| # taz.de -- Schwarzes Fotograf*Innen-Kollektiv: Forum von Gleichgesinnten | |
| > Realistische Bilder vom schwarzen Leben in den USA: Das Whitney Museum | |
| > zeigt eine Ausstellung zu den Fotograf*Innen des Kamoinge-Workshops. | |
| Bild: Adger Cowans, Footsteps, 1960 | |
| Das Schwarz-Weiß-Foto ist aus der Vogelperspektive aufgenommen. Es zeigt | |
| eine schneebedeckte Straße von oben. Die am Straßenrand parkenden Autos | |
| sind so stark eingeschneit, dass sich ihre Form nur noch in grauen | |
| Schattierungen andeutet. Ein Mann läuft nach vorne gebeugt mit den Händen | |
| in den Hosentaschen auf der ansonsten leeren Straße. Eine schwarze | |
| Silhouette vor weißem Grund. | |
| Für den Fotografen Adger Cowans, der das Foto „Footsteps“ 1960 aufgenommen | |
| hat, ist es einfach nur ein aus dem Fenster gemachter Schnappschuss. Die | |
| Fußspuren, die der Mann im Schnee hinterlässt, hätten es ihm angetan, sagt | |
| er in einem Interview für die Ausstellung „Working Together: The | |
| Photographers oft the Kamoinge Workshop“. Viele Leute hätten noch etwas | |
| ganz anderes in dem Foto gesehen, sagt Cowans: „Ein schwarzer Mann in einer | |
| weißen Welt.“ Er lacht an der Stelle, vielleicht weil es so wahr ist. | |
| Das Foto trifft ziemlich genau das Gefühl, das viele schwarze | |
| Fotograf*Innen in den 50er und 60er Jahren in den USA gehabt haben | |
| müssen. Ihr professionelles Wirken wurde von einer weißen Welt dominiert. | |
| Schwarze Fotograf*Innen, mit Ausnahme von Größen wie Roy DeCarava oder | |
| [1][Gordon Parks,] bekamen von den großen Zeitschriften oder Magazinen | |
| damals so gut wie keine Aufträge. | |
| Und wenn, dann nur mit dem Auftrag, das Klischee von der verarmten und | |
| kriminellen schwarzen Bevölkerung in den USA zu dokumentieren. Auch der | |
| Kunstbetrieb ließ sie links liegen. In der Regel wurde den Werken von | |
| schwarzen Fotograf*Innen kein künstlerischer Wert beigemessen. | |
| ## Was die etablierten Kulturinstitutionen ignorierten | |
| Die Ausstellung „Working Together“ i[2][m New Yorker Whitney Museum] zeigt | |
| vom 21. November 2020 bis zum bis 28. März 2021, was den etablierten | |
| Medien- und Kunstinstitutionen für viel zu lange Zeit entgangen ist. Etwa | |
| 140 Fotografien von 13 Fotografen und einer Fotografin sind dort zu sehen. | |
| Entstanden sind sie allesamt im Kontext des 1963 in New York gegründeten | |
| und bis heute existenten Kamoinge-Workshops. | |
| Ein schwarzes Fotograf*Innen-Kollektiv, das dem negativ konnotierten | |
| Klischeebild von schwarzem Leben und schwarzer Kultur in den USA ein | |
| realistisches entgegensetzen und ein professionelles Umfeld jenseits des | |
| Establishments aufbauen wollte. | |
| Die Sujets reichen von aus der Hüfte geschossenen Straßenfotos über | |
| Porträts von Grace Jones oder Miles Davis bis zu formalen und abstrakten | |
| Experimenten. Fast alle Fotos sind schwarz-weiß. Kostengründe spielten da | |
| sicherlich eine Rolle: Die Entwicklung von Schwarz-Weiß-Fotos war damals um | |
| einiges günstiger als die von Farbfotos. Die Schwarz-Weiß-Ästhetik kam aber | |
| auch der kompositorischen Dramatik vieler Fotografien des | |
| Kamoinge-Workshops entgegen, die häufig mit Schatten und starken Kontrasten | |
| spielt. | |
| Die Ausstellung, die ursprünglich vom Virginia Museum of Fine Arts in | |
| Richmond im Bundesstaat Virginia organisiert wurde, konzentriert sich auf | |
| die Arbeit und das Wirken in den ersten zwanzig Jahren des | |
| Kamoinge-Kollektivs. Das Wort Kamoinge entstammt der Sprache des Volks der | |
| Kikuyu in Kenia und bedeutet „eine Gruppe von Menschen, die zusammen | |
| handeln und arbeiten“. | |
| ## Neues afro-amerikanisches Selbstbewusstsein | |
| Dass die Gruppe auf ein Wort aus der Sprache eines afrikanischen Volkes | |
| zurückgreift, entspricht dem damaligen Zeitgeist. Sowohl die postkoloniale | |
| afrikanische Unabhängigkeitsbewegung als auch die US-amerikanische | |
| Bürgerrechtsbewegung sorgten in den USA der 60er Jahre für ein neues | |
| afroamerikanisches Selbstbewusstsein. | |
