# taz.de -- Gentechnik im Freiland-Versuch: Gen-Mücke gegen Stechmücke | |
> Gewagtes Experiment in Florida: Ein Biotech-Konzern lässt gentechnisch | |
> veränderte Mücken frei, um die Mückenplage zu mildern. Nicht alle finden | |
> das gut. | |
Wenn Bryon Elliot auf Mücken-Jagd geht, lässt er die Chemikalien erst | |
einmal im Auto. Stattdessen greift der Schädlingsbekämpfer zu einem Kescher | |
und einem Eimer, in dem Silberkärpflinge schwimmen. Behutsam setzt er die | |
Fische in einem Regenüberlaufbecken aus. „Die sind sehr nützlich“, sagt | |
Elliot, „denn sie fressen Mückenlarven für ihr Leben gern.“ | |
Es ist Mittagszeit auf den [1][Florida Keys], einer Inselgruppe am | |
südlichsten Zipfel der Vereinigten Staaten. Selbst im Winter klettern die | |
Temperaturen hier regelmäßig über 25 Grad. Jetzt im Juni sind für die | |
nächsten Tage 30 Grad angekündigt, noch dazu Chancen auf Niederschläge. Die | |
Luft ist warm und feucht – ein Urlaubsparadies, in dem Kokospalmen und | |
Mangroven gedeihen, aber auch Insekten, die Krankheiten übertragen können. | |
Jeden Tag streift sich Bryon Elliot deshalb seinen weißen Pullover mit der | |
Aufschrift „Mosquito Control“ über, um nach Brutstätten der Plagegeister … | |
fahnden. | |
Mücken sind in Florida seit jeher ein Problem. Doch je näher die Menschen | |
an die natürlichen Sumpflandschaften heranrücken, desto akuter wird die | |
Gefahr: Die Gelbfiebermücke (Aedes aegypti), eine invasive Spezies aus den | |
Tropen, breitet sich aus. In den vergangenen Jahren kam es ihretwegen | |
mehrfach zu Denguefieber- und Zika-Virus-Ausbrüchen auf den Keys. Um das | |
Problem zu lösen, haben sich die Behörden vor Ort auf ein gewagtes | |
Experiment eingelassen: gentechnisch veränderte Mücken. Es ist der erste | |
derartige Großversuch in den Vereinigten Staaten. | |
„In diesem Kampf brauchen wir jedes Werkzeug, das wir kriegen können“, sagt | |
Andrea Leal, die Direktorin des „Florida [2][Keys Mosquito Control | |
District“ (FKMCD)]. Die staatliche Behörde ist für die Bekämpfung der | |
Schädlinge zuständig. Allein auf der Inselgruppe arbeiten 70 Angestellte | |
für das FKMCD. Sie gehen von Haus zu Haus, suchen nach Larven oder setzen | |
Fische aus, so wie Bryon Elliot. Zusätzlich versprühen Helikopter und | |
Flugzeuge tagtäglich Chemikalien. Das Ganze hat etwas von einer | |
militärischen Operation, doch die Krieger sind zunehmend in der Defensive: | |
„Viele Mücken werden gegen die Insektizide resistent“, sagt Andrea Leal. | |
„Deshalb sind wir dankbar für jedes neue Mittel in unserem Arsenal.“ | |
Das neue Mittel ist – eine Mücke. Die Aedes aegypti vom britischen | |
Biotechnologie-Konzern [3][Oxitec] tragen zwei veränderte Gene in sich. Das | |
Versprechen: Wenn sich die gentechnisch veränderten Männchen mit | |
freilebenden Weibchen paaren, schlüpfen hinterher nur Männchen, die nicht | |
stechen können. Auch diese geben ihre veränderten Gene weiter. So findet | |
eine Art Geburtenkontrolle statt: Da nur männliche Mücken überleben, soll | |
die Population sinken. | |
Im April letzten Jahres stellte Oxitec auf den Inseln verteilt mehrere | |
Boxen auf, in denen sich die Larven entwickelten. „Insgesamt wurden weniger | |
