# taz.de -- Ulf Poschardt zur Mobilitätswende: „Teslas sind öde Autos“ | |
> Elektromotoren passen gut in Waschmaschinen, aber nicht in Autos, findet | |
> „Welt“-Chef Ulf Poschardt. Ein Gespräch über Sportwagen als Kulturgut. | |
Bild: Ulf Poschardt in seinem Ferrari Testarossa, der meist in der Werkstatt st… | |
Ulf Poschardt ist für ökologisch denkende Linke der Darth Vader der | |
Medienwelt. Chefredakteur und Sprecher der Geschäftsführung der | |
konservativen Welt-Gruppe, Autoliebhaber und Turboliberaler. Poschardt | |
schreibt gegen vermeintliches grünes Verbotsdenken an, er hasst das | |
Tempolimit und fährt gerne schnell. Triggerwarnung: Die heimliche | |
Hauptrolle in diesem Interview, das in einer Werkstatt in Berlin-Steglitz | |
beginnt, spielt ein schwarzer Ferrari Testarossa, 12 Zylinder, 390 PS, der | |
„entspannt“ (Poschardt) 280 km/h fährt. | |
taz: Herr Poschardt, eigentlich wollten wir eine Spritztour mit Ihrem | |
Ferrari Testarossa machen. Die muss leider ausfallen. Was ist da los? | |
Ulf Poschardt: Dieses Stück Blech ist eine Diva. Mit so einem Auto führt | |
man eine eher dramatische Beziehung. Jedes Mal, wenn ich einsteige, hoffe | |
ich, dass er anspringt, losfährt, durchhält. Der ADAC hat dieses Jahr nach | |
einer Zusatzversicherung gefragt, weil ich so oft anrufe. Im Moment läuft | |
der Motor nicht – wie so oft. | |
Ist diese Divenhaftigkeit der Reiz? Sonst läuft in unserer Welt ja vieles | |
perfekt und effizient. | |
Enzo Ferrari war ein Tyrann der Schönheit und Performance, er hatte ein | |
poetisches Konzept: Baut mir das schnellste, schönste, aufregendste und | |
krasseste Auto, das es gibt. Die Aura von Ferrari war unmissverständlich: | |
Wenn du was Vernünftiges und Austariertes willst, bist du hier falsch. | |
Fehlerfreiheit ist – anders als bei deutschen Autos – keine entscheidende | |
Kategorie. | |
Exakt. Wenn man so will, ist der alte Ferrari ein sehr ökologisches Auto. | |
Er steht fast nur in der Werkstatt herum. Und er wird nie verschrottet | |
werden, weil er zu selten und wertvoll ist. Der Club of Rome hat zurecht | |
erklärt: Dinge, die vererbt werden, sind nachhaltig. Schönheit ist ein | |
konstituierendes Element von Nachhaltigkeit. | |
Nachhaltig? Wie viel Liter Benzin verbraucht der Wagen auf hundert | |
Kilometern? | |
Keine Ahnung. Habe ich noch nie ausgerechnet. | |
Für junge Leute war ein Auto früher ein Stück Freiheit, auch deshalb, weil | |
sie plötzlich weg konnten. Weg aus dem Dorf, weg aus der Kleinstadt. Wie | |
war das bei Ihnen? | |
Ich habe 68 im Kinderwagen gegen die Notstandsgesetze demonstriert. In | |
diesen Milieus wurde Audi oder Volvo gefahren. Ich lebte mit Anfang 20 in | |
einem spottbilligen WG-Zimmer in München und habe mir mit meinem selbst | |
verdienten Geld einen alten, klapprigen Porsche gekauft. Ein unnützes Auto, | |
ich habe mich kaum getraut, ihn zu fahren. Der Kauf war auch ein Abschied | |
von der Welt, in der ich groß geworden bin. | |
Sie haben mal bei „Hart aber fair“ gesagt, dass E-Autos keine Seele hätten. | |
Dafür haben Sie viel Prügel bekommen, auch von Luisa Neubauer. Ist die | |
Zeit, in der man Verbrenner hemmungslos romantisieren konnte, einfach | |
vorbei? | |
Daran ist nichts hemmungslos. Das verstehen die Leute nur nicht, die Autos | |
hassen, weil sie ein seelenloses Auto fahren, das sie hassen. Die | |
kulturelle und emotionale Bedeutung der Autos auch für unsere Kultur und | |
Kulturgeschichte hat damit zu tun, dass diese Artefakte nie in ihrer | |
Funktion aufgegangen sind. Und verrückte, schnelle Autos sowieso nie. Diese | |
Autos sind eher Kunstwerke als Nutzgegenstände. | |
Warum fehlt einem Tesla die Aura? | |