| Der mittlerweile verstorbene Louis Draper, Gründungsmitglied und eine | |
| zentrale Figur der Gruppe, hat 1995 in einem Vortrag über die Entstehung | |
| der Gruppe reflektiert: Sie sei aus einem Gefühl der Isolation heraus | |
| entstanden. Wir brauchten „ein Forum von Gleichgesinnten“, die unsere | |
| Arbeit mit „Ehrlichkeit und Verständnis“ sehen würden. „Kamoinge sollte… | |
| auch die Kraft geben, angesichts eines weitgehend feindlichen und | |
| bestenfalls gleichgültigen professionellen Umfelds weiterzumachen.“ | |
| Viele der in der Ausstellung zu sehenden Bilder sind mehr oder weniger | |
| spontane Aufnahmen im öffentlichen Raum. Meist sind es Alltagssituationen, | |
| Kinder beim Spielen in den New Yorker Straßen, zwei für den sonntäglichen | |
| Kirchgang schick gemachte Damen oder die lächelnde „Grandma Thomas“ mit im | |
| Schoß gefalteten Händen auf einem Stuhl im Garten. | |
| Häufig spielen die Fotografen mit den Aussagen von Graffiti-Schriftzügen | |
| oder Werbeslogans auf Plakaten. In Louis Drapers „Untitled (Grow Rich)“ | |
| stehen zwei Teenager vor einem Werbeplakat, auf dem die Dime Savings Bank | |
| of Brooklyn mit dem großen Schriftzug „Grow Rich“ wirbt. Oder Adger Cowans | |
| Aufnahme „Little Flower Baptist Church“, die einen Kircheneingang zeigt, | |
| neben den jemand an die Wand „Danger Keep Away“ geschrieben hat. | |
| ## Die Wahrheit über die Welt und die Gesellschaft | |
| Die ärmlichen Umstände, in denen viele Afroamerikaner in New York lebten, | |
| versuchten die Kamoinge-Mitglieder nicht zu vertuschen. Es ging ihnen viel | |
| mehr um „die Wahrheit über die Welt, über die Gesellschaft und über sich | |
| selbst“, wie im Vorwort zu ihrem ersten gemeinsamen Portfolio von 1964 zu | |
| lesen ist. | |
| Henri Cartier-Bresson, legendärer Meister der Straßenfotografie, hat den | |
| Begriff des „Entscheidenden Moments“ geprägt. Der Moment, in dem Form und | |
| Inhalt, Vision und Komposition sich, wenn der Fotograf auf den Auslöser | |
| drückt, zu einem magischem Augenblick ergänzen. Viele der Kamoinge-Fotos | |
| haben genau diesen Moment eingefangen. Wenn zum Beispiel, in einem Foto von | |
| Herbert Randall („Untitled“) ein weiß gekleidetes Mädchen aus einer dunkl… | |
| Eingangstür tritt und sich in einem Fenster über ihr die Sonnenstrahlen so | |
| brechen, als wären sie eine Strahlenkrone. | |
| Oder wenn Ming Smith in „America Seen through Stars and Stripes“ ein | |
| Schaufenster mit drei amerikanischen Flaggen aufnimmt, in dessen Glas sich | |
| die vorbeigehenden Passanten spiegeln. Während sich in der Sonnenbrille des | |
| davorstehenden und leicht nach oben blickenden schwarzen Mannes eine ganz | |
| andere Welt abzubilden scheint. | |
| Viele der ausgestellten Fotos sind von einem so starken kompositorischen | |
| Willen geprägt, dass ihr Sujet fast ganz in der Form aufgeht. Oder eine | |
| ganz neue Bedeutung annimmt. Zum Beispiel die von Louis Draper für das Foto | |
| „Congressional Gathering“ aufgenommenen, an einem Kleiderhaken hängenden | |
| Laken, die wie Ku-Klux-Klan-Kutten aussehen. | |
| ## Die Experimente machen die Ausstellung stark | |
| Oder die von Adger Cowans fotografierte auf dem Boden kauernde nackte Frau. | |
| Das Bild trägt den treffenden Titel „Egg Nude“. Denn tatsächlich hat Cowa… | |
| so mit der Beleuchtung gespielt, dass sich die Linien zwischen Beinen, | |
| Bauch und Armen verwischen und der rund gewölbte Rücken die Frau wie ein | |
| zerbrechliches Ei aussehen lässt. Es sind diese Experimente, die Auflösung | |
| der Grenzen zwischen dokumentarischer und abstrakter Fotografie, die der | |
| Ausstellung ihre Kraft geben. | |
| Einzelne Mitglieder des Kollektivs fanden im Laufe ihrer Karriere durchaus | |
| Anerkennung. Und trotzdem: Dass es fast sechzig Jahre dauern musste, dass | |
| der Wert der fotografischen Arbeiten des Kamoinge-Workshops auch von | |
| Kunstinstitutionen wie dem Whitney Museum anerkannt und gewürdigt wird, ist | |
| schon wieder ein Skandal für sich. | |
| 23 Feb 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Verena Harzer | |
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