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# taz.de -- Revolution an der Metropolitan Opera: Ein fast utopischer Abend
> Erstmals in 148 Jahren wurde an der New Yorker Met die Oper eines
> Schwarzen Komponisten aufgeführt. Das Premierenpublikum? Außer sich.
Bild: Szene aus dem zweiten Akt mit dem Bariton Will Liverman
Der Bühnenboden der Metropolitan Opera bebt unter dem rhythmischen Stampfen
der zwölf Tänzer. Ihr Stepptanz und ihr Sprechgesang zu Beginn des dritten
Akts der Oper „Fire Shut Up in My Bones“ von Terence Blanchard ist
minutenlang die einzige Musik, die die Zuschauer in dem fast ausverkauften
3.800-Plätze-Saal zu hören bekommen. Als die Tänzer fertig sind, gibt es
kein Halten mehr. Das Premierenpublikum jubelt, pfeift, johlt und schreit.
Das hat es in der größten Institution für Darstellende Künste in
Nordamerika so noch nicht gegeben.
Wie so einiges an diesem Abend. Es ist die Saisoneröffnung nach der
längsten Spielpause, die die Met je erlebt hat: 18 Monate lang blieben ihre
Türen pandemiebedingt geschlossen. Und es ist die erste Oper eines
Schwarzen Komponisten, die in der 148-jährigen Geschichte das Hauses
aufgeführt wird. Mit einer fast durchweg Schwarzen Besetzung auf und hinter
der Bühne.
Mit einer Geschichte, die universelle Themen wie Einsamkeit, Scham, Liebe
und Missbrauch verhandelt, aber ganz in einer Schwarzen Lebenswelt
verankert ist. Mit einer Musik, die die Harmonik und Orchestrierung der
traditionellen Opernliteratur mit Jazz- und Gospel-Elementen vereint. Und
mit einem Publikum, in dem sich für einen Premierenabend an der
Metropolitan Opera ungewöhnlich viele People of Color befinden.
Es ist ein fast schon utopischer Abend. Ein Abend, an dem die Forderung
nach größerer Diversität an den New Yorker Hochkultur-Institutionen sich
endlich einzulösen scheint. Und der Beweis dafür, dass die Öffnung dieser
Institutionen für neue Erzählperspektiven großartige Kunst hervorbringen
kann. Die Washington Post schreibt von „einem Wendepunkt in der
amerikanischen Oper“, und der Radiosender NPR spricht von einer
„einzigartigen Leistung“.
## Kampf ums finanzielle und kulturelle Überleben
Ein gelungener Eröffnungs-Coup also. Den kann die Metropolitan Opera
dringend gebrauchen. [1][Denn das Haus kämpft nicht erst seit der Pandemie
ums finanzielle und kulturelle Überleben]. Und auch wenn es an diesem Abend
anders ausgesehen haben mag: das Thema struktureller Rassismus ist dort
noch lange nicht vom Tisch. Vor gerade mal zwei Jahren wäre eine
Saisoneröffnung mit der zeitgenössischen Oper eines Schwarzen Komponisten
noch schlicht und einfach undenkbar gewesen.
Ihre Uraufführung feierte „Shut Up in My Bones“ 2019 auf dem Sommerfestival
„Opera Theatre of Saint Louis“. Bald drauf erhielt ihr Komponist, der
mehrfach Grammy-ausgezeichnete und für den Oscar nominierte Jazz-Trompeter
Terence Blanchard, einen Anruf von Peter Gelb, dem Intendanten der
Metropolitan Opera. Er wolle das Werk nach New York holen, ließ Gelb ihn
wissen.
Blanchard sagte gegenüber der New York Times, dass er es erst nicht glauben
konnte: „Passiert das gerade wirklich? Funktioniert das so einfach? Ich
bekomme einen Anruf und dann geht meine Oper an die Met?“ Damals war
allerdings auch noch von einem späteren Termin in der Spielzeit 2023 die
Rede. Und auch davon, dass die Aufführung nicht unbedingt auf der großen
Met-Bühne stattfinden würde. Sondern Teil der neuen
Kollaborations-Initiative der Met mit kleineren Off-Broadway-Institutionen
wie der Brooklyn Academy of Music oder dem Public Theater sein könne.
Doch dann wurde George Floyd im Mai 2020 von einem weißen Polizisten
ermordet. In den USA und der ganzen Welt protestierten Menschen wochenlang
gegen strukturellen Rassismus. Die Metropolitan Opera veröffentlichte
damals auf ihrem Account einen solidarischen Tweet: In der Kunst sei „kein
Platz für Rassismus“. [2][Und erntete dafür hämische Kommentare.] Warum die
Met die rassistische Praxis des Blackfacing erst im Jahr 2015 von ihrer
Bühne verbannt habe? Und, wann die Met endlich eine Oper von einem
Schwarzen Komponisten aufführen würde?
