| # taz.de -- Questloves Memoiren: Geburt des HipHop in Bill-Cosby-Show | |
| > The-Roots-Drummer Questlove hat Memoiren verfasst. Sie wirken wie | |
| > exzentrische Episoden aus einer Sitcom, die eine Chronik des US-HipHops | |
| > nachstellt. | |
| Bild: 2010: The Roots mit Questlove am Schlagzeug live in Vancouver. | |
| Nachts in New York City, Mitte der neunziger Jahre: Ahmir Thompson | |
| begleitet seinen Freund, Rapper Q-Tip (von A Tribe Called Quest) auf eine | |
| Party. Sie kommen an und mitten im Club steht Prince. Prince, Thompsons | |
| großes Idol, dessen Album „1999“ er als Kind ganze acht Mal gekauft hat, da | |
| seine Mutter die als anstößig geltende Platte jedes Mal, wenn sie sie fand, | |
| erneut vernichtete. | |
| Als Thompson von seinem Idol aus einem The Roots-Musikclip erkannt wird, | |
| fängt er zu zittern und zu stammeln an. Nicht wissend, was er sagen soll, | |
| verlässt er den Club. Fünf Minuten später kehrt Thompson zurück, stellt | |
| sich ehrfürchtig vor Prince und sagt aus dem Nichts heraus: „Der Song | |
| ’Dinner with Dolores‘ hat das großartigste Finale in der postmodernen | |
| schwarzen Rock-Geschichte.“ Peinliche Stille im Raum. | |
| Geschichten wie diese hat Ahmir Thompson, besser bekannt als Questlove, | |
| unzählige auf Lager. Der 43-jährige Drummer und Produzent der fantastischen | |
| US-HipHop-Band The Roots ist nicht nur Musik-Nerd und -Genie zugleich, er | |
| ist ein wahrhaftiger Entertainer. So lesen sich seine Memoiren „Mo’ Meta | |
| Blues – The World According to Questlove“ wie exzentrische Episoden aus | |
| einer Sitcom, die eine alternative Chronik des US-HipHop der vergangenen 20 | |
| Jahre nachstellt. | |
| Schließlich standen The Roots gleich 1995, als ihr Debütalbum „Do You Want | |
| More?!!!??!“ erschien, inhaltlich gegen all das, wovon die Mehrheit der | |
| Rapper so schwärmte: Gewalt, Drogen und protzige Goldketten. Stilistisch | |
| waren sie Avantgardisten – spielten HipHop-Beats mit analogen Instrumenten, | |
| setzten vor allem bei Liveauftritten auf erhabene Jazzmomente. | |
| Obwohl The Roots mit Black Thought schon immer einen der geistreichsten MCs | |
| hatten, ihr Drummer Questlove ist stets der heimliche Kopf der Band | |
| gewesen. Als „eigenartiger, ein 1,90 Meter großer, wandernder Afro“, so | |
| bezeichnet Thompson sich selbst. | |
| ## Besser als jede Songdatenbank | |
| Unter seiner zum Markenzeichen avancierten Haarpracht verbirgt sich, wie | |
| sich nun herausstellt, eine Musikanthologie, mit der keine Songdatenbank | |
| mithält. Wie beiläufig zeichnet Thompson in seinem Buch Analysen und neue | |
| Kontexte von Klassikern auf. All seine Erinnerungen sind immer mit Songs | |
| verbunden. So erfährt man etwa, dass Curtis Mayfields Song „Freddie’s | |
| Death“ lief, als sich der zweijährige Thompson 1973 am Heizungskörper | |
| verbrannte. | |
| Oder dass er sich am Morgen des 11. September 2001 am Times Square | |
| entschloss, trotz Widerwillen das Album „The Blueprint“ seines | |
| Rapperkollegen Jay-Z zu kaufen. Als Kind von Musiker-Eltern, die ihn | |
| ständig mit auf Tour nahmen, hatte Questlove immerhin die besten | |
| Voraussetzungen, um sich zu einem der gefragtesten Produzenten der nuller | |
| Jahre zu entwickeln. | |
| Neben seiner Bandarbeit mit The Roots stand Questlove nämlich unermüdlich | |
| mit anderen Künstlern im Studio, um eine Bewegung anzuführen, die man | |
| später als Neo-Soul bezeichnete. Im Jahr 2000 produzierte er gleich zwei | |
| unbestrittene Meisterwerke mit: „Voodoo“ von D’Angelo und „Mama’s Gun… | |
| Erykah Badu. Über Letztere liest man äußerst Erhellendes: „Schau ihr | |
| niemals länger als fünf Sekunden in die Augen, weil dann wird dein Gehirn | |
| zu ihrem Gehirn. Sie übernimmt dich.“ | |
| Eine andere merkwürdige Theorie, die Questlove aufstellt, ist die der | |
| Geburtsstunde des modernen HipHop: in einer 1986 ausgestrahlten Folge der | |
| US-TV-Serie „The Bill Cosby Show“, in der Stevie Wonder einen Gastauftritt | |
