die Verteidigung der
Großstadt zu organisieren. Dort wird bereits in den Vororten gekämpft, aber
Regierungskräfte schlugen einen Taliban-Angriff zunächst zurück.
Während Nordafghanistan unter dem Talibanregime (1996–2001) lange eine
Anti-Taliban-Bastion war, auch wenn sie mit Ausnahme weniger Gebiete –
darunter Badachschan – letztlich doch an die Taliban fiel, sind sie dort
jetzt besonders erfolgreich. Wichtigste Ursache ist ihre erfolgreiche
Mobilisierung unter dortigen Nichtpaschtunen.
Vor allem gewannen sie die örtliche islamische Geistlichkeit mit ihrem
Narrativ der ausländischen und gegen den Islam gewandten Okkupation. Da die
Geistlichkeit gerade in der ländlichen Bevölkerung großen Einfluss hat,
folgten ihr ganze Gemeinden. Zudem installierten die Taliban auf Provinz-
und Distriktebene Schattengouverneure und Frontkommandanten aus der
Lokalbevölkerung, während vor 2001 ortsfremde Paschtunen dominierten.
Zulauf brachte den nordafghanischen Taliban nach 2001 auch die vom Westen
tolerierten Racheakte auf die paschtunische Minderheit, der ihre
Unterstützung des Talibanregimes angelastet wurde. Die Warlords schlossen
die lokalen Paschtunen weitgehend von öffentlichen Ämtern aus. Es gab
Plünderungen und Vertreibungen. Gerade die besonders konservative
Nordostprovinz Badachschan hatte aber schon vor 2001 Vertreter in der
Führung der Taliban, und diese genossen dort bereits punktuellen Einfluss.
## Irrglaube, Norden sei gegen Taliban immun
Bereits 2011 schrieben die Afghanistan-Analysten Christoph Reuter und
Antonio Giustozzi, dass in den Hauptstädten der Interventionsmächte lange
„der Glaube weit verbreitet war, der Norden sei immun gegen
Taliban-Infiltration“. Deshalb wählte die Bundesregierung Kundus als
Hauptquartier für ihre seit 2003 dort stationierten Truppen, damals noch
Teil der Isaf-Schutz- und Wiederaufbaumission.
Ein krasses Fehlurteil, wie sich bald zeigte. Ab 2005, so die beiden
Forscher, bauten die Taliban „Zellen in den sogenannten
Paschtunen-Enklaven“ auf, ohne dass diese zunächst militärisch aktiv
wurden. Das Bild habe sich aber nach punktuellen „Angriffen, Anschlägen mit
selbst gebauten Sprengkörpern und selbst großangelegten Attacken“ auf
westliche und Regierungskräfte „drastisch gewandelt“.
Auch die Bundeswehr war betroffen. Im Mai 2007 tötete ein
Selbstmordattentäter im Basar von Kundus drei Soldaten, die Kühlschränke
für ihr Feldlager kaufen wollten.
Doch sind die Fronten auch im Norden Afghanistans nicht eindeutig. Alle
Seiten sind von kriminellen Netzwerken durchdrungen, die nach Opportunität
entscheiden, auf welche Seite sie sich wie lange stellen und die oft über
Frontlinien hinweg kooperieren.
## Militärs verkaufen Munition
Das reicht vom Verkauf von Treibstoff und Munition durch Armee- und
Polizeikommandeure an die Taliban bis zum Teilen der Einkünfte aus dem
Bergbau. Bei der Goldmine im Distrikt Raghistan in Badachschan läuft das
zwischen Taliban und lokalen Unternehmerkommandeuren, die formal auf
Regierungsseite stehen.
Zudem führen wichtige Drogenrouten durch Badachschan und weitere
Nordprovinzen, um deren Kontrolle die Kriegsparteien streiten. Über diese
Route gelangen via Zentralasien große Mengen Heroin und Crystal Meth nach
Europa, hergestellt aus afghanischem Opium. Auch Nasri Muhammad, der
Hauptkommandeur und langjährige Bürgermeister von Badachschans Hauptstadt
Faisabad, gehört zu diesen mafiösen Strukturen.
Die Bundeswehr hatte ihn für die Bewachung ihres dortigen Camps angeheuert,
sich aber jahrelang geweigert, seine Verbindungen zur Kenntnis zu nehmen.
Seitdem trugen alle Bundesregierungen durch das Ignorieren von Realitäten
und Schönfärberei dazu bei, dass nicht zeitig umgesteuert wurde. Diese
Fehler gipfeln jetzt im erneuten Siegeszug der Taliban.
12 Aug 2021
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## AUTOREN
Thomas Ruttig
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