# taz.de -- Kompensation für CO2-Ausstoß von Flügen: Moderner Ablasshandel? | |
> Zahlen fürs Gewissen: Umweltschützer*innen sehen CO2-Kompensationen | |
> für Flüge kritisch. Die Politik schiebe Verantwortung auf die Einzelnen. | |
Bild: Immer mehr Flugreisende kompensieren CO2 | |
BERLIN taz | Ablasshandel, Scheinlösung oder effektiver Klimaschutz? | |
[1][Flugreisende] kompensieren immer öfter ihren Flug – direkt bei der | |
Airline oder über verschiedene Organisationen wie Atmosfair, Klimakollekte | |
und Myclimate. Neben Flugemissionen können auch andere Reisen, Strom oder | |
Papier ausgeglichen werden. Durch Kompensation soll die ausgestoßene | |
CO2-Menge an anderer Stelle eingespart werden. | |
„Das soll kein [2][moderner Ablasshandel] sein“, sagt Vera Bünte von | |
Klima-Kollekte, „sondern eine Chance, Verantwortung für den Ausstoß der | |
eigenen Emissionen zu übernehmen und zu Klimagerechtigkeit beizutragen.“ Wo | |
es (noch) nicht möglich sei, Emissionen zu reduzieren, biete die | |
Klima-Kollekte die Möglichkeit, wenigstens einen Ausgleich zu leisten. „Das | |
macht keineswegs unser Umdenken hinfällig und kann mitnichten weitreichende | |
Klimaschutzmaßnahmen bei uns vor Ort abgelten“, betont sie. | |
Die Klima-Kollekte fördert mit den Kompensationszahlungen Projekte, durch | |
die der Ausstoß von Treibhausgasen im Globalen Süden vermindert werden | |
soll: Energieeffizientere Kocher in Kenia oder Ruanda. Biogas, PV-Module | |
und Solarlampen in Indien. Zudem werde durch diese Projekte nicht nur CO2 | |
eingespart: „Sie mindern Armut vor Ort, indem sie Frauen stärken, | |
Gesundheit schützen und Perspektiven ermöglichen“, erklärt Bünte. | |
„Kompensation ist nur die zweitbeste Lösung“, sagt Jürgen Resch, | |
Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe. Die beste: Wenn irgend | |
möglich, Fliegen vermeiden. „Klimaneutral fliegen geht nicht – das Klima | |
wird immer belastet. Ich kann mich nicht freikaufen.“ Er fordert ein Verbot | |
von Flugreisen auf Strecken, die von der Bahn in unter vier Stunden bedient | |
werden, und ein Subventionsverbot: „Flughäfen dürfen nicht länger staatlich | |
finanziert werden. Wir brauchen eine angemessen hohe Kerosinsteuer, und | |
Flugtickets dürfen nicht von der Umsatzsteuer befreit sein.“ | |
## Wenigstens besser als gar nichts? | |
Diese Wettbewerbsverzerrung mache Flugreisen oft billiger als ein | |
Bahnticket – das verleite zum Fliegen. „Wenn jetzt auch noch das | |
vermeintlich saubere Gewissen dazu verkauft wird, dann scheitern wir beim | |
Klimaschutz.“ | |
So sieht das auch Lambert Schneider vom Öko-Institut: „Kompensation kann | |
keine langfristige Lösung sein. Wir brauchen eine Transformation zu null | |
Emissionen.“ Die Flugbranche dürfe nicht weiterwachsen, Subventionen | |
müssten gestrichen werden und alternative Kraftstoffe her. | |
Die Politik müsse endlich anpacken: „Freiwillig zu kompensieren ist nur | |
nötig, weil die Politik nicht funktioniert und es nicht genug politische | |
Maßnahmen gibt. Kompensieren ist das Einspringen des Einzelnen, weil die | |
Politik versagt“, kritisiert Schneider. Kompensation sei für die | |
Flugindustrie eine einfache und billige Alternative, ohne wirklich etwas zu | |
ändern. | |
Kompensieren sei jedoch besser, als gar nichts zu tun. Zu beachten sei: | |
„Wird das Projekt wirklich nur durch die Kompensation ermöglicht? Wie wird | |
die Emissionsmenge beim Flug und beim Projekt berechnet? Welche sozialen | |
Wirkungen haben die Projekte jenseits des Klimaschutzes?“ | |
## Gegen den „CO2-Kolonialismus“ | |
Vor Waldprojekten, um etwa Abholzung zu vermeiden, warnt Schneider. Da sei | |
oft fraglich, wie die reduzierten Emissionen bemessen werden. Brennt der | |
Wald zu einem späteren Zeitpunkt doch ab, kommen sie trotzdem in die | |
Atmosphäre. Oft würden stattdessen auch einfach andere Waldstücke gerodet. | |
Grundsätzlich „gar nichts“ vom Kompensieren hält Lena Tucnak von der | |
Initiative „Am Boden bleiben“: „Für uns ist das eine Scheinlösung, die | |
gutes Gewissen erzeugen soll und dazu führt, dass Leute weiterhin fliegen.“ | |
Sie nennt es „CO2-Kolonialismus“: Viele der Kompensationsprojekte sind im | |
Globalen Süden, da dort CO2 billiger eingespart werden kann. „Häufig führen | |
sie zu Einschränkungen für indigene oder bäuerliche Gemeinden, die zum | |
Beispiel ihren angestammten Wald nicht mehr nutzen können.“ | |
Solarkocher für Frauen in Afrika könnten zwar sinnvoll sein, „aber die | |
Haltung ist fraglich: ‚Ihr Frauen in Afrika müsst Emissionen einsparen, | |
damit wir weiterfliegen können‘“, kritisiert Tucnak. „Da Kompensation im… | |
billiger ist, als Emissionen zu reduzieren oder technologische Erneuerungen | |
einzuführen, werden dadurch politische Maßnahmen hinausgezögert.“ Als | |
Beispiel nennt sie das Reduktionsprogramm Corsia für den Flugverkehr, das | |
vielfach von Umweltverbänden als unzureichend kritisiert wird. | |
Eine Alternative seien Zertifikate aus dem Europäischen Emissionshandel, | |
empfiehlt Schneider vom Öko-Institut. CO2-Zertifikate können etwa bei The | |
Compensators erworben werden. „So werden CO2-Zertifikate für die Industrie | |
stillgelegt, das Angebot verknappt und Unternehmen unter Druck gesetzt.“ | |
30 Jun 2021 | |
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## AUTOREN | |
Mareike Andert | |
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