# taz.de -- Radfahrende Politiker:innen: Die Zukunft auf zwei Rädern | |
> Dass der Berliner Politbetrieb öfter einmal am Rad dreht, ist leicht | |
> dahingesagt. Wir haben uns mit Abgeordneten auf den Sattel geschwungen. | |
Bild: Radelnder Abegordneter Mathias Stein (SPD) | |
Radelnde Abegordnete: Die taz hat sich die Speichen gegeben und ist mit | |
Volksvertreter:innen des demokratischen Spektrums durch Berlin | |
geradelt, um sie auf Herz und Nabe zu prüfen. | |
## Pascal Meiser: Was seine Beine noch so hergeben | |
Pascal Meiser, 46, ist ein Alltagsradler. Er fährt fast täglich aus | |
Berlin-Kreuzberg, seinem Wahlkreis, zum Bundestag. Sein Gefährt ist kein | |
superteures Ultraleichtrad, eher was Normales. Er fährt gern schnell, „was | |
die Beine noch hergeben“. Natürlich im Rahmen der Straßenverkehrsordnung, | |
wie es sich für einen Volksvertreter gehört. | |
Die Fahrbereitschaft des Bundestages, ein kostenloses Taxi für MdBs, | |
benutzte er äußerst selten. Sich von „einer Limousine“ abholen zu lassen, | |
hält der Linksparteimann für ein Statussymbol, das zu nutzen seinem | |
egalitären Grundverständnis widerspricht. Außerdem sei Radfahren ja | |
„gesund“. | |
Der Hobbyfußballer bewegt sich gern. Zu [1][E-Bikes] hat er ein ähnliches | |
kühles Verhältnis wie zu Limousinen. Für Ältere – klar, bei Jüngeren ist | |
sein „Verständnis überschaubar“. Will sagen: Für fitte 25-Jährige E-Bik… | |
hat er so viel Sympathien wie die Linkspartei für Neoliberale. Im Berliner | |
Verkehr fühlt er sich „einigermaßen sicher“, weiß aber, dass viele das | |
anders empfinden. Mitunter stört ihn die Aggressivität zwischen Auto- und | |
Radfahrern: „Der Ton ist rau.“ Das werde sich nur bessern, wenn es mehr | |
abgetrennte, breite Radwege gibt. Für Radfahrer gebe es im rot-rot-grünen | |
Berlin „erfreuliche, spürbare Verbesserungen“, so Meiser. Stefan Reinecke | |
## Franziska Brantner: Zehn Minuten durch den Tiergarten | |
Die schönsten zehn Minuten des Tages sind für Franziska Brantner die, in | |
denen sie mit dem Rad durch den Berliner Tiergarten zu ihrem | |
Abgeordnetenbüro fährt. Viel Grün, breite Wege, Sonnenflecken unter Bäumen. | |
In der Grünen-Fraktion ist das Rad für viele das Verkehrsmittel der Wahl – | |
aus ökologischen, aber auch sehr pragmatischen Gründen. „Radfahren ist für | |
mich auch Sport“, sagt Brantner. „Und meine Tochter kann nebenherradeln.“ | |
Brantner ist europapolitische Sprecherin. Die Grüne hat schon im Jahr 2000 | |
in Paris für bessere Radwege demonstriert – und genießt es heute, an der | |
Seine entlangzufahren. Warum tut sich im von Grünen mitregierten Berlin so | |
wenig? „Berliner Politik kommentiere ich nicht.“ Aber in der deutschen | |
Hauptstadt werde es besser, findet Brantner. Ihre Heimat ist Heidelberg. | |
In Baden-Württemberg baut die Landesregierung Radschnellwege zwischen | |
manchen Städten. Eine Route führe von Heidelberg nach Mannheim. Oft liege | |
es nicht am Geld, dass der Bau dauere. „Die PlanerInnen können Straßen – | |
aber noch keine Radwege.“ Ulrich Schulte | |
## Mathias Stein: Der Mann, der wegen der Eindrücke radelt | |
Während die anderen für die zwei Kilometer von Wohnungstür zur Arbeit gerne | |
mal den Fahrdienst des Bundestages bemühen, fahre er täglich mit dem Rad, | |
erzählt Mathias Stein. Bei Wind und Wetter, manchmal im Anzug, manchmal in | |
Regenhose. Gleich vier Drahtesel hat der Sozialdemokrat: ein Raleigh-Rad | |
für die Bodenständigkeit, ein Lastenfahrrad, um Infomaterial zu verteilen, | |
ein Brompton-Klapprad für die Flexibilität und ein gebrauchtes, rotes | |
Tandem wegen einer schönen Erinnerung an eine Tour durch Görlitz. | |
„Ich lieb es besonders, dass man beim Radeln ganz neue Eindrücke bekommt“, | |
sagt Stein, der sich selbst „Fahrradabgeordneter“ nennt. Man könne mal | |
einen Umweg fahren und etwas entdecken oder einfach absteigen, um mit | |
Menschen zu sprechen. Auch politisch legt er große Hoffnungen in den | |
Drahtesel: Fahrradfahren sei das „Herzstück der Verkehrswende“ und könne | |
eine Mobilität ermöglichen, die günstig, individuell und inklusiv ist. | |
„Wenn ich längere Strecken mit dem Fahrrad fahre, denke ich oft über Reden, | |
Texte, Bausteine und Ideen nach.“ Julian Jestadt | |
## Gero Storjohann: 10 Kilometer täglich müssen sein | |
Zehn Kilometer Radfahren, das muss täglich für Gero Storjohann schon sein. | |
