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# taz.de -- Präsident Ghani hat Afghanistan verlassen: Taliban übernehmen die…
> Afghanistans bisherige Regierung streckt die Waffen. Gemeinsam mit den
> USA handelt sie die Machtübergabe an die Taliban aus.
Bild: Am Vorabend der Machtübernahme: Ein Mann in Herat verkauft Talibanflaggen
In Afghanistans Hauptstadt Kabul hat die US-Regierung offenbar eine
[1][kampflose Machtübernahme durch die Taliban] arrangiert. Nachdem das
afghanische Führungsmitglied Abdullah Abdullah am Sonntagnachmittag
bestätigte, dass der bisherige Präsident Aschraf Ghani das Land in Richtung
Tadschikistan verlassen hat, ordnete die Taliban-Führung den Einmarsch
ihrer Kämpfer in die afghanische Hauptstadt an – um angesichts der Flucht
der bisherigen Machthaber Plünderungen zu verhindern und damit anderen
Menschen kein Schaden zugefügt werde, wie es in einer Erklärung hieß.
Seit Freitag hatten die Taliban fast alle noch in Regierungshand
befindlichen Provinzhauptstädte ohne Gegenwehr eingenommen und am
Sonntagmorgen waren sie in einige Außenbezirke Kabuls eingerückt. Zunächst
ordnete die Taliban-Führung an, ihre Kämpfer sollten Kabul „nicht mit
Gewalt“ betreten.
Afghanistans bisheriger Innenminister Abdul Sattar Mirsakwal und
Verteidigungsminister Bismillah Muhammadi wandten sich mit der Zusicherung
an die Bevölkerung, es werde nicht zu Kämpfen kommen. Damit war klar, dass
Afghanistans Armee und Polizei keinen Widerstand mehr leisten und
Straßenkämpfe vermieden würden.
Taliban-Sprecher [2][Suhail Schahin sagte der BBC] aus Katars Hauptstadt
Doha, es werde in Kabul „keine Rache an irgendjemandem“ geben. Die Stadt
solle dem „Islamischen Emirat von Afghanistan“ friedlich übergeben werden.
## Abzug abgeschlossen
Unter Berufung auf diplomatische Quellen und afghanische
Regierungsmitglieder sickerte durch, dass Taliban-Vizechef Mulla Abdul
Ghani Baradar sich auf dem Weg aus Katar nach Kabul befinde, um die
Machtübergabe zu arrangieren. Neben den USA seien der Chef des afghanischen
Friedensrates und frühere Oppositionsführer Abdullah und Ex-Staatschef
Hamed Karsai beteiligt.
Präsident Ghani war in die Verhandlungen nur indirekt über den
US-Sonderbeauftragten Zalmay Khalilzad einbezogen. Die Taliban haben sich
bis zum Schluss geweigert, seine Regierung anzuerkennen und mit ihr direkt
zu verhandeln. Ghani dürfte künftig keine politische Rolle mehr spielen.
Mit der Machtübernahme durch die Taliban endet auch die direkte Rolle des
US-geführten Westens in Afghanistan. Einige westliche Regierungen
evakuierten gestern ihr Botschaftspersonal, andere Staatsangehörige sowie
einen Teil ihrer örtlichen Angestellten.
Dazu beorderte US-Präsident Joe Biden am Sonnabend 1.000 zusätzliche
Soldaten nach Afghanistan, zusätzlich zu 650 Botschaftsschützern und 3.000
weiteren noch nicht abgezogenen Soldaten. Mit der Evakuierung dürfte auch
deren Abzug abgeschlossen sein, mit Ausnahme des Schutzes der US-Botschaft,
die unter US-Kontrolle bleibt.
