# taz.de -- Gentechnik für Artenvielfalt: Korallen retten im Labor | |
> Ein „gentechnischer Werkzeugkasten“ soll Korallen retten? Ein | |
> kontroverses Thema für die Weltnaturschutzkonferenz am Freitag. | |
Bild: Grüner Riesenschildo in einem Korallenriff vor der Küste Borneos | |
BERLIN taz | Weltweit sterben die Korallenriffe. Erwärmt sich die Erde um | |
1,5 Grad, werden die Bestände laut dem Weltklimarat IPCC um 70 zu 90 | |
Prozent zurückgehen. Steigen die Temperaturen im Schnitt um 2 Grad, | |
verschwinden die Riffe. Wärme stört die symbiotische Beziehung zwischen | |
Algen und Korallen, sie verhungern, bleichen aus und sterben ab. | |
Am Samstag präsentiert ein Team von Wissenschaftlern aus Großbritannien, | |
Israel und den USA auf dem großen Weltnaturschutzkongress [1][in Marseille | |
ihren Lösungsansatz für das Problem]: einen „gentechnischen Werkzeugkasten�… | |
zur Rettung der Korallen. Sie haben viele Zuhörer. In Marseille treffen | |
sich, vor Ort und virtuell, die Vertreter der Mitgliedsorganisationen der | |
Weltnaturschutzorganisation IUCN. Das sind über 1.200 Umweltverbände, | |
Behörden und Institutionen – aus Deutschland sind 22 Organisationen dabei, | |
vom Nabu über den Leipziger Zoo bis zum Anglerverband – sowie 160 | |
Regierungen. | |
Sie treffen sich, um über eines der beiden großen Probleme unserer Zeit zu | |
sprechen, den Verlust biologischer Vielfalt. Die IUCN führt Buch über das | |
weltweite Artensterben. Rund 135.000 Tier- und Pflanzenarten hat sie in den | |
vergangenen Jahren untersucht, etwa ein Drittel von ihnen als bedroht | |
eingeschätzt und auf ihre Rote Liste gesetzt. | |
Zum Beispiel sind die weltweiten Großkatzenbestände um gut 90 Prozent | |
geschrumpft. In freier Wildbahn leben noch rund 20.000 Löwen, 7.000 | |
Geparden und 4.000 Tiger. Auch die Korallen sind eine Zeile auf der Roten | |
Liste. Ihre Situation ist so dramatisch, weil der Klimawandel ihren | |
Lebensraum für sie unbewohnbar macht. | |
## Radikale Antwort | |
Die Antwort des internationalen Wissenschaftlerteams mit ihrem | |
gentechnischen Werkzeugkasten ist entsprechend radikal: Die Meeresbiologen | |
und Biotechnologen erforschen, ob sich die Eier von Korallen so gefrieren | |
lassen, dass sie eingelagert und zumindest ihre genetischen Informationen | |
gerettet werden können; zudem wollen sie wissen, ob sich aus erwachsenen | |
Korallen Stammzellen isolieren lassen, mit denen widerstandsfähige Riffe | |
erzeugt und regeneriert werden können. Ihr Vortrag ist ein Beispiel für | |
einen der derzeit umstrittensten Ansätze im Naturschutz: gentechnische | |
Methoden. | |
Sie könnten etwa dazu dienen, um invasive Arten auszurotten, die heimische | |
Vögel oder Pflanzen verdrängen. „Gene Drive“ lautet das Stichwort. | |
Exemplare einer unerwünschten Art, etwa Ratten auf einer Insel, würden | |
gentechnisch so verändert, dass sie sich innerhalb weniger Generationen | |
selbst ausrotten. Oder bedrohte Arten – etwa Korallen – würden | |
widerstandsfähiger gegen Umwelteinflüsse gemacht. Auf dem Kongress in | |
Marseille werden die Delegierten also auch über die Position der IUCN zu | |
gentechnischen Verfahren streiten. | |
Mareike Imken von der Zukunftsstiftung Landwirtschaft befürchtet, dass die | |
Delegierten der IUCN konkrete Maßnahmen zur Risikobewertung von | |
gentechnisch veränderten Organismen beschließen. Damit würde Gentechnik als | |
anerkannte Methode in den Naturschutz einziehen. „Das wäre ein fatales | |
Signal an die Verhandlungen zur Regulierung und Risikobewertung auf Ebene | |
der UN Biodiversitätskonvention“, sagt Imken. Sie fordert, der IUCN müsse | |
in seiner Abschlussresolution Gentechnik für den Artenschutz ablehnen. | |
## Immer neue Hochglanzprospekte | |
Allerdings sei die Biotechnologielobby stark und dränge mit Macht in den | |
Artenschutz. Das sieht auch Christoph Then von der gentechnikkritischen | |
Organisation Testbiotech so. Er beobachtet „immer mehr Literatur, | |
Hochglanzbroschüren und aufwendige Websites, um gentechnische Verfahren im | |
Naturschutz als machbar und lukrativ darzustellen“. Dabei handele es bei | |
vielen Anwendungen, etwa der Stammzellenforschung für Korallen, noch um | |
Grundlagenforschung. „Wann diese Verfahren einsetzbar sind und ob sie dann | |
wirklich so wirken werden wie gedacht, ist völlig unklar“, sagt Then. | |
Der Biologe Christian Voolstra von der Universität Konstanz hält | |
gentechnische Verfahren für sinnvoll – wenn sie für die Diagnose von | |
Problemen eingesetzt werden. Mit Kolleg:innen hat er einen Schnelltest | |
für Korallen entwickelt, der der Entwicklung von Antigen-Schnelltests | |
dienen soll, ähnlich wie für die Diagnose von Covid-19. | |
Mit seinem koffergroßen Test versucht er dieser Tage im Roten Meer, | |
besonders hitzebeständige Korallen zu identifizieren. Perspektivisch möchte | |
er von diesen Exemplaren Bakterien isolieren, die mit ihnen zusammen in | |
Symbiose leben. Die Bakterien der widerständigen Korallen will er auf | |
gestresste, weniger resiliente Korallen übertragen. „So können wir sicher | |
nicht alle Korallen retten“, sagt Voolstra, „aber vielleicht einige“. Auch | |
die Arbeit mit Bakterien ist Biotechnologie, aber eine, die anerkennt, dass | |
„die Natur sich selbst immer noch am besten helfen kann, wenn wir sie | |
lassen“. | |
2 Sep 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.iucncongress2020.org/sites/www.iucncongress2020.org/files/sessi… | |
## AUTOREN | |
Heike Holdinghausen | |
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