| # taz.de -- Professorin über Radverkehr: „Öffentlichen Raum neu aufteilen“ | |
| > Sichere Radwege brauchen laut Deutschlands erster Radprofessorin Jana | |
| > Kühl Platz. Die Situation der Autofahrenden müsse sich ändern. | |
| Bild: Bisher verkehrte Welt: Radfahrer*innen in Berlin bei der Sternfahrt des A… | |
| taz: Frau Kühl, Sie unterrichten seit November 2020 an der Hochschule | |
| Ostfalia als erste Professorin für Radverkehr in Deutschland. Was macht man | |
| als Radverkehrsprofessorin? | |
| Jana Kühl: Meine Hauptaufgabe ist es, die Lehre zum Thema Radverkehr | |
| auszugestalten. In Theorie und Praxis: Zum Beispiel haben meine | |
| Studierenden ein Alltags-Radwegenetz für zwei Gemeinden entworfen. Wir | |
| machen uns aber auch gemeinsam darüber Gedanken, welche unterschiedlichen | |
| Bedürfnisse im Straßenverkehr bestehen und wie die Verkehrswende mit der | |
| Lebensrealität von Menschen auf dem Land, die keine ÖPNV-Anbindung haben, | |
| vereinbar ist. | |
| Die ersten zwei Semester sind um. Wie haben die Studierenden reagiert? | |
| Ich bin positiv überrascht, wie interessiert sie das Thema aufgenommen | |
| haben. Erst war ich ein bisschen skeptisch, weil die Ostfalia ja in einer | |
| sehr automobilgeprägten Region platziert ist. Hinzukommt, dass der Standort | |
| der Hochschule wirklich sehr abgelegen und die ÖPNV-Verbindung dahin nicht | |
| ernst zu nehmen ist. Wer Interesse an einem nachhaltigen Lebensstil hat, | |
| wird wohl eher wo anders studieren. Aber meine Gruppen waren immer voll. | |
| Dabei muss hier niemand was über den Radverkehr lernen, alle Kurse dazu | |
| sind fakultativ. | |
| Wie viel Fahrrad kommt im klassischen Verkehrsmanagementstudium vor? | |
| Bisher haben Kolleg*innen einzelne Projekte zu dem Thema gemacht und | |
| versucht, es in die bestehenden Lehrpläne zu integrieren. Aber für die | |
| Studierenden ist es häufig ein bisschen Glückssache, ob man was zu | |
| Radverkehr hört oder nicht. | |
| Seit der Pandemie hat sich viel in der Entwicklung der Radinfrastruktur | |
| getan. Oder? | |
| Ja und nein. Die Infrastruktur zu entwickeln kann man durch politische | |
| Entschlossenheit sehr gut beschleunigen – das hat man dank der Pandemie | |
| gesehen. So vieles wurde einfach mal ausprobiert und gezeigt: Liebe Leute, | |
| es geht, man muss es eben nur wollen! Das war schon toll. Aber jetzt ist | |
| die Verstetigung das große Thema. Beispielsweise ist ein | |
| [1][Pop-up-Radweg], der an einer Kreuzung endet, problematisch in puncto | |
| Sicherheit. | |
| Die Unfallzahlen in Deutschland steigen … | |
| Das liegt auch daran, dass immer mehr Menschen aufs Rad steigen, auch | |
| Ältere und Menschen, die lange nicht gefahren sind. Was bedeutet, dass es | |
| noch mehr Konflikte gibt: mit dem KfZ-Verkehr, unter Radfahrenden und mit | |
| zu Fuß Gehenden. | |
| Was ist die Lösung? | |
| Wir müssen verhandeln, wie wir die öffentlichen Räume neu aufteilen. Um | |
| sichere Wege zu schaffen, brauchen wir Platz. Aber gerade in den Städten | |
| ist der begrenzt und vielfach auch belegt durch Infrastrukturen, die vor | |
| allem auf Automobilität ausgerichtet sind, mit Fußwegen und Radwegen als | |
| Nebenanlagen. Diese komfortable Situation der Autofahrenden werden wir | |
| zugunsten anderer Verkehrsteilnehmer ändern müssen. | |
| Der neue [2][Nationale Radverkehrsplan] vom April klingt, als ob er das | |
| auch will. | |
| Ich finde auch, dass ganz zentrale Themen und Aspekte aufgegriffen werden. | |
| Zum Beispiel taucht das unsagbare Wort der Neuaufteilung des öffentlichen | |
| Raums auf. Es ist schon ein Fortschritt, dass das Bundesministerium sich | |
| öffentlich zum Radverkehr bekennt und einen Wandel der Mobilitätskultur | |
| anspricht. Aber: Es bleibt alles sehr vage und unverbindlich. | |
| Inwiefern? | |
