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# taz.de -- Berlins Senatsbaudirektorin im Interview: „Schöner kann es nicht…
> Erst, als die Linkspartei das Bauressort übernahm, konnte Regula Lüscher
> so, wie sie wollte. Nach 14 Jahren scheidet die Senatsbaudirektorin nun
> aus dem Amt.
Bild: Mit Berlin im Hintergrund: Regula Lüscher, bis Ende Juli noch im Amt
taz: Frau Lüscher, es heißt, man soll immer dann gehen, wenn es am
schönsten ist. Stimmt das?
Regula Lüscher: Ja, das sage ich auch. Die letzten fünf Jahre waren
wirklich am schönsten. Eindeutig. Schöner kann es nicht mehr werden.
War es deshalb in den letzten fünf Jahren am schönsten, weil Sie mit einer
Senatorin und einem Senator der Linken zusammengearbeitet haben? Mit Katrin
Lompscher und Sebastian Scheel?
Ich glaube, es war am schönsten, weil wir einfach ein wahnsinnig gutes Team
waren. Es hat menschlich supergut funktioniert. Zum Team gehörten da mehr
als Frau Lompscher und Herr Scheel. Da ist die Pressestelle, da sind die
Referentinnen und Referenten, die Vorzimmer.
Wie war das, als [1][Frau Lompscher zurückgetreten] ist?
Es war der schlimmste Tag für mich in meinen 14 Jahren als
Senatsbaudirektorin. Ich hab das sehr bedauert. Aber Sebastian Scheel hat
das in einer bewundernswerten Weise übernommen. Und auch meine neue
Kollegin als Staatssekretärin, Wenke Christoph, ist ganz toll.
Sie haben in Ihrer Amtszeit auch andere Konstellationen erleben dürfen.
Legendär war die 14. Etage im Verwaltungsgebäude in der Württembergischen
Straße. Das war die Chefinnenetage, in der unter Senatorin Ingeborg
Junge-Reyer nur Frauen gearbeitet haben. Damals hieß es scherzhaft, jeder
Abteilungsleiter, der zur Senatorin zitiert wurde, hatte vor der Etage
Bammel. Wie haben Sie das empfunden?
Ich selber mag gemischte Teams. Vor allem im Umgang mit Machtthemen kann
ich auch von Kollegen lernen. Auch wie sie anders mit Konflikten umgehen.
Das heißt nicht, dass ich das dann auch so machen muss, aber ich bekomme
gespiegelt, mit was ich konfrontiert bin, ich kann es besser verstehen.
Deshalb sind für mich gemischte Teams stärker. Die Zeit mit den vier Frauen
auf der Etage war nicht unbedingt die leichteste. Wir haben mit ähnlichen
Strategien die Probleme gelöst, und dabei hat uns vielleicht ein gewisses
Repertoire gefehlt.
Weil da ein geschützter Raum entstanden ist, der mit der Realität draußen
wenig zu tun hatte und einen vielleicht auch in falscher Sicherheit gewiegt
hat?
Ja. Aber trotzdem war es mutig und bemerkenswert. Auch dass mich Frau
Junge-Reyer ganz von außen geholt hat.
Aber die Chemie muss stimmen.
Die Chemie muss stimmen, ja. Aber ich hab mich auch gefragt, ob es einen
Unterschied macht, ob ich in einem linken Haus arbeite oder, wie vorher, in
einem SPD-Haus.
Und?
Es ist natürlich ein Unterschied. Die SPD ist eine große Partei, da sind
viele Leute drin, die ihre Karriereplanung haben, für die das ein Beruf
ist. Bei der Linken hab ich viel mehr das Gefühl, dass das
Überzeugungstäter sind.
Auch was Architektur, Städtebau und Gestaltung angeht?
Mehr im politischen Sinne. Der zweite Unterschied war dann, dass ich große
Parallelen in der Sozialisierung zwischen Ostdeutschen und Schweizern
gesehen habe.
Welche?
Bescheidenheit in Bezug auf die eigene Person. Dass es nicht
selbstverständlich ist, dass einem alles zusteht. Aber auch so kleine
Dinge. Ich bin selber in der Schweiz in einer Siedlung aufgewachsen, da ist
es selbstverständlich, dass man die Waschküche und den Trockenraum mit
allen teilt. Diese Erfahrung teile ich nur mit einem bestimmten Teil der
Bevölkerung.
Und architektonisch und städtebaulich?
Das ungebrochene Verhältnis zur Nachkriegsmoderne. Das ist für mich ein
natürlicher Teil der Architekturgeschichte. Und das ist auch die Geschichte
meiner Eltern. Da habe ich Verbündete gefunden, die diese Geschichten mit
mir teilen. Auch wenn ich natürlich aus einem anderen politischen System
komme und auch nicht die geschichtliche Belastung habe.
Zu der in Deutschland auch gehört, dass die Moderne der radikale Bruch mit
der Vergangenheit ist, auch mit der des Nationalsozialismus.
Die geschichtliche Belastung haben alle Deutschen, egal ob in Ost oder
West. Das kann eine Tätergeschichte sein, eine Verfolgungsgeschichte oder
eine Teilungsgeschichte. Mit diesem Rucksack durch die Welt zu gehen und
dann Europa voranzubringen oder die Türen zu öffnen für die Flüchtlinge,
das ist bemerkenswert.
Da ist der neutrale Schweizer Rucksack leichter.
Manchmal auch naiv leer. In der Schweiz war ich eine extrem ausgefeilte und
reflektierte Architekturdebatte gewohnt. Die wenig gesellschaftspolitisch
oder politisch war. Und dann komme ich hierher und diskutiere über Glas
oder Stein und musste plötzlich verstehen, dass da sehr viel Geschichte und
politische Positionierung mitschwingt.
Glas ist transparent und neu, Stein steht für das Alte, der Rucksack eben.
Das ist Teil der Diskussion, ja.
Waren Sie überrascht, als Frau Lompscher Sie 2016 gefragt hat, ob Sie
weiter im Amt bleiben wollen? Das ist ja eher ungewöhnlich. Normalerweise
suchen sich Politikerinnen Staatssekretäre aus der eigenen Partei.
Ich war nicht überrascht. Katrin Lompscher und ich kannten uns seit
Anbeginn. Als ich angefangen habe, war sie Umweltsenatorin. Nach Rot-Rot
war sie dann stadtentwicklungspolitische Sprecherin und Expertin. Es gab
sehr wenige im Abgeordnetenhaus, mit denen ich so fundiert diskutieren
konnte. Das hat uns verbunden.
Dann fanden Sie es bestimmt reizvoll, dass das Bauressort, das gefühlt seit
dem Krieg bei der SPD war, 2016 an eine andere Partei gegangen ist?
Persönlich fand ich das gar nicht so spektakulär.
Die SPD hat den Phantomschmerz bis heute nicht verwunden.
Natürlich war damit auch ein Paradigmenwechsel verbunden. Ich fand das
schön …
… weil auch mal frische Luft reinkam und eine Verwaltung, die so tief
sozialdemokratisch geprägt wurde, mal etwas gelüftet wurde in ihrer
Verstaubtheit? Oder war das gar nicht der Fall? Unter der 14. Etage sind ja
noch 13 andere.
Das ist bei jedem Regierungswechsel die große Herausforderung an die
Führung und Leitung, gerade auch an die Staatssekretäre. Sie sollen die
Verwaltung in eine neue Richtung führen, das bedeutet viel Veränderung,
weil manche Projekte auch in eine andere Richtung geleitet werden. Das löst
auch Verunsicherung aus. Da haben aber eine transparente Kommunikation und
eine Zugewandtheit und Wertschätzung von Katrin Lompscher den Leuten
gegenüber geholfen.
Wie war das, als Sie 2007 nach Berlin kamen? Wie hat die Stadt auf Sie
gewirkt?
Ich habe natürlich wie alle das Bild von der kreativen Stadt im Kopf
gehabt. Aber dann hat es mich in ein politisches Amt gespült, wo ich
gemerkt habe, wie abgeschlossen das alles ist, fast ein Inseldasein. Fast
kleinstädtisch.
Der politische Apparat und die politische Kultur haben nichts mit dem Bild
der Stadt zu tun?
Null! Das passt überhaupt nicht zusammen. Das hätte ich nie erwartet. Und
dann musste ich auch noch preußische Verwaltung lernen. Wenn ich das
gewusst hätte, hätte ich diesen Schritt nicht gemacht.
Was wurde Ihnen denn versprochen?
Mir wurde nichts versprochen. Aber wie konnte Frau Junge-Reyer ahnen, wie
meine Welt funktioniert? Und ich konnte nicht ahnen, wie ihre Welt
funktioniert.
Wie war das, als Sie nach Berlin geholt wurden?
Frau Junge-Reyer hat mich angerufen. Ich dachte, okay, sie will eine
Führung durch Zürich. Und dann hat sie gesagt, ich suche eine Nachfolge für
Herrn Stimmann. Dann haben wir ein paar Mal gesprochen, und ich habe auch
einige Wochenenden alleine in Berlin verbracht, um mir vorzustellen, wie
das wäre (lacht).
Dass Sie nicht Hochdeutsch sprechen, ist das auch eine Art Widerstand gegen
die politische Kultur, auf die Sie hier getroffen sind?
Entschuldigung, ich spreche Hochdeutsch!
Okay, Sie sprechen Hochdeutsch.
Ich spreche Hochdeutsch, besser kann ich es nicht, und jeder Schweizer sagt
zu mir: Die spricht wie eine Deutsche.
Und was sagen die Deutschen?
Die denken, dass ich Mundart spreche. Und wenn ich dann anfange, Mundart zu
sprechen, verstehen sie kein Wort mehr.
Vielleicht ist das hilfreich, denn Ihr Hochdeutsch könnte auch
signalisieren, ich komme von außen und bringe auch den Blick von außen
darauf ein, worüber wir jetzt reden.
Im positiven Sinne ja. Aber meistens hat es das Gegenteil ausgelöst: Du
hast ja keine Ahnung von Berlin. Du hast die Stadt nicht verstanden. Du
hast uns nichts zu sagen.
Wie haben Sie darauf reagiert? Haben Sie gedacht, nun werde ich es euch
aber zeigen?
Nein. Ich habe zugehört. Ich habe immer zugehört. Nach drei Wochen habe ich
gelernt, dass ich alles, was ich gelernt habe, vergessen muss. Der Vorteil
war, dass mir viele Leute viel erzählt haben. Wenn ich gegen die
Rekonstruktion der mittelalterlichen Mitte bin und mir vorgeworfen wird,
ich hätte keine Ahnung, nehme ich das sehr tiefenentspannt zur Kenntnis,
weil ich eben auch die unterschiedlichen Stimmen kenne.
Die historische Mitte am Rathausforum. Das ist auch so ein Konflikt wie
Glas versus Stein.
Man macht in dieser Stadt immer wieder den gleichen Fehler. Immer wieder
wird Tabula rasa gemacht. Immer wieder denkt man, man muss vergangene
Leistungen und Geschichtsschichten ausradieren. Das ist das Gegenteil von
Respekt, Toleranz und einer gemeinsamen Basis, mit der sich jeder
identifizieren kann. Wie kann man nach dem Abriss eines Schlosses mit dem
Abriss des Palastes der Republik den gleichen Fehler machen!
Sie haben Ihren Frieden mit dem Stadtschloss also nicht geschlossen.
Ich muss meinen Frieden damit nicht schließen. Es war nicht meine
Entscheidung. Aber es war wichtig, dafür zu sorgen, dass es in Zukunft
nicht immer weiter so läuft. Die Bebauung des Rathausforums hätte den
Fernsehturm einfach wegradiert. Also ob es ihn nie gegeben hätte.
Als Frau Junge-Reyer einen Nachfolger für Hans Stimmann gesucht hat, was
war da Ihr erster Gedanke? Stimmann hat ja mit der kritischen
Rekonstruktion die Stadt massiv geprägt. Haben Sie da überhaupt eine
Möglichkeit gesehen, ein anderes Bild von Stadt zu verwirklichen?
Das war nicht mein erster Gedanke. Mein erster Gedanke war: Jetzt sagst du
nicht gleich Nein, sondern guckst dir das genau an. Ich hatte in Zürich ein
tolles Betätigungsfeld. Dann bin ich hierhergekommen, und aus Schweizer
Sicht habe ich die Diskussionen um die kritische Rekonstruktion sehr viel
weniger ideologisch gesehen als hier. Die kritische Rekonstruktion war ein
möglicher Weg, auf dem Grundriss und der Parzelle aufzubauen.
Sie sind also nicht mit einer Anti-Stimmann-Agenda angetreten.
Erst mal nicht. Dann habe ich aber schon erkannt, dass diese Strategie zu
unglaublich vielen Konflikten führt. Man kann die Rekonstruktion der
Gründerzeit und den offenen Städtebau der Moderne nicht so unversöhnlich
gegeneinanderstellen.
War das von Anfang an für Sie klar, dass das Rathausforum für Sie eines der
Themen ist, auf das Sie sich konzentrieren?
Das war erst mal nicht klar. Das wurde mir nach meinem Empfinden eher
aufoktroyiert. Das lag auch daran, dass man in diesem Amt sehr stark auf
die Mitte fokussiert wurde durch das Planwerk Innenstadt. Mich hat aber die
gesamte Stadt interessiert.
Deshalb auch Ihre Idee mit einer Internationalen Bauausstellung über die
„Draußenstadt“.
Die IBA war der Versuch, aus dieser Fokussierung auf die Mitte
auszubrechen.
War die Verhinderung der [2][Rekonstruktion der Berliner Altstadt] dennoch
Ihr größter Erfolg?
Es war mein Erfolg. Und wir haben da einen breit angelegten
Beteiligungsprozess gemacht. Die Bürger haben Leitlinien erarbeitet, die
dann vom Abgeordnetenhaus verabschiedet wurden. Vielleicht ist es mir auch
gelungen, die Dialogkultur in Berlin in eine positive Richtung zu
verändern. Und das Baukollegium, das ich etwas guerillamäßig eingeführt
habe, ist inzwischen eine wichtige Instanz.
Und tagt öffentlich.
Baukultur muss man mit und für die Menschen machen. Man muss daher
transparent über Architekturqualität diskutieren, und es muss viele
Wettbewerbe geben.
Wenn man vor vielen Jahren mit stadtpolitischen Initiativen oder
Aktivistinnen und Aktivisten gesprochen hat, hieß es immer wieder: Frau
Lüscher mag ja unerschrocken sein und für gute Architektur stehen, aber die
sozialen Belange sind nicht so ihr Ding. Das hat sich inzwischen geändert,
oder täusche ich mich da?
Es hat sich geändert, und das hat sicher auch damit zu tun, dass ich lange
damit beschäftigt war, die Architekturdebatte in eine andere Richtung zu
bringen. Die Zuwendung zu den politischeren Themen kam dann in der zweiten
Hälfte meiner Zeit, in der Berlin stark zu wachsen begann. Das wurde auch
dadurch unterstützt, dass ich für die Linke Politik gemacht habe. Da gab es
dann auch keine Berührungsangst mehr zu den Initiativen. Damit habe ich
auch meine Amtszeit abgerundet. Jetzt bin ich da, wo ich sein wollte.
Wenn Sie nun in den einstweiligen Ruhestand gehen, wo lacht das Auge und wo
weint es?
Es weint beim Abschied von den Menschen. Und weil ich Abschied von Berlin
nehmen muss.
Dafür haben Sie keine Fernbeziehung mehr.
Darauf freue ich mich am meisten. Wir werden den Lebensmittelpunkt in
Zürich haben, behalten aber auch die Wohnung in Berlin.
Sie wollen außerdem eine neue Ausbildung beginnen. Was genau?
Es geht in Richtung Kunst, Malerei. Eine gestalterische Richtung. Zeichnen,
Malen, das nach innen Gerichtete. Das ist ein starker Teil von mir.
Also kein neues Amt?
Ich bin ein sehr freiheitsliebender Mensch und eine Individualistin. Die 14
Jahre haben schon viel Kraft gekostet. Nachdem ich öffentliche Person sein
musste, freue ich mich jetzt auf die Freiheit.
4 Jul 2021
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## AUTOREN
Uwe Rada
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