| hinlegt, soll seine Generation – laut Questlove – erstmals ein Sample-Gerät | |
| bestaunt haben. Über all diesen unfassbar amüsanten Insidertalk hinaus aber | |
| gelingt Questlove auch die Ebene der Selbstreflexion überzeugend. | |
| ## Sorgen um die Haltbarkeit | |
| Denn der Werdegang des Wunderkinds aus Philadelphia erscheint keineswegs | |
| als Selbstverständlichkeit. Nach jedem Album startet das Ego bei Null. Der | |
| Künstler zweifelt: Schaffe ich es, mich ein weiteres Mal neu zu erfinden? | |
| Wie lange ist die Haltbarkeit einer HipHop-Band, bevor sie nur noch | |
| überflüssige Musik produziert? | |
| Diese Distanz zum Selbst funktioniert nicht zuletzt wegen der Mitarbeit des | |
| Co-Autors Ben Greenman, Redakteur beim Magazin The New Yorker, und dem | |
| Mitspracherecht des Roots-Managers und engen Freundes Richard Nichols, der | |
| über Fußnoten Anekdoten gerade rückt oder zynisch kommentiert. So ergibt | |
| sich eine Dialogsituation auch zu den Lesern und Questlove entkommt der | |
| Situation einer One-Man-Show, die sowieso nicht seine Sache ist. | |
| Die schönsten Stellen des Buchs sind dennoch jene, in denen Questlove frei | |
| vor sich hin philosophiert, etwa wenn er seitenlang von der metaphysischen | |
| Schönheit der Produktionen J Dillas schwärmt, seinem zweiten großen Idol | |
| neben Prince. | |
| Hier spricht der Nerd, der fast autistische Plattendigger aus ihm, der „Mo’ | |
| Meta Blues“ nicht nur zur Biografie eines Sympathikus, sondern zu einer | |
| mitreißenden Spurensuche macht, nach den Geheimnissen der jüngeren | |
| schwarzen Musikästhetik. | |
| 5 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Fatma Aydemir | |
| ## TAGS | |
| HipHop | |
| Missbrauch | |
| Musik | |
| Biografie | |
| Marteria | |
| Musik | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Zum Tod des Rappers Phife Dawg: Sein Reimstil bleibt unnachahmlich | |
| Mit seiner Crew A Tribe Called Quest gehörte er zu den Größen des HipHop. | |
| Nun ist Phife Dawg alias Malik Isaac Taylor im Alter von 45 Jahren | |
| gestorben. | |
| Bericht über Missbrauchsvorwurf: Cosbys Deal mit dem Boulevard | |
| Bill Cosby soll 2005 einen Deal mit dem Magazin „National Enquirer“ | |
| eingegangen sein. So wollte er verhindern, dass Missbrauchsvorwürfe gegen | |
| ihn publik werden. | |
| Musiker Big Bank Hank: Der den Rap in die Welt trug | |
| Er kam aus der Bronx und erprobte sein loses Mundwerk als Türsteher: Big | |
| Bank Hank. Jetzt ist der Rapper alias Henry Lee Jackson mit 58 Jahren | |
| gestorben. | |
| Biografie von Manu Chao: Der letzte Desperado | |
| Eine neue Biografie kommt dem Anti-Popstar der globalisierungskritischen | |
| Bewegung so nahe, wie man ihm wohl nur nahekommen kann. | |
| Marteria über Lila Wolken und Politik: „Auf jeden Fall bin ich links“ | |
| Auf Reisen nach Lateinamerika und Afrika habe er Not und Protest erlebt, | |
| sagt Marteria. Die Erfahrungen ließ der 31-Jährige Rapper in sein neues | |
| Album einfließen. | |
| Wochenendschwerpunkt: Klang der Freiheit: Nur Biermann durfte nicht singen | |
| Musikalisch war im Rahmen der Weltfestspiele 1973 vieles präsentabel, was | |
| sonst nur geduldet wurde in der DDR. Angekommen war der Rock ’n’ Roll aber | |
| schon längst in der Hauptstadt. | |
| Neues Album von Cody ChesnuTT: Der Bärtige, der sich die Brust hält | |
| Er wäre gern der neue Marvin Gaye: Der afroamerikanische Sänger Cody | |
| ChesnuTT legt sein neues Album „Landing on a Hundred“ vor. Hat ihm die | |
| zehnjährige Auszeit gutgetan? | |
| Neue Dub-Alben: Punky Reggae Party mit House | |
| Die Alben von The Orb mit Lee Perry, Adrian Sherwood und Kings of Dubrock | |
| spielen mit der Dialektik von Kontinuität und Bruch. Sie schweben im | |
| „Hardcore Continuum“. | |
| Doku über US-Bürgerrechtsbewegung: Die eigene Geschichte | |
| In "Black Power Mixtape 1967-1975" porträtiert Göran Olsson die | |
| US-Bürgerrechtsbewegung einmal anders. Er verbindet Bekanntes mit neu | |
| entdecktem Archivmaterial. |