# taz.de -- Frauen in der Fotografie: Eine Fotografin für die Queen | |
> Das Metropolitan Museum of Art richtet mit Fotografinnen aus der Zeit | |
> zwischen 1920 und 1950 die Retrospektive „The New Woman Behind the | |
> Camera“ aus. | |
Bild: Ilse Bing, „Self-Portrait with Leica“, 1931. Collection Michael Matti… | |
Die Kuratorin Andrea Nelson hat sich geärgert, als sie [1][die | |
Netflix-Serie „The Crown“] gesehen hat. Ausschließlich männliche Fotograf… | |
nehmen darin die königliche Familie auf. Die Macher der Serie haben eine | |
historische Chance verpasst, findet Nelson. Schließlich gab es auch eine | |
Frau, die jahrelang im Dienste der königlichen Familie Fotos gemacht hat: | |
Dorothy Wilding. Von ihr stammt auch das berühmte Porträt der frisch | |
gekrönten Queen Elizabeth im Jahr 1952, die Vorlage für die Abbildung der | |
Königin auf Münzen, Geldscheinen und Briefmarken. | |
Was „The Crown“ verpasst hat, holt nun eine Ausstellung des | |
[2][Metropolitan Museum in New York] mit lautem Paukenschlag nach: „The New | |
Woman Behind the Camera“ richtet den Fokus auf Frauen, die in den Jahren | |
1920 bis 1950 die Kamera für sich entdeckten – und deren Bilder häufig | |
keinen Eingang in den Kanon der Fotografie gefunden haben. Zu sehen sind | |
185 Fotografien von 120 Fotografinnen aus über zwanzig Ländern. Jedes Foto | |
für sich ist ein kleines Meisterwerk. Und die Unbekanntheit vieler dieser | |
Fotografinnen schlicht und einfach ein Skandal. | |
Andrea Nelson hat die Ausstellung kuratiert. Sie ist die assoziierte | |
Kuratorin in der Fotografieabteilung der National Gallery of Art in | |
Washington (NGA), wo die Ausstellung ursprünglich im Jahr 2020 eröffnen | |
sollte. Doch dann kam Corona. Nun ist die Ausstellung zuerst im Met in New | |
York zu sehen, bevor sie im Oktober nach Washington weiterzieht. | |
Ein neuer Frauentypus | |
Es waren die Fotos der Zwischenkriegszeitfotografin Ilse Bing, die Nelson | |
auf die Idee zu der Ausstellung brachten. Bing stehe exemplarisch für einen | |
neuen Frauentypus, schreibt Nelson in dem Katalog zur Ausstellung. Die | |
sogenannte „New Woman“: die gebildete, selbstbewusste und unabhängige Frau, | |
die keinem konventionellen Rollenmuster mehr folgt. Entstanden sei das | |
Phänomen im 19. Jahrhundert. Anfang der zwanziger Jahre verbreitete es sich | |
in der ganzen Welt. In der gleichen Zeit, in der auch die Fotografie einen | |
immer bedeutenderen gesellschaftlichen Stellenwert einnahm. | |
Bing hatte sich während ihrem Kunststudium 1929 eine der gerade auf den | |
Markt gekommen handlichen Leica-Kameras gekauft. Eigentlich nur zu | |
Dokumentationszwecken für ihr Kunstgeschichtsstudium. Doch schon bald gab | |
sie ihre akademische Laufbahn auf und arbeitete ausschließlich als | |
Fotografin. 1930 zog sie nach Paris, verkehrte dort mit Fotografen-Legenden | |
wie Brassaï, Florence Henri oder André Kertész und experimentierte mit | |
Belichtungseffekten und ungewöhnlichen Kompositionen. | |
Bings Bilder wurden in den bedeutenden Magazinen der Zeit veröffentlicht | |
und in führenden Galerien und Museen in Paris und New York gezeigt. Der | |
französische Fotograf und Kritiker Emmanuel Sougez gab ihr den Titel | |
„Königin der Leica“. 1941 flüchtete die jüdische Bing vor den Nazis nach | |
New York. Danach wurde es still um sie. 1959 gab sie die Fotografie ganz | |
auf, 1998 starb sie. | |
Die Biografie und das Werk von Ilse Bing inspirierten Nelson, nach anderen | |
„New Women“ hinter der Kamera zu suchen. Und zwar nicht nur – und das ist | |
das Besondere an der Ausstellung – in Europa und Nordamerika, sondern | |
weltweit. Sie habe das Gefühl gehabt, dass die Forschung sich bis jetzt | |
nicht genug mit der großen Diversität der Fotografinnen der Moderne | |
auseinandergesetzt hat, sagt Nelson gegenüber dem Kunstmagazin The Art | |
Newspaper. Ihr Gefühl sollte sich als richtig erweisen. | |
Fotojournalistin in Indien | |
Die indische Fotografin Homai Vyarawalla (1913-2012) zum Beispiel. Sie war | |
eine der ersten weiblichen Fotojournalistinnen in Indien. Eine Frau im Sari | |
mit einer Kamera in der Hand sei damals ein ungewöhnlicher Anblick gewesen, | |
erzählt Vyarawalla 1995 in einem Dokumentarfilm. Viele haben sie deshalb | |
nicht ernst genommen. | |
Eines ihrer Bilder von 1940 zeigt den 1888 von den Engländern gebauten | |
neogotischen Hauptbahnhof in Mumbai aus der Untersicht, durch die Räder | |
einer Kutsche. Ein Schubkarre schiebender Mann, Busse und Fußgänger | |
verdecken die Sicht auf den monumentalen Bau. Ein Statussymbol der | |
englischen Kolonialmacht verschwindet hier fast hinter dem indischen | |
Alltagsleben. | |
Die erste professionelle Fotografin in Palästina, vielleicht sogar im | |
ganzen arabischen Raum, war Karimeh Abbud (1893-1940). Männern in Palästina | |
war es nicht erlaubt, Frauen außerhalb der Familie zu fotografieren. | |
Deshalb kamen viele Frauen in ihre Studios in Nazareth oder Haifa, um sich | |
porträtieren zu lassen. Hätte es Abbud und ihre Kamera nicht gegeben, diese | |
Frauen wären wohl nie auf Fotos verewigt worden. | |
Die 1914 geborene Tsuneko Sasamoto ist die einzige Fotografin in der | |
Ausstellung, die noch lebt. Sie war die erste japanische Fotojournalistin. | |
Ein 1946 in Tokio aufgenommenes Bild zeigt eine junge, westlich gekleidete | |
Japanerin vor einem von der amerikanischen Besetzungsarmee eingerichteten | |
Paketservice. Westlicher Einfluss und Fremdherrschaft: Mit einem Klick hat | |
Sasamoto zwei Themen festgehalten, die ihr Heimatland damals aufwühlten. | |
Dem Gesamtwerk der einzelnen Fotografinnen wird die Ausstellung sicherlich | |
nicht gerecht. Von den meisten sind nur ein oder zwei Arbeiten zu sehen. | |
Sie funktioniert eher wie ein Weckruf. Für andere Ausstellungsmacher. Oder | |
Kunsthistoriker. Oder Fotografie-Liebhaber. Und vielleicht auch für die | |
Macher der Serie „The Crown“. Die planen schon die nächste Staffel. Und | |
zeigen dann hoffentlich auch eine Frau hinter der Kamera während des | |
royalen Fotoshootings. | |
10 Aug 2021 | |
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## AUTOREN | |
Verena Harzer | |
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