| Als Kommune habe ich noch immer die Möglichkeit, gar nichts für den | |
| Radverkehr zu tun. Es gibt keinerlei Verbindlichkeit, bestimmte | |
| Problemsituationen wie plötzlich endende Radwege komplett zu beseitigen. | |
| Aber eigentlich bräuchte es eine verbindlichere Planung ebenso wie konkrete | |
| Ziele. | |
| Schön, dass wir mehr Kilometer radeln sollen – aber was heißt das zum | |
| Beispiel für die Infrastrukturangebote? Und das zweite ist: Die Umsetzung | |
| scheitert an personellen Kapazitäten, weil Radverkehr oft unter ferner | |
| liefen mitbearbeitet wird. Aber so lassen sich die Anforderungen an die | |
| Radverkehrsplanung nicht erfüllen. Da müssen Personalstellen und | |
| unbürokratisch Mittel verfügbar gemacht werden. | |
| Bund, Länder oder Kommunen – wer entscheidet, wie es um die Radwege steht? | |
| Das kommt darauf an. Wenn es darum geht, Bundes- und Landesstraßen | |
| auszubauen, beauftragt der Bund das Land. Für Radwege entlang der | |
| kommunalen Straßen sind die Kommunen zuständig. Radwege nur als Zusatz zu | |
| bestehenden Straßen zu denken ist aber schon eines der Probleme. Eigentlich | |
| ist es viel sinnvoller, auch außerhalb dieser Hauptverkehrsachsen | |
| Radschnellwege zu bauen oder bestehende Wege abseits der Hauptstraßen zu | |
| ertüchtigen. | |
| Was sollte die neue Bundesregierung als erstes für den Radverkehr tun? | |
| Wir brauchen neue Standards für Radinfrastrukturen, damit Radfahren sicher | |
| und zur Selbstverständlichkeit wird. Dazu gehört neben der | |
| Radwegeoptimierung zum Beispiel auch, Radwege konsequent von parkenden PKW | |
| freizuhalten und Gefahrenstellen präventiv zu beseitigen. | |
| Sie sind selbst leidenschaftliche Fahrradfahrerin? | |
| Auf jeden Fall! Wenn ich die Wahl habe, fahre ich am liebsten außerhalb des | |
| Autoverkehrs – dort, wo es schön ist. Aber das ist dann eher was für die | |
| Freizeit. Im Alltag muss man es dann eben häufig hinnehmen, dass die Wege | |
| nicht ganz optimal sind. | |
| 30 Jun 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Entscheide-zum-Radverkehr/!5779209 | |
| [2] /Neuer-Nationaler-Radverkehrsplan/!5762848 | |
| ## AUTOREN | |
| Franziska Schindler | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Klimawandel | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Mobilität | |
| Radverkehr | |
| Fahrrad | |
| IG | |
| Krise der Demokratie | |
| Verkehrswende | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Schwerpunkt Radfahren in Berlin | |
| Fahrrad | |
| Verkehrswende | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Demokratie zum Mitmachen: Das große Gesellschaftsspiel | |
| Eine Ausstellung im Bürgerzentrum Bremen-Vahr erinnert daran, worauf es | |
| ankommt bei der Demokratie: Sich selbst zu erkennen und einzubringen. | |
| Ulf Poschardt zur Mobilitätswende: „Teslas sind öde Autos“ | |
| Elektromotoren passen gut in Waschmaschinen, aber nicht in Autos, findet | |
| „Welt“-Chef Ulf Poschardt. Ein Gespräch über Sportwagen als Kulturgut. | |
| Kompensation für CO2-Ausstoß von Flügen: Moderner Ablasshandel? | |
| Zahlen fürs Gewissen: Umweltschützer*innen sehen CO2-Kompensationen | |
| für Flüge kritisch. Die Politik schiebe Verantwortung auf die Einzelnen. | |
| Radeln lernen: Im Fahrradglück | |
| Von wegen selbstverständlich: Drei Menschen zwischen 7 und 64 Jahren | |
| erzählen, wie sie vor Kurzem Fahrrad fahren gelernt haben. | |
| Radpolitik in Sachsen-Anhalt: Keine Garantie für Wahlerfolg | |
| Die Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt hat die Mittel für den Radwegebau | |
| dank der Grünen versechsfacht. Aber das war immer noch zu wenig. | |
| Radfahrende Politiker:innen: Die Zukunft auf zwei Rädern | |
| Dass der Berliner Politbetrieb öfter einmal am Rad dreht, ist leicht | |
| dahingesagt. Wir haben uns mit Abgeordneten auf den Sattel geschwungen. |