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# taz.de -- Theaterprojekt im Taxi: Das Biest von Bushwick
> In New York nimmt Modesto Flako Jimenez Fahrgäste mit auf eine
> Theater-Taxifahrt. Die Route führt durch von der Gentrifizierung
> betroffene Gebiete.
Bild: Der Theatermacher Modesto Flako Jimenez in spielt in „Taxilandia“ nur…
Die zwei Frauenköpfe auf dem Wandgemälde im Brooklyner Stadtteil Bushwick
überragen jeden vorbeigehenden Passanten um ein Zweifaches. Kopf an Kopf
blicken sie ohne zu lächeln stolz von der Wand. Es sind die
Serrano-Schwestern, zwei puerto-ricanische Boxheldinnen. Ihr Bild ist Teil
einer Wand mit puerto-ricanischen Heldenfiguren. Der Freiheitskämpfer Pedro
Albizu Campos ist dabei. Und auch die [1][Tennisspielerin Mónica Puig].
Kaum einer hat es in den vergangenen Jahren gewagt, das Gemälde mit einem
Graffito zu entweihen. So wie es dem Gemälde auf der anderen Straßenseite
ergangen ist. Ein abstrakt-grafisches Bild, das übersät ist mit Graffiti.
„Weil es nicht zur Community spricht“, sagt der Theatermacher Modesto Flako
Jimenez vom Fahrersitz seines bordeauxroten 2003er Lincoln Town Car Cabrios
aus. Es sei nur schön, „aber es sagt nichts aus“. Dann geht es weiter zum
nächsten Schauplatz.
Jimenez nennt sein Projekt „Taxilandia“. Auch wenn der Name anderes
suggeriert, es ist keine Taxifahrt. Es ist eines der außergewöhnlichsten
Theaterprojekte, das [2][New York in dieser Pandemie] zu bieten hat. Seit
dem 5. April fährt Jimenez wieder mehrfach täglich ein bis drei Personen
eine gute Stunde lang durch die Stadt.
Während der Fahrt erzählt er von seinem ersten Kuss an einer Straßenecke,
von dem Gemeinschaftszentrum El Puente, das ihn von der Straße geholt hat.
Oder von dem Turnschuhladen V.I.M., wo er die billigen Markenturnschuhe
kaufen konnte, die ihn vor Gesichtsverlust in der Schule bewahrt haben.
## Gentrifizierung bedroht hispanische Community
Doch vor allen Dingen erzählt er von dem „GeGe Beast“, dem Biest der
Gentrifizierung, das das Leben der hispanischen Community von Bushwick zu
zerstören droht. Und damit auch die Orte, die seine Jugend geprägt haben.
Für Jimenez, in der Dominikanischen Republik geboren und mit neun Jahren
nach Bushwick gekommen, steht nichts weniger als seine Brooklyner Heimat
auf dem Spiel. „Dieser Ort hat mir alles gegeben“, sagt er. Wie könne er es
da wagen, „nichts zurückzugeben“, sagt er.
Bushwick ist einer der Stadtteile Brooklyns, die besonders stark von
Gentrifizierung betroffen sind. Coffeeshops, Galerien und hippe Bars prägen
heute das Straßenbild. Im Jahr 2014 setzte die Zeitschrift Vogue Bushwick
unter den 15 coolsten Stadtvierteln der Welt auf Platz 7.
Nach Daten des Furman Centers der New York University stieg das
durchschnittliche Jahreseinkommen in Bushwick in den vergangenen zehn
Jahren von knapp 30.000 auf etwa 50.000 Dollar an. Der Anteil der
hispanischen Bevölkerung sank in der Zeit von 70 auf 54 Prozent.
Jimenez will mit „Taxilandia“ das Bushwick der hispanischen Community
zeigen. Neun Jahre lang fuhr er hier Menschen als Taxifahrer durch die
Gegend. Um sich seine Theaterausbildung an dem Liberal-Arts-College
Bennington zu finanzieren. Und um sich die Mitarbeit an künstlerisch
anspruchsvollen, aber nicht profitablen Projekten mit New Yorker
Avantgardelegenden wie der Wooster Group oder dem [3][Regisseur Richard
Maxwell] leisten zu können.
## Nicht das erste Theater-Taxiprojekt für Jimenez
Taxi fahren war immer auch mehr als nur ein Job für ihn. Wer damals
zusammen mit ihm im Taxi ein Gedicht verfasste, bekam einen Rabatt auf den
Fahrtpreis. Vor sieben Jahren hat er mit der australischen Autorin
Alexandra Collier die theatrale Taxifahrt „Take Me Home“ konzipiert.
Die Technik war die Gleiche wie heute. Er saß am Steuer eines „Taxis“ und
war für sein bis zu dreiköpfiges Publikum Chauffeur und Schauspieler
zugleich. Damals erzählt er die Geschichte eines „Schwarzfahrers“ (fare
beater) und einer rätselhaften Frau. Diesmal geht es allein um Bushwick.
„Taxilandia“ ist für Jimenez ein Aufklärungsprojekt. „Bitte keine Fotos
machen“, sagt er gleich zu Beginn der Fahrt vor der 294 Harmann Street.
Seine Zuschauer sollen den Stadtteil erleben, nicht nur beobachten. Immer
wieder stellt er ihnen Fragen zu dem, was sie sehen oder was er gesagt hat.
Oder fordert sie auf, ihre Gedanken über das „GeGe Beast“ auf einen Zettel
zu schreiben. Während er kurz aussteigt, um bei einem kleinen Eck-Deli ein
paar Snacks zu kaufen.
Besonders in Rage gerät er, wenn es um die konkrete Verdrängung seiner
Community geht. Das ist ihm spürbar eine Herzensangelegenheit. Nicht nur
des Darstellers, sondern auch der Privatperson Jimenez.
## Kleine Geschäfte müssen Coffeeshops weichen
Dann erzählt Jimenez von kleinen Bodegas oder Delis, die wieder einem
Coffeeshop Platz machen mussten. Oder von einem Community-Theater, das in
Eigentumswohnungen umgewandelt wurde. Er erzählt, wie Makler in den
vergangenen Jahren begonnen haben, an die Fenster der Häuser der
hispanischen Community zu klopfen. Wie sie ihnen 100.000 oder 150.000
Dollars für ihre Häuser anbieten.
Für diese Hausbesitzer, denen jahrelang eingeredet wurde, dass ihre Häuser
nichts wert seien, klinge das nach enormen Summen. Wenn sie aber das
Angebot annehmen, merken sie schnell, dass sie sich mit diesem Geld heute
nicht mal mehr eine Wohnung leisten können. In Bushwick nicht, in ganz New
York nicht. „Wo sollen sie dann hinziehen?“, fragt Jimenez an einer Stelle
mit verzweifelter Dringlichkeit.
Die Fahrt endet in der Troutman Street in Bushwick. Hier reiht sich eine
Hipsterbar an die nächste. Als Abschiedsgeschenk überreicht Jimenez seinen
Fahrgästen die Tüte mit Snacks, die er während der Fahrt gekauft hat. Auf
der Chipspackung steht „New York Party-Mix“. So richtig nach Party ist dem
Publikum nach dieser Fahrt wohl nicht zumute. Dafür war es zu einfach zu
gutes Theater.
18 May 2021
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## AUTOREN
Verena Harzer
## TAGS
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