Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Klimaschutz und Arbeitszeiten: Kürzer arbeiten für das Klima
> Dass Maßnahmen gegen die Erderwärmung Stellen kosten, ist ein Märchen.
> Tatsächlich schaffen erneuerbare Energien neue Arbeitsmöglichkeiten.
Bild: Die Pandemie hat das Homeoffice quasi über Nacht zur Normalität gemacht
In der Klimaschutzdebatte wird das Thema Arbeitszeiten mehr oder weniger
ignoriert. Tatsächlich sind kürzere Lohnarbeitszeiten von entscheidender
Bedeutung, um den exzessiven Naturverbrauch zu bremsen. Meistens scheitern
[1][Klimaschutzkonzepte], wenn sie die Arbeitslosigkeit eventuell erhöhen
könnten. Selbst für den klimapolitisch unvertretbaren
[2][Braunkohletagebau] sind sich Politiker nicht zu schade, auf die extrem
wichtigen Arbeitsplätze hinzuweisen.
Das Gegenteil ist der Fall. Durch erneuerbare, dezentrale Energien und
Energieeinsparinvestitionen sind mehr Jobs entstanden. Der Ausbau von
Gewerbeparks, von See- und Flughäfen, der Neu- und Ausbau von Straßen,
Flussvertiefungen: solche Projekte werden auch mit dem Arbeitsplatzargument
umgesetzt. Damit besonders klimaschädliche Produktionen schrumpfen können,
sollten wir [3][kürzere Arbeitszeiten] etablieren, um Jobverluste – etwa in
der Autoindustrie – aufzufangen und den Konflikt Umweltschutz versus
Arbeitsplätze zu entschärfen.
Und selbstverständlich gilt es zu vermeiden, dass weitere Arbeitsplätze in
Wirtschaftszweigen „geschaffen“ werden, die den Raubbau beschleunigen.
Stattdessen müssen in zukunftsfähigen, kohlenstoffarmen Branchen neue Jobs
entstehen. Aus ökologischer Sicht ist es günstig, wenn ein nennenswerter
Teil der Gesellschaft seine wöchentliche Lohnarbeit zugunsten
pflichtenfreier Zeit verringert.
Wenn die Menschen weniger Zeit mit der Erwerbsarbeit verbringen und damit
auch weniger verdienen, kaufen sie auch weniger überflüssige Produkte. Das
verringert zugleich den Energie- und Ressourcenverbrauch.
Arbeitszeitverkürzungen verändern das Konsumverhalten. So zeigt eine
Untersuchung der US-amerikanischen Ökonomin [4][Juliet Schor], dass der
ökologische Fußabdruck umso kleiner ist, je weniger Arbeitsstunden ein
Erwerbstätiger leistet.
## Weniger Arbeit führt zu weniger Konsum
Auch [5][Rosnick und Weisbrot] vom Center for Economic and Policy Research
in Washington stellen fest: Mehr Arbeitsstunden schrauben in der Regel auch
den Energieverbrauch in die Höhe. Entscheidend ist dabei das Einkommen. Den
Zusammenhang von Einkommen und Naturverbrauch untermauern zudem die Daten
der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe. Mit dem Wohlstand wachsen
klimaschädliche Emissionen.
Fast alles wird größer und klimaschädlicher – Wohnungen, Häuser, Autos,
Reiseentfernungen–, also wird auch der persönliche ökologische Fußabdruck
größer. Topverdiener haben besonders große Wohnungen und leisten sich oft
noch eine Zweitwohnung. Wenn ich Studierende im Seminar bitte, einmal
aufzuschreiben, was das Leben lebenswert macht, dann kommen innerhalb von
wenigen Minuten alle Gruppen zum gleichen Ergebnis: Freundschaften,
Begegnungen, Sport, Kultur, Gesundheit und Sicherheit.
Geld und Besitz sind wichtig, aber nur als Basis. [6][Zahlreiche
Untersuchungen] zeigen: Unsere Lebensziele und