## Kein Schwarzer Intendant, kein Schwarzer Dirigent
In einer von der Mezzo-Sopranistin J’Nai Bridges im Juli 2020 initiierten
Gesprächsrunde zwischen Schwarzen Kollegen zum Thema Rassismus im
US-Opernbetrieb sagte der Bass Morris Robinson, dass er in den 30 Jahren
seiner Karriere noch nie „von einer Schwarzen Person engagiert worden, von
einer Schwarzen Person inszeniert, noch nie einen Schwarzen
Opern-Intendanten, einen Schwarzen Vorstandsvorsitzenden oder einen
Schwarzen Dirigenten“ gehabt habe.
Und tatsächlich sind auch von den 45 Mitgliedern des Met-Vorstands nur drei
Schwarz. Es gab noch nie einen Schwarzen Intendanten oder Musikdirektor an
der Met. In dem 84-köpfigen Orchester der Met sitzen nur zwei Schwarze
Musiker und im achtköpfigen Musik-Team gibt es nur einen Schwarzen
Mitarbeiter.
„Zweifellos hatte die Black-Lives-Matter-Bewegung großen Einfluss“, sagte
Gelb der New York Times. „Es fühlte sich an, als wäre es wichtig für die
Met, zu reagieren.“ Also beschloss er, Blanchards Oper nicht irgendwann in
der Saison 2023 auf einer kleineren Off-Bühne zu präsentieren. Sondern ihr
den ganz großen Spot zu überlassen. Die historische Eröffnung der Spielzeit
2021/22, die erste Spielzeit nach der 18-monatigen Corona-Zwangspause.
Und um gar nicht erst den Anschein aufkommen zu lassen, es können sich hier
um einen „Token“, ein politisch korrektes Feigenblatt handeln, kündigte
Gelb Mitte September gleich die Aufführung einer weiteren Oper von einem
Schwarzen Komponisten an. Im Herbst 2023 soll Anthony Davis’ „X: The Life
and Times of Malcom X“ gezeigt werden. Außerdem gibt es seit Anfang des
Jahres die Stelle des „Chief Diversity Officer“ an der Metropolitan Opera,
die sich um eine diverse Belegschaft kümmern und strukturellen Rassismus
eindämmen soll.
## Standard & Poor's setzt sein Rating herab
Dass die Met sich um größere Diversität bemüht, hat aber auch noch einen
anderen Hintergrund. Schon vor der Pandemie hatte sie mit prekären Finanzen
und sinkenden Besucherzahlen zu kämpfen. Jede Spielzeit realisiert sie rund
200 Aufführungen mit etwa 20 verschiedenen Opern. Kostenfaktor: um die 300
Millionen US-Dollar. Das ist sehr viel Geld für ein Opernhaus, das sich
Saison für Saison ausschließlich aus Ticketeinnahmen und privaten Spenden
finanzieren muss. Von den staatlichen Subventionen, die deutsche
Opernhäuser erhalten, kann die Met nur träumen.
Im Herbst 2019 hatte die Kredit-Rating-Agentur Standard & Poor’s den
Ausblick des Met-Ratings von stabil auf negativ gesetzt. Das Opernhaus
hatte davor zwei Jahre in Folge rote Zahlen geschrieben. Auch wenn es nach
wie vor über einen hervorragenden Ruf weltweit verfüge, sei es für seine
hohen Ausgaben finanziell zu niedrig aufgestellt, lautete die Erklärung von
S&P. Die lange Schließzeit während der Pandemie hat mit einem geschätzten
Einnahmeverlust von 150 Millionen die prekäre finanzielle Lage noch
verstärkt.
Die finanzielle Not hat auch zu scharfen Auseinandersetzungen zwischen der
Leitung der Met und ihren Gewerkschaften geführt. Im Mai 2020 hat die Met
pandemiebedingt den Großteil ihrer Mitarbeiter entlassen und nur noch ihre
monatlichen Krankenkassenkosten bezahlt.
Als es an die Wiedereinstellungsverhandlungen ging, hatten viele
Mitarbeiter den Eindruck, die Leitung nutze die Notlage aus, um dauerhaft
niedrigere Löhne durchzusetzen. Die Verhandlung mit den Bühnenarbeitern zog
sich bis Anfang Juli dieses Jahres hin. Mit der Orchestergewerkschaft
konnte sogar erst Ende August eine Einigung gefunden werden.
Von alldem war an dem euphorischen Abend der Spielzeiteröffnung jedoch
nichts zu merken. „Es geht nur darum, die Kunstform Oper am Leben zu
erhalten“, sagte Peter Gelb der New York Times. „Wir versuchen gerade mit
allen Mitteln, die wir haben, die Oper einem möglichst breiten Publikum
zugänglich zu machen.“ Wenn das bedeutet, dass an der Met bald mehr
Produktionen wie „Fire Shut Up in My Bones“ zu sehen sind, könnte dieser
Plan sogar aufgehen.
4 Oct 2021
## LINKS
[1] /Corona-und-die-Kultur-in-New-York/!5683722
[2] /US-Kulturinstitutionen-in-der-Kritik/!5689704
## AUTOREN
Verena Harzer
## TAGS
Oper
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