Zu Hause in Holstein fährt der 63-Jährige einmal täglich um sein Dorf | |
herum, als Ausgleichssport und zur Entspannung. In den Sitzungswochen in | |
Berlin radelt er die fünf Kilometer vom Gesundbrunnen zum Reichstag und | |
wieder zurück. Seit 2005 ist Storjohann fahrradpolitischer Sprecher der | |
CDU/CSU-Bundestagsfraktion, gekommen sei er dazu „wie die Jungfrau zum | |
Kinde“. Danach musste die ganze Familie erst einmal in den Fahrradurlaub. | |
Gemeinsam mit seinem Kollegen von der SPD veranstalte er einmal im Jahr | |
eine „parlamentarische Fahrradtour“ für Abgeordnete, aber auch | |
Staatssekretäre und „jede Menge Lobbyisten“ seien stets dabei. Begutachtet | |
wird dabei gute und schlechte Infrastruktur, in diesem Jahr ging das wegen | |
Corona nur in abgespeckter Form. „Tatsächlich halte ich Berlin für die | |
beste Fahrradstadt in Deutschland.“ | |
300 Millionen Euro habe der Bund jetzt für Radinfrastruktur nachgeschoben, | |
obwohl Radpolitik Sache der Kommunen ist, betont Storjohann. Damit würden | |
bis 2023 nicht weniger als 1,75 Milliarden Euro zur Verfügung stehen – für | |
Lückenschlüsse bei bundesweiten Radwegen etwa, Radabstellanlagen oder | |
Radschnellwegen. Und was sollte kommen, wenn er sich etwas wünschen dürfe? | |
„Getrennte Wege“, sagt Gero Storjohann sofort, „alle Notlösungen halte i… | |
für nicht nachhaltig.“ Sabine am Orde | |
## Katja Hessel: Vorbild Jan Ulrich | |
Als Jan Ullrich 1997 die Tour de France gewann, kaufte sich Katja Hessel | |
vor lauter Begeisterung ein Rennrad und probierte es im Nürnberger Umland | |
aus. „Das war das erste und letzte Mal, weil ich dachte, das überlebe ich | |
nicht“, erzählt sie, so dicht fuhren die Autos an ihr vorbei. Hessels | |
Rennfahrkarriere endete, aber das Radfahren an sich ließ sie sich nicht | |
vermiesen. | |
In Berlin fährt die FDP-Bundestagsabgeordnete die meisten Wege mit ihrem | |
Trekkingrad, nur selten nutzt sie den Fahrdienst. „Ich genieße den | |
Fahrtwind im Gesicht, ich komme überall schnell hin, ich muss keinen | |
Parkplatz suchen und für das Klima ist es auch gut“, erzählt sie am | |
Telefon. Aber bis heute fährt sie lieber Umwege durch Seitenstraßen, wenn | |
auf Hauptstraßen der Radweg fehlt. | |
Großen Einfluss auf ihre Arbeit als Vorsitzende des Finanzausschusses habe | |
das Fahrradfahren zwar nicht, „aber jede Entscheidung, die ich hier | |
mittrage, speist sich auch aus persönlicher Erfahrung. Und ich kenne die | |
Bedürfnisse von Fahrradfahrern.“ Hessel wünscht sich eine „neue Mobilitä… | |
in der alle Verkehrsteilnehmer berücksichtigt werden. Fahrradfahrer | |
[2][brauchen mehr Platz].“ Jasmin Kalarickal | |
29 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Streit-im-E-Bike-Sport/!5592361 | |
[2] /Fahrradparkhaeuser-in-den-Niederlanden/!5783499 | |
## AUTOREN | |
Julian Jestadt | |
Ulrich Schulte | |
Stefan Reinecke | |
Sabine am Orde | |
Jasmin Kalarickal | |
## TAGS | |
Verkehrswende | |
Schwerpunkt Radfahren in Berlin | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Fahrrad | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Abgeordnete | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
Niederlande | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2021 | |
Schwerpunkt Klimawandel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kompensation für CO2-Ausstoß von Flügen: Moderner Ablasshandel? | |
Zahlen fürs Gewissen: Umweltschützer*innen sehen CO2-Kompensationen | |
für Flüge kritisch. Die Politik schiebe Verantwortung auf die Einzelnen. | |
Professorin über Radverkehr: „Öffentlichen Raum neu aufteilen“ | |
Sichere Radwege brauchen laut Deutschlands erster Radprofessorin Jana Kühl | |
Platz. Die Situation der Autofahrenden müsse sich ändern. | |
Fahrradparkhäuser in den Niederlanden: Ein Dach über den Speichen | |
In den Niederlanden gibt es immer mehr Parkhäuser für Fahrräder. Diese sind | |
modern ausgestattet, nachhaltig und durchdacht entworfen. | |
Klimabewegung versus IAA: Jetzt gegen das Auto | |
Die Klimabewegung erklärt den privaten Pkw zum neuen Hauptfeind – und nimmt | |
sich die Internationale Automobilausstellung vor. | |
Beschäftigte in der Automobilindustrie: Die Karre begeistert nicht mehr | |
Laut einer Umfrage sind Beschäftigte in der Autobranche enttäuscht von | |
„ihren“ Konzernen. Auch E-Mobilitätsstrategien überzeugen sie nicht. |