## Deal mit den Banken
Tatsächlich wurde gestern in Kabul nicht gekämpft, wie Kontakte in der
Kabuler Bevölkerung bestätigten. Sie bestätigten auch die Anwesenheit von
Taliban-Kämpfern im südöstlichen Stadtteil Kart-e Nau, im nördlichen Bagh-e
Bala und im westlichen Chuschhal Mena. Im Osten, in Pul-e Tscharkhi,
öffneten sie die Tore des dortigen Zentralgefängnisses, wo Tausende ihrer
Mitkämpfer einsaßen.
Bei Schüssen, über die berichtet wurde, handelte es sich offenbar um die
Polizei, die in die Luft schoss, um Menschenmengen zu zerstreuen. Auch das
bestätigte ein taz-Kontakt für den Stadtteil Darulaman.
Am Freitag und Sonnabend hatten sich vor den Banken in Kabul lange
Schlangen von Menschen gebildet. Aber Bargeld war nicht mehr vorhanden.
Offenbar gab es bereits eine Abmachung mit den Taliban, dass die
Nationalbank, die den Geldfluss kontrolliert, ihre Überweisungen an die
Privatbanken, bei denen die meisten Menschen ihre Konten haben, kurzzeitig
einstellt.
Die Taliban sollen den Privatbanken Schutz und ungestörten Geschäftsablauf
zugesichert haben. Damit sollten offenbar auch Plünderungen sowie Abfluss
ins Ausland verhindert werden. Besonders dieser Fakt deutet darauf hin,
dass die Machtübergabe bereits länger geplant war.
## Viele Warlords offenbar auf der Flucht
Der Fall von Kabul erfolgte dennoch schneller als von vielen erwartet. Erst
am Freitag war mit der nordafghanischen Stadt Masar-i-Scharif, dem letzten
Stationierungsort der Bundeswehr, Afghanistans vorletzte Großstadt an die
Taliban gefallen. Gestern folgten die beiden letzten Regionalzentren,
Dschalalabad im Osten und Bamian in Zentralafghanistan, sowie die
Provinzhauptstadt Maidanschahr am Südwestrand Kabuls und mehrere ländliche
Distrikte der Provinz Kabul.
Bamian liegt im Siedlungsgebiet der schiitischen Hasara, die besonders
unter dem Talibanregime vor 2001 gelitten hatten. Aber das Gebiet war nicht
mehr zu halten, nachdem [3][mehrere ihrer Warlords] entweder zu den Taliban
übergelaufen waren oder mit ihnen Deals geschlossen hatten. Auch der
Militärstützpunkt Bagram, nördlich von Kabul, bis vor Kurzem Hauptquartier
der US-Militärs, wurde kampflos übergeben.
Die Warlords, die bisherigen US-Hauptverbündeten im Kampf gegen die
Taliban, waren schnell aus dem Feld geschlagen. Ihre Milizen leisteten wie
Armee und Polizei kaum Widerstand. Zwei der wichtigsten, Abdul Raschid
Dostum und Atta Muhammad Nur, flohen offenbar über die afghanische
Nordgrenze nach Zentralasien, nachdem sie sich in den letzten Tagen noch
einmal martialisch in ihren Generalsuniformen fotografieren ließen.
Auch Vizepräsident Amrullah Saleh, enger Vertrauter des 2001 von al-Qaida
ermordeten Mudschaheddinführers Ahmad Schah Massud sowie der USA,
verschwand von der Bildfläche. Zuletzt war er schon einmal in Tadschikistan
aufgetaucht, von wo aus Massud in den 1990er Jahren den Widerstand
organisiert hatte. Saleh könnte versuchen, das nachzumachen. Massuds
Hochburg, das Pandschirtal, wurde bisher noch nicht von Talibankämpfern
besetzt.
15 Aug 2021
## LINKS
[1] /Nachrichten-aus-Afghanistan/!5793725
[2] https://www.bbc.com/news/av/world-asia-58220305
[3] /Sieg-der-Taliban-in-Nord-Afghanistan/!5788483
## AUTOREN
Thomas Ruttig
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