als fünf Millionen Mücken freigelassen“, erklärt Behördenleiterin Leal. | |
„Wir hätten sogar eine Genehmigung für bis zu 750 Millionen gehabt.“ In | |
einer nächsten Phase soll nun untersucht werden, ob sich die Gen-Mücken | |
tatsächlich paaren. Dafür werden Fallen aufgestellt und die gefangenen | |
Insekten gezählt. Um die Labormücken zu identifizieren, hat Oxitec ein | |
weiteres Gen verändert: Werden sie mit einem bestimmten Licht angestrahlt, | |
leuchten sie im Dunkeln. Nach Angaben von Oxitec geht keinerlei Gefahr von | |
den gentechnisch veränderten Mücken aus. | |
Doch viele Einheimische sind sich da nicht so sicher. Neben dem Overseas | |
Highway, der Hauptverkehrsstraße der Florida Keys, thront ein Plakat, das | |
lokale Umweltverbände aufgestellt haben. Es zeigt eine riesige Mücke, die | |
einer Frau ins Auge sticht. Bildunterschrift: „Gen-Mücken? Was kann da | |
schon schiefgehen?“ Das Motiv ist reißerisch, fasst aber die Sorgen der | |
Projektgegner zusammen. „Bei solchen Experimenten gibt es keinen Raum für | |
Fehler“, sagt Ed Russo, der Präsident des Umweltverbands „[4][Florida Keys | |
Environmental Coalition]“. Wer wisse schon, wie sich die Gen-Mücken in der | |
Nahrungskette auswirken? | |
Seit Jahren kämpfen Russo und sein Team gegen das Experiment, das sie für | |
intransparent und gefährlich halten. „Ich habe nicht generell etwas gegen | |
Gen-Technik“, sagt Russo. „Am Anfang war ich sogar richtig begeistert. Wir | |
dachten, dass nun keine Chemikalien mehr eingesetzt werden müssen.“ Aber | |
das habe sich als Trugschluss herausgestellt – immerhin machten die Aedes | |
aegypti nur vier Prozent aller Mücken auf den Keys aus. Gegen alle anderen | |
Arten müssten weiterhin Insektizide versprüht werden, was auch das FKMCD | |
bestätigt. Auch sei es noch völlig unklar, ob die Gen-Mücken überhaupt | |
wirken. | |
Mara Daly, Inhaberin eines Friseursalons in Key Largo, sieht sich als | |
Versuchskaninchen. „Diese Firma hat Millionen investiert, um die | |
Bevölkerung einzulullen“, kritisiert sie. In den vergangenen Jahren gingen | |
Mitarbeitende von Oxitec von Tür zu Tür, um für das Projekt zu werben – | |
oder sachlich darüber zu informieren, wie die Firma beteuert. Die Kampagne | |
hatte jedenfalls Erfolg: Sowohl die US-amerikanische Umweltbehörde EPA als | |
auch das FKMCD von den Florida Keys stimmten am Ende zu. | |
Gegner des Projekts argumentieren jedoch, dass die vermeintliche Zustimmung | |
nur durch juristische Winkelzüge zustande kam. In der Stadt Key Haven – dem | |
Ort, an dem die Mücken zuerst ausgesetzt werden sollten – stimmten 2016 bei | |
einem Referendum zwei Drittel gegen das Projekt. Gewertet wurde aber am | |
Ende die Abstimmung im gesamten Landkreis. Dort votierten 58 Prozent der | |
Wählerinnen und Wähler für das Aussetzen der Gen-Mücken. Oxitec erklärte | |
hinterher: „Die Wähler (…) haben klar gesprochen.“ | |
Aktivistinnen wie Mara Daly zweifeln an der Bilanz des Konzerns: „Angeblich | |
hat diese Technologie schon in Brasilien brillant funktioniert. Aber wenn | |
man genaue Daten sehen möchte, halten sie sie mit Verweis auf das | |
Geschäftsgeheimnis unter Verschluss.“ Behörden-Chefin Andrea Leal | |
bestätigt, dass sie für die Florida Keys ebenfalls nicht alle Daten kennt. | |
