# taz.de -- Radeln lernen: Im Fahrradglück | |
> Von wegen selbstverständlich: Drei Menschen zwischen 7 und 64 Jahren | |
> erzählen, wie sie vor Kurzem Fahrrad fahren gelernt haben. | |
Bild: Kann pures Glück sein: Radeln im Sonnenaufgang | |
## „Ein Gefühl von Freiheit“ | |
Es gibt mir so ein Gefühl von Freiheit, Fahrrad zu fahren! Aber der Anfang | |
war schwer. Ich habe vor drei Jahren Fahrrad fahren gelernt, mit | |
[1][#Bikeygees e. V.] Das ist ein Verein, bei dem Frauen Fahrrad fahren | |
lernen können. Eine Trainerin hat mich von links gestützt, eine von rechts, | |
und dann ging es los. | |
Erst sind wir ganz langsam gefahren, dann ein bisschen schneller, und | |
irgendwann konnte ich es allein. Meine erste richtige Fahrradfahrt habe ich | |
mit meinen Geschwistern gemacht – von Potsdam zum Wannsee. Mit Bikeygees | |
sind wir auch schon mal an die Ostsee geradelt. Das war wunderschön. | |
Im Irak, wo ich herkomme, dürfen Frauen nicht Fahrrad fahren. Und selbst | |
wenn wir es dürften: Es wäre sehr gefährlich, weil es an den Straßen keine | |
[2][Radwege] gibt. Aber jetzt habe ich mein eigenes Rad, mit Schloss und | |
Helm und allem. Auch von #Bikeygees! Es ist kein Rennrad, aber trotzdem | |
schnell. | |
Ich mache damit Ausflüge oder fahre zum Einkaufen oder manchmal in die | |
Schule. Gerade mache ich eine zweijährige Ausbildung zur Sozialassistentin. | |
Das erste Jahr habe ich schon abgeschlossen, sogar mit Auszeichnung. Danach | |
würde ich gern mit Menschen mit Behinderung oder mit Kindern arbeiten. | |
Seit einem Jahr bin ich Trainerin für #Bikeygees. Während der Pandemie | |
mussten wir unsere Gruppen verkleinern, manchmal haben wir auch nur | |
Eins-zu-Eins-Trainings gemacht. Wegen der Kontaktbeschränkungen konnten wir | |
auch unser System mit dem Abstützen nicht mehr nutzen. Deswegen haben wir | |
mit Klapprädern geübt, und zwar zuerst ohne Pedale. Dann kommt erst eine | |
wieder dran, dann die zweite. | |
Es macht mir viel Spaß, Trainerin zu sein. Vor allem, den Frauen die Angst | |
vor dem Fahrrad zu nehmen. Ich erzähle ihnen, dass ich am Anfang auch Angst | |
hatte. Und wenn ich es geschafft habe, dann schaffen sie es auch! | |
Shaha Khalaf, 21, macht eine Ausbildung zur Sozialassistentin und träumt | |
davon, mit dem Fahrrad von Berlin bis in die Sächsische Schweiz zu fahren. | |
## „Fahrrad fahren macht immer Spaß“ | |
Fahrrad fahren habe ich schon mit fünf Jahren gelernt. Ich hab das selbst | |
gelernt! Also meine Geschwister haben mir ein bisschen geholfen. Und mein | |
Papa. Wir waren bei meiner Tante Ramona zu Besuch. Sie wohnt auch in | |
Berlin. Erst mal bin ich mit Stützrädern gefahren, dann hat mein Papa die | |
Stützräder abgemacht, und dann bin ich losgefahren. So einfach war das! | |
Hingefallen bin ich noch nie. | |
Nach den [3][Sommerferien] komme ich in die zweite Klasse. Meine Schule | |
heißt Elbeschule. Ich kann sehr schnell Fahrrad fahren. Aber in die Schule | |
fahre ich nicht, weil die fast neben meinem Zuhause ist. Und ich habe kein | |
Schloss. Fahrrad fahren macht mir immer Spaß! Ich habe ein eigenes Fahrrad, | |
aber die Kette ist ab. Das müssen wir jetzt reparieren. Mein Fahrrad ist | |
blau-schwarz und es ist sehr schön. Ich fahre mit meinen Freunden auf der | |
Straße rum und auf den Spielplatz. | |
Haule, 7, geht in eine Berliner Grundschule. Sein Traum von einem eigenen | |
Fahrrad hat sich erfüllt. | |
## „Die Angst ist weg“ | |
Meine Fahrradzeit endete vor 24 Jahren mit einem rechts abbiegenden Lkw. Er | |
hat mich angefahren, ich war der zweite Sieger. Damals habe ich gerade für | |
einen Marathon trainiert. Der Traum hatte sich ausgeträumt, ich kann von | |
Glück sprechen, dass ich überlebt habe. | |
Aufs Fahrrad habe ich mich dann nicht mehr getraut – bis zum letzten Jahr | |
und einer sehr hilfreichen Hypnosebehandlung. Im Urlaub auf Hiddensee habe | |
ich mir dann ein Rad geliehen und den Sattel so niedrig gestellt, dass ich | |
mit beiden Beinen auf dem Boden stehen konnte. Da wusste ich, dass es | |
wieder geht. | |
Durch Zufall habe ich von der Berliner [4][Radfahrschule für Erwachsene] | |
erfahren. Ich wollte endlich wieder richtig fahren können und meldete mich | |
an. Der Lehrer war unfassbar toll. Eigentlich fängt man mit Rollern an, | |
aber schon in der dritten Stunde hat er mich aufs Fahrrad gesetzt. Ich | |
hatte solche Angst. | |
Er hat das Fahrrad festgehalten und zu mir gesagt: „Jetzt üben Sie mal, | |
auf- und abzusteigen und ich kümmere mich um den nächsten Patienten.“ Und | |
bis er wieder bei mir war, bin ich schon gefahren und vor Stolz fast vom | |
Rad gefallen. Ich glaube, das war seine Absicht. Wahrscheinlich wusste er | |
auch, dass es besser ist, wenn er mir nicht zuschaut. | |
Meine erste Fahrt ging in einen Park in meiner Nachbarschaft. Der ist nicht | |
weit weg, so 300 Meter. Mit allem, was dazugehört: Rechts vor links, die | |
Müllabfuhr kam vorbei. Es war schon das ultimative Erlebnis für mich, das | |
alleine zu machen. Jetzt dehne ich meinen Radius so langsam aus. | |
Zwei, drei Mal in der Woche fahre ich zum Kräuter sammeln in den Park. Es | |
gibt dort zwar immer weniger Kräuter, aber genügend – wenn man weiß, wo sie | |
zu finden sind! Von einem LKW möchte ich noch nicht überholt werden, aber | |
die Angst vor dem Fahrrad ist weg. Ich komme nach dem ersten, zweiten | |
Anstupser in Fahrt. Und das ist so das pure Glück! | |
Maria Bernhardt, 64, war Buchhändlerin. Sie träumt davon, mit dem Fahrrad | |
in die S-Bahn zu steigen und an einen See zu fahren. | |
30 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://bikeygees.org/ | |
[2] /Neuer-Nationaler-Radverkehrsplan/!5762848 | |
[3] /Berliner-Coronaschuljahr-macht-Ferien/!5777896 | |
[4] https://www.radfahrschule.de/ | |
## AUTOREN | |
Franziska Schindler | |
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