Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- 94. Oscar-Verleihung mit Ohrfeige: Die Crux des Heimglotzens
> Bei der 94. Oscar-Verleihung ging es handgreiflich auf der Bühne zu.
> Preise gingen vor allem an Filme von Streamingdiensten.
Bild: Oscar-Gewinner Will Smith ohrfeigt Moderator Chris Rock
„The Power of the Dog“ ist ein Film über toxische Männlichkeit. Über
Aggressivität, über klassische Verhaltensweisen, über einen versperrten
Zugang zu den Gefühlen. Wie aktuell [1][Jane Campions sensueller, subtiler
Spätwestern] ist, der bei den 94. Oscars mit zwölf Nominierungen, aber nur
einem Preis (Beste Regie) geehrt wurde, konnte man auf der Verleihung
erleben: Nachdem Laudator Chris Rock einen despektierlichen Witz über Jada
Pinkett-Smith gemacht hatte und von „GI Jane 2“ frotzelte, platzte Will
Smith der Kragen.
Er stapfte auf die Bühne, schlug Rock ins Gesicht, und stapfte zurück an
seinen Platz, von wo aus er Rock weiter beschimpfte: „Keep my wife’s name
out of you fucking mouth.“ So folgte ein Punch auf eine Punchline.
In Ridley Scotts reaktionärem Actiondrama „GI Jane“ spielte Demi Moore 1997
eine Leutnantin, die als erste Frau eine schwierige Zusatzausbildung
abservieren will. Moore trug die Haare in ihrer Rolle raspelkurz. Kahl saß
auch Jada Pinkett-Smith im Dolby Theatre – ihre Glatze ist allerdings ihrer
Krankheit geschuldet: Sie hat Alopecia, kreisrunden Haarausfall.
## Schutzpatron der Schwächeren
Es ist also schwer zu sagen, wer sich bei der Verleihung am Sonntag
dämlicher benommen hat: Der Comedian, der sich vor der Welt über die
Krankheit einer Frau lustig macht, die sie eines als klassisch weiblich
geltenden Attributs beraubt. Oder der Schauspieler, der meint, im Namen
seiner Ehefrau einen anderen Mann schlagen und sie damit „rächen“ zu
müssen.
Dass [2][Will Smith kurz darauf einen Preis für sein hingebungsvolles Spiel
in „King Richard“ bekam, dem Biopic über Serenas und Venus’ Vater Richard
Williams], machte die Sache kaum besser. Zwar versuchte Smith, sein
Verhalten zu entschuldigen, und kreiste in seiner Dankesrede tränenerstickt
um die Worte „protection“ und „family“ – wie Williams seine Töchter
beschützt habe, würde er sich als Schutzpatron der Schwächeren fühlen.
Aber das konnte nicht verschleiern, dass toxische Männlichkeit noch immer
verbreitet ist – auch bei als emotional geltenden Künstlern jeglicher
Hautfarbe. Rocks zuweilen beleidigender Humor, der in der Comedy-Szene
gefeiert wird, unterstreicht das.
## Konventionell und schlicht
Auch andere Entscheidungen der rund 10.000 Academy-Mitglieder lassen sich
diskutieren – „Coda“, der „Beste Film“, ist eine anrührende
Coming-of-Age-Geschichte, in der eine hörende Tochter gehörloser Eltern
ihre Liebe zur Musik und zum Gesang entdeckt. Der Film ist ein nötiger und
wichtiger Triumph für die Teilhabe und Repräsentanz von Menschen mit
Handicap, konventionell und schlicht ist er dennoch.
Inwiefern die Wahl der Mitglieder mit der Sichtungssituation zusammenhing,
wird man (mal wieder) nicht ausreichend analysieren können: Einen
langsamen, bildlich opulenten und herausfordernden Film wie „The Power of
the Dog“ im bequemen Zuhause via Netflix anzuschauen, macht etwas aus. Der
als „Bester Hauptdarsteller“ nominierte Benedict Cumberbatch, der gegen
Smith verlor, hatte vorher in der Vanity Fair deutlich die Praxis der
Streamer kritisiert, Filmen nur eine kurze Kinoauswertung zu gönnen.
Und ob [3][Hans Zimmer, der Preisträger des Musik-Oscars, die vielen Ideen
des „Dune-Scores] wirklich selbst kreiert hat, lässt sich kaum nachprüfen �…
die Praxis US-amerikanischer Filmmusiker:innen, für kleines Salär und ohne
Namensnennung sogenannte „Ghostwriter“ zu beschäftigen, ärgert die Branche
schon lange. Dass die Streamer zudem kaum Lizenzgelder an
Komponist:innen zahlen, verschlimmert deren Situation.
Das Thema Ukrainekrieg wurde am Sonntag weitgehend ausgespart – über
Politik, so schien es, traute man sich bei der vorsichtigen Präsenzshow
nicht zu sprechen. Immerhin kann sich der [4][Musiker Questlove über den
Oscar für „Summer of Soul“] freuen. Und natürlich ist sein Film über das
Harlem-Musikfestival 1969 politisch – Rassismus, Diskriminierung und
Nationalstolz spielten dort ebenso eine Rolle wie bei sämtlichen aktuellen
politischen Brandherden.
28 Mar 2022
## LINKS
[1] /Regisseurin-ueber-Frauen-in-der-Filmwelt/!5815793
[2] /Spielfilm-King-Richard-im-Kino/!5834024
[3] /Science-Fiction-Neuverfilmung-Dune/!5799619
[4] /Dokumentarfilm-Summer-of-Soul/!5786287
## AUTOREN
Jenni Zylka
## TAGS
Kino
Hollywood
Oscars
Toxische Männlichkeit
Kolumne Cultural Appreciation
Oscarverleihung
Haare
Netflix
Spielfilm
Western
Dokumentarfilm
## ARTIKEL ZUM THEMA
Academy Awards ohne Selenski: Kein Platz für echte Politiker
Bei den Oscars gab es keinen Auftritt des ukrainischen Präsidenten. Über
die Gründe wird wild spekuliert.
95. Oscar-Verleihung: „Everything Everywhere“ gewinnt
Der Science-Fiction-Film holt sieben Oscars. Das deutsche Weltkriegsdrama
„Im Westen nichts Neues“ wird bester internationaler Film und erhält
insgesamt vier Oscars.
Haare und Identität: Haarlose Frauen tragen ein Stigma
Die Debatte um die Ohrfeige bei den Oscars zeigt: Frauen, die unfreiwillig
eine Glatze haben, sind in unserer Gesellschaft ein Niemand.
Reaktion auf sinkende Kundenzahlen: Tabubruch bei Netflix
Erstmals seit zehn Jahren verliert Netflix Kund:innen. Nun will der
Streamingdienst Zuzahlung bei geteilten Abos verlangen und Werbung
einführen.
Spielfilm „King Richard“ im Kino: Schläger auf Sandplatz
„King Richard“ erzählt von den späteren Tennisstars Venus und Serena
Williams. Mithilfe ihres Vaters wurden sie von weißen Trainern gefördert.
Regisseurin über Frauen in der Filmwelt: „Die Filmwelt ist ungerecht“
Regisseurin Jane Campion hat mit „The Power of the Dog“ einen Silbernen
Löwen gewonnen. Frauen seien in Wettbewerben immer noch unterrepräsentiert,
sagt sie.
Dokumentarfilm „Summer of Soul“: Nach dem Sommer der Liebe
Der Dokumentarfilm „Summer of Soul“ des Musikers Questlove macht Bilder des
Harlem Cultural Festival von 1969 zugänglich.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.