Sie sieht das aber nicht als Problem an – die Biotechnologie-Branche stehe | |
eben im starken Wettbewerb. | |
## Unpassende Vergleiche? | |
In der Vergangenheit gab es schon mehrfach Heilsversprechen, wenn es um die | |
Bekämpfung von Schädlingen ging. Oft hatten sie unerwartete Nebenwirkungen. | |
Auf Hawaii wurden Ende des 19. Jahrhunderts Mungos ausgesetzt, um Ratten | |
auszurotten. Da die kleinen Raubtiere anders als Ratten aber tagaktiv sind, | |
vermehrten sich beide Arten – und gelten noch heute als Plage. In den | |
1940er Jahren wurde das Insektizid [5][DDT] als Wundermittel gepriesen. | |
Erst deutlich später stellte sich heraus, dass es krebserregend und schwer | |
abbaubar ist. Noch heute kann man es in Bodenproben in den USA nachweisen. | |
Nicht zu vergessen: die aktuelle Debatte um [6][Glyphosat], das im Verdacht | |
steht, Bienen zu töten. | |
Die Befürworter der Gen-Mücken finden solche Vergleiche unangemessen. | |
„Heute ist die Wissenschaft viel weiter“, sagt Doug Mader, der als Tierarzt | |
auf den Keys arbeitet. Mader wirbt für das Projekt – „ohne einen Cent von | |
Oxitec zu bekommen“, wie er betont. Er sorgt sich vor allem um Hunde: „Die | |
Aedes aegypti übertragen Herzwürmer“, sagt er, „das ist eine sehr grausame | |
Krankhei.“. Außerdem töteten die aktuell eingesetzten Chemikalien viele | |
Schmetterlinge und andere Insekten. Deshalb unterstütze er Alternativen. | |
Die Aktionen der Gegner findet er unsachlich, allen voran das Horror-Plakat | |
am Overseas Highway. „Mücken stechen nicht in menschliche Augen“, sagt | |
Mader. „Da werden bewusst Ängste geschürt.“ Er selbst habe sich alle | |
Studien zu den Gen-Mücken genau angesehen und keine Probleme entdeckt. | |
Ähnlich argumentiert auch Oxitec. Im Rahmen der Zulassung habe man die | |
Insekten sogar an Fische verfüttert, um ihre Wirkung auf die Nahrungskette | |
zu überprüfen. | |
Die erste Phase des Projekts ist beendet. Oxitec hat die Brutboxen, aus | |
denen die Gen-Mücken schlüpfen, nach eigenen Angaben wieder eingesammelt. | |
Nun widmet sich das Biotech-Unternehmen dem nächsten Ziel: der Anwendung im | |
großen Stil. Im Mai stimmte das Landwirtschaftsministerium in Florida zu. | |
Doch das ist erst der Anfang: Wenn das Experiment auf den Keys erfolgreich | |
verläuft, könnten die Gen-Mücken auch in anderen Bundesstaaten zugelassen | |
werden. Auf lange Sicht ist sogar ein Einsatz in Europa denkbar, angepasst | |
etwa auf die Asiatische Tigermücke, die sich hierzulande verbreitet. Dass | |
Oxitec den aktuellen Versuch als Aushängeschild betrachtet, zeigt sein | |
Geschäftsgebaren: Für den Einsatz in Florida stellt das Unternehmen keinen | |
Cent in Rechnung. Das große Geld will man erst später machen – in den USA | |
und auf der ganzen Welt. | |
18 Jun 2022 | |
## LINKS | |
[1] https://www.visittheusa.de/destination/florida-keys-und-key-west | |
[2] https://keysmosquito.org/ | |
[3] https://www.oxitec.com/ | |
[4] https://www.fkec.org/ | |
[5] https://www.umweltprobenbank.de/de/documents/profiles/analytes/10059 | |
[6] /Prozesse-wegen-Glyphosat-in-den-USA/!5806678 | |
## AUTOREN | |
Steve Przybilla | |
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