Schade, dass der Motor von dem Ferrari nicht anspringt. Wenn Sie bei einer | |
Tour über die Avus hören würden, wie der Heckmotor hinter Ihnen hochdreht, | |
würden Sie diese Frage nicht stellen. Teslas sind öde Autos. E-Motoren | |
stecken auch in Waschmaschinen. | |
Wie ist es, Ferrari zu fahren? Geht es dabei um Spaß, Status oder Macht – | |
oder um alles gleichzeitig? | |
Ferrari fahren ist eher wie einer Oper zu lauschen und sich an der | |
Schönheit der Gerüche, der Klänge, der Beschleunigung zu berauschen und | |
gleichzeitig konzentriert zu sein. Am liebsten habe ich leere Straßen. Wenn | |
ich mit Freunden in den Alpen fahre, stehen wir morgens um vier Uhr auf, | |
damit wir vor den Bikern und Radfahrern auf der Straße sind. Im Ideal sieht | |
und hört uns niemand. | |
Sie schreiben in Ihrem Buch „Mündig“ über das „Driften“, also die Tec… | |
ein übersteuerndes Rennauto in die Kurve zu legen. Ihnen geht es aber um | |
ein Lebensgefühl. Um welches genau? | |
Driften ist im Filmklassiker „The Fast and the Furious: Tokyo Drift“ gut | |
dargestellt worden als eine Subkultur unangepasster Jugendlicher. Daraus | |
ist ein globaler Drift-Underground geworden, auch in Deutschland. Und es | |
ist – ohne das sein zu wollen –, eine Art Gegenentwurf zu den woken, waspen | |
Collegekids mit ihrer Tesla- und Fahrradliebe. Drift heißt für mich: Die | |
gerade Linie von A nach B ist uninteressant. Warum sollte man sein Leben | |
verschwenden für die naheliegende Lösung? | |
Ist das nicht ein irre bornierte These? Als hochbezahlter Springer-Manager | |
können Sie entspannt ins Risiko gehen, eine alleinerziehende | |
Krankenschwester kann das nicht. | |
Die alleinerziehende Krankenschwester wird ja gerne instrumentalisiert. | |
Aber um Sie zu beruhigen. Ja, ich weiß, dass ich privilegiert bin, aber ich | |
finde, man kann auch ohne materiellen Reichtum existenziell driften. Greta | |
Thunberg hat das mit ihrem Pappschild vor der Schule getan: eine | |
rebellische, hyperindividualistische Freiheitsgeste, der absolute Drift. | |
Klingt bewundernd. | |
Wie Greta die Welt verändert hat, ist beeindruckend. | |
Autos erzählen etwas über die Gesellschaft, die sie herstellt. Wie erklären | |
Sie sich, dass grotesk hässliche SUVs bei den Deutschen so beliebt sind? | |
Viele SUVs sind scheußlich. Diese Autos markieren einen Übergang von | |
Mobilität in Immobilität. Ein SUV ist im Grunde ein fahrendes Stück | |
Architektur. Es mauert dich ein, es erhebt dich über andere. Der | |
Sportwagenfahrer ist daran gewöhnt, dass alle, auch Radfahrer, an der Ampel | |
auf ihn herabschauen. Der SUV-Fahrer schaut lieber auf andere hinab. | |
Es geht um das Bedürfnis nach Sicherheit. | |
Klar, Leute sind überfordert von den Unsicherheiten der Gegenwart und | |
sehnen sich nach Sicherheit. Im Sportwagen macht dich deine eigene | |
Verletzlichkeit wach. | |
Sie hätten jetzt die Chance, erstmals in Ihrem Leben für ein Verbot im | |
Sinne der Ökologie zu plädieren. SUVs raus aus Städten? | |
In mir steckt kein Bedürfnis, irgendjemand irgendetwas zu verbieten. Sorry. | |
Wenn die Grünen den Leuten SUVs verbieten, landen sie bei 12 Prozent. Tun | |
sie deshalb nicht. | |
Sie werfen den Grünen in Kommentaren vor, sie wollten Autofahrer gängeln | |
und entmündigen. Wie kommen Sie eigentlich darauf? | |
Ein Tempolimit ist – wie Luisa Neubauer so richtig bei uns sagte – aus | |
klimapolitischen Erwägungen mehr als zweitrangig. Viel wichtiger ist, dass | |
– so Neubauer – die großen Raser in diesem Land diejenigen werden, die in | |
Hyper-schnell-Zügen sitzen. Stimmt. Die Autobahn ist ein bizarres | |
Freiheitsreservat, was so überhaupt nicht mehr zu diesem verkniffenen, | |
illiberalen Land passt, zu dem wir uns gerade entwickelt haben. Die | |
Moralisierung von Mobilität bedient hier vor allem den Freiheitsneid jener, | |
die in ihren Autos, die sie hassen, anderen gerne deren Glück tilgen | |
wollen. Es wird wohl kommen, wenn die Grünen an der Macht sind. Es wird für | |
sie ein großer symbolischer Sieg. Ich bin glücklich, über 30 Jahre im | |
Zweifel Tag und Nacht die freien Autobahnen artgerecht genutzt zu haben. | |
Ein Tempolimit wäre für die allermeisten ein Freiheitsgewinn. Der Verkehr | |
fließt besser, es gibt weniger schwere Unfälle, man fährt entspannter. Das | |
weiß jeder, der mal in unseren Nachbarstaaten unterwegs war. | |
Das weiß jeder. Lustig, dass Sie das sagen. Und die 48 Prozent, die gegen | |
ein Tempolimit sind, die wissen es also nicht? Bestimmte Milieus – und die | |
der Grünen gehören dazu – meinen es sehr gut mit Leuten wie mir und wollen | |
mir ein besseres Leben aufdrängen, das ich aber nicht will. Und Millionen | |
andere Bürger auch nicht. Dieser neue, gerne ökologisch begründete | |
Pietismus macht keine Gefangenen. Und der Schrauber, der gerne BMW fährt | |
und abends ein Steak auf den Grill legt, spürt die Verachtung. Das halte | |
ich für wenig hilfreich. | |
Ein weites Feld. Ich sehe nicht, dass Robert Habeck oder Annalena Baerbock | |
einen Kulturkampf anzetteln. Aber ich sehe Liberale und Konservative, die | |
ihn herbeireden. | |
Sie sehen das so, wie Sie denken. In diesem Wahljahr ist ja wohl eher | |
wichtig, wie eine Mehrheit der Wähler:innen das sieht. | |
Sie genießen es doch in Wirklichkeit, als liberaler Desperado gegen | |
Tempolimit und Co zu kämpfen. Was ist Pose, was ist Überzeugung? | |
Posen sind Zeitverschwendung. Jedem Abgeordneten, der uns 130 | |
Stundenkilometer als Tempolimit serviert, werde ich das nachtragen (lacht). | |
Was finden Sie wichtig, um die ökologische Wende im Verkehr hinzubekommen? | |
Für das Fahrrad, immer! Ich bin dafür, dass Radwege in Städten umfassend | |
ausgebaut werden, wir brauchen Schnellbahnen und Parkhäuser für Räder, all | |
das. Beim Autoverkehr werbe ich seit Ewigkeiten für Road Pricing, also eine | |
tageszeiten- und streckenabhängige Maut. Parken in Städten muss teurer | |
werden, auch die Spritpreise sollten über eine CO2-Bepreisung steigen. | |
Würden Sie einen CO2-Preis, der Benzin verteuert, sozial ausgleichen, den | |
BürgerInnen also Geld zurückgeben? | |
Die ökologische Transformation kann nicht die soziale Frage lösen. Die | |
Lenkungsfunktion von einem – im Ideal auf einem CO2-Zertifikate-Handel | |
basierenden – marktwirtschaftlichen Preisfindungsverfahren ist doch | |
gewollt. Oder? Nur so ändern Leute ihr Verhalten. | |
Wohlhabende wie Sie könnten weiter Auto fahren, Niedrigverdiener schauten | |
in die Röhre. | |
Nein, Menschen, die Autos lieben, werden dafür mehr Geld ausgeben müssen. | |
Aber für all diejenigen, die ihre Autos hassen, muss es attraktive, | |
funktionale Alternativen geben. Gerne von Leuten wie mir über Road Pricing | |
finanziert. Es wird wichtig sein, einen kostenlosen ansehnlichen, | |
öffentlichen Nahverkehr anzubieten. Sauber, dicht getaktet, sicher – sodass | |
es Spaß macht, ihn zu nutzen. Busse und Bahnen müssen sexy sein. | |
Haben Sie eigentlich Angst vor einer Kanzlerin Annalena Baerbock? | |
Nö. Vor dieser Aussicht haben so viele Leute Angst, dass meine Angst | |
überflüssig ist. Eine Grüne im Kanzleramt, das wird erst mal nicht | |
passieren. Luisa Neubauer wird das dann in zwanzig Jahren sein. | |
2 Jul 2021 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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