# taz.de -- Doku über US-Bürgerrechtsbewegung: Die eigene Geschichte | |
> In "Black Power Mixtape 1967-1975" porträtiert Göran Olsson die | |
> US-Bürgerrechtsbewegung einmal anders. Er verbindet Bekanntes mit neu | |
> entdecktem Archivmaterial. | |
Bild: Martin Luther King und Harry Belafonte in der Dokumentation "The Black Po… | |
Historische Bewegungen und Ereignisse verfügen über zweierlei Narrative. | |
Ersteres ist die offizielle Version. Sie beruht auf Bildern und Biografien, | |
aus denen sich identitätsstiftende Momente, eine verbindliche und | |
verbindende Politik, herleiten lassen. | |
Die zweite, nichtöffentliche Version speist sich aus persönlichen | |
Erfahrungen und kulturellen Spezifika, die aus dem Blickfeld der breiten | |
Öffentlichkeit herausfallen oder sich der medialen Aufmerksamkeit | |
weitgehend entziehen - denen aber dennoch eine integrale Rolle innerhalb | |
der Geschichtsschreibung zukommt. | |
Es ist eine nicht zu unterschätzende Qualität der Dokumentation "Black | |
Power Mixtape 1967-1975", diese beiden Erzählstränge zusammenzuführen. | |
Die amerikanische Bürgerrechtsbewegung der sechziger und siebziger Jahre | |
gehört zu den bestdokumentierten politischen Fixpunkten der amerikanischen | |
Geschichte des 20. Jahrhunderts. Ihre Protagonisten sind bestens bekannt. | |
Die meisten von ihnen gehören längst zur politischen Folklore des Landes | |
oder sind selbst populäre Ikonen: Martin Luther King, Malcolm X, Angela | |
Davis, Stokely Carmichael, Eldridge Cleaver, Huey Newton. "Black Power | |
Mixtape 1967-1975" unternimmt den Versuch, der offiziellen Version einige | |
neue Nuancen abzugewinnen. | |
Eine Dokumentation im klassischen Sinne, so viel verrät schon der Titel, | |
ist "Black Power Mixtape 1967-1975" nicht. Mixtapes wecken Gefühle und | |
Assoziationen. Ähnlich fungieren die Bilder, die der Filmemacher Göran | |
Olsson fast vierzig Jahre nach ihrer Entstehung eher zufällig in einem | |
schwedischen Fernseharchiv entdeckte. Aufnahmen, die schwedische Drehteams | |
- annähernd dreißig Journalisten - auf der Höhe der amerikanischen | |
Bürgerrechtsbewegung vor Ort für das Fernsehen produzierten. | |
## Schwarze Erfahrungen in der weißen Gesellschaft | |
Olsson hat das disparate Material nun zu einer (mehr oder weniger) | |
zusammenhängenden Geschichte verarbeitet, die sich insofern mit der | |
offiziellen Version deckt, als dass sie die Grundzüge eines | |
gesellschaftlichen Wandels sichtbar macht. Viel bedeutender aber ist, dass | |
es dem Film gelingt, über einen Zeitraum von mehr als vierzig Jahren die | |
"schwarze Erfahrung" in der amerikanischen Gesellschaft in prägnante Worte | |
und Bilder zu fassen. | |
"Black Power Mixtape 1967-1975" ist ein transatlantisches und | |
generationenübergreifendes Projekt. Olsson hat die nie zuvor gesehenen | |
Dokumentaraufnahmen und Interviews (unter anderem mit Angela Davis, Stokely | |
Carmichael, Bewohnern von Harlem, Jugendlichen und Vietnam-Heimkehrern) | |
einer neuen Generation von afroamerikanischen Künstlern wie dem | |
Native-Tongues-HipHopper Talib Kweli, Roots-Schlagzeuger Questlove (der | |
auch den Soundtrack geschrieben hat), Erykah Badu und John Forté | |
vorgespielt. | |
Sie nehmen die Bilder als Vorlage, um aus dem Off über die Einflüsse der | |
Bürgerrechtsbewegung auf ihre eigenen Leben zu sprechen. Auch die | |
Protagonisten der Vergangenheit blicken zurück auf eine bewegte und | |
radikale Zeit: Angela Davis natürlich und Black-Panther-Mitbegründer Bobby | |
Seale, die Dichterin Sonia Sanchez, Filmemacher Melvin van Peebles und | |
Last-Poets-Frontmann Abiodun Oyewole. Bilder und Interviewtöne bilden einen | |
eigenständigen Diskurs, der aus der gesicherten Vergangenheit bis weit in | |
die Gegenwart reicht. | |
Ganz erstaunliche Aufnahmen sind darunter. Das Interview eines schwedischen | |
Reporterteams mit der Mutter von "Black Power"-Stichwortgeber Stokely | |
Carmichael zum Beispiel, in dessen Verlauf Carmichael selbst in die Rolle | |
des Fragestellers schlüpft und die Mutter mit sanftem Nachdruck von ihrer | |
gesellschaftlichen Situation erzählen lässt, die so exemplarisch war für | |
Millionen von afroamerikanischen Familien. | |
Carmichael vollzieht, als er den Reportern das Mikrofon wegnimmt, um seiner | |
Mutter die "richtigen" Fragen zu stellen, im Grunde schon das, was Erykah | |
Badu gegen Ende des Films proklamiert: dass die Menschen anfangen müssen, | |
ihre eigene Geschichte zu dokumentieren, um nicht irgendwann einfach aus | |
ihr herausgeschrieben zu werden. | |
## Bis heute hat sich nichts verändert | |
Mit diesem Satz beschreibt Badu indirekt auch die Problematik von | |
Dokumentationen wie "Black Power Mixtape 1967-1975" oder Agnès Vardas | |
"Black Panther", die bei aller Sympathie zwangsläufig immer eine | |
europäische Perspektive einnehmen. Wie stark die Sichtweisen mitunter | |
divergieren, zeigt ein kurzes Interview mit der damals inhaftierten Angela | |
Davis, in dem sie den schwedischen Reportern ihr Verständnis eines | |
radikalen Gewaltbegriffs erklären soll. | |
Davis, die in einem vom Ku-Klux-Klan beherrschten Landstrich aufwuchs, | |
reagiert verständlicherweise genervt auf die naive Frage des Reporters. | |
Solche kulturellen Differenzen sind im Material von "Black Power Mixtape | |
1967-1975" sehr schön konserviert. Daran hat sich allerdings auch im | |
Amerika Barack Obamas nur unwesentlich etwas geändert. | |
15 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Andreas Busche | |
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