| # taz.de -- Dokumentarfilm „Summer of Soul“: Nach dem Sommer der Liebe | |
| > Der Dokumentarfilm „Summer of Soul“ des Musikers Questlove macht Bilder | |
| > des Harlem Cultural Festival von 1969 zugänglich. | |
| Bild: Nina Simone beim Harlem Cultural Festiva | |
| Man nennt es das „Black Woodstock“. Die zeitliche Nähe legt das nahe, da | |
| das Harlem Cultural Festival parallel zum „weißen“ Woodstock im Sommer des | |
| Jahres 1969 lief. Die beiden Orte liegen bloß 100 Meilen voneinander | |
| entfernt. Auch die Besucherzahlen im Mount Morris Park in Harlem waren | |
| beachtlich. Zu den sechs Gratiskonzerten kamen insgesamt knapp 300.000 | |
| Zuhörer, in Woodstock waren es rund 400.000. Als ebenbürtiger Begriff | |
| eingeprägt hat sich das Gipfeltreffen schwarzer Musiker dennoch nicht. | |
| [1][Immerhin gab es 2019 in Harlem ein Jubiläumskonzert]. | |
| Die Konzerte wurden 1969 ausführlich in Bild und Ton festgehalten, doch gab | |
| es davon bisher sehr wenig zu sehen. Für die früheren Versuche des | |
| verantwortlichen Regisseurs Hal Tulchin, etwa einen Fernsehfilm daraus zu | |
| machen, fand sich nie genügend Geld. | |
| Jetzt hat sich der [2][Musiker und Produzent Ahmir „Questlove“ Thompson, | |
| Schlagzeuger der HipHop-Band The Roots], der Aufnahmen angenommen und sie | |
| in seinem Regiedebüt zu einem zweistündigen Dokumentarfilm | |
| zusammengestellt. | |
| Das Ergebnis ist ein wunderbarer Musikfilm, in dem [3][Nina Simone], | |
| Mahalia Jackson, Stevie Wonder, Mavis Staples, BB King und [4][Sly Stone] | |
| in Hochform zu erleben sind. Questlove hat sich allerdings nicht darauf | |
| beschränkt, seine Kollegen bei der Arbeit zu zeigen. Besucher von damals | |
| kommen ebenfalls zu Wort, erinnern sich mit 50 Jahren Abstand an ihre | |
| Erlebnisse, auch einige der aufgetretenen Künstler, sofern noch am Leben, | |
| geben Kommentare aus heutiger Sicht. | |
| ## Zeit der Spannungen | |
| Der Film zeichnet damit in knappen Strichen ein Bild der Lage der | |
| Afroamerikaner in den sechziger Jahren, erzählt nebenbei von Unruhen und | |
| schildert den Hintergrund des Festivals. Es diente neben der Feier einiger | |
| der größten Musiker des Planeten zugleich als Mittel, um sozialen Frieden | |
| zu sichern. | |
| Auf der Bühne stand der Leiter des Festivals, der charismatische Sänger | |
| Tony Lawrence, um in eleganter Garderobe die Musiker anzukündigen, diskret | |
| in Bühnennähe wachten Mitglieder der Black Panthers. Diese hatte Lawrence | |
| mit der Sicherheit beauftragt, nachdem die New Yorker Feuerwehr diese | |
| Aufgabe nicht hatte übernehmen wollen. Anders als bei den Hells Angels, die | |
| diesen Job im Dezember desselben Jahres im kalifornischen Altamont für die | |
| Rolling Stones erledigten, kam beim „Black Woodstock“ niemand durch die | |
| Sicherheitskräfte zu Tode. | |
| Auf der Bühne zu erleben sind Stimmen wie der 19-jährige Stevie Wonder, der | |
| gerade erst begonnen hatte, sich auch als Beobachter gesellschaftlicher | |
| Entwicklungen zu begreifen, was sich später in Alben wie „Innervisions“ | |
| niederschlagen sollte. Expliziter sowohl in ihren Texten als auch in der | |
| psychedelisch aufgeheizten Musik geben sich Sly & the Family Stone. Was ein | |
| Zuschauer im Rückblick schwer zu verdauen fand, war der Umstand, dass mit | |
| Greg Errico ein Weißer „ausgerechnet“ am Schlagzeug saß. | |
| Am deutlichsten fällt die Botschaft bei Nina Simone aus. Die Sängerin und | |
| Pianistin trug in Harlem nicht bloß zum ersten Mal ihren Empowerment-Song | |
| „To Be Young, Gifted, and Black“ vor, sondern bot zudem eine | |
| Spoken-Word-Performance, in der sie ihre fellow people direkt fragte: „Are | |
| you ready to kill?“ Die sozialen Spannungen, wird spätestens da deutlich, | |
| schlugen sich längst in radikalen Positionen nieder. Nina Simone beließ es | |
| bekanntlich bei Worten. | |
| Dass „Summer of Soul“ dem Festival mit so großer Verspätung ein Denkmal | |
| setzt, dürfte sogar zusätzlich zur Wirkung des Films beitragen. Ist er doch | |
| ein indirekter Kommentar zur Black-Lives-Matter-Bewegung, in dem es gerade | |
| nicht um Gewalt, sondern um friedliche Selbstbehauptung von Afroamerikanern | |
| geht. Was an dieser Selbstbehauptung bisher fehlte, war die Sichtbarkeit. | |
| Das hat Questlove nachgeholt. | |
| 1 Aug 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Tim Caspar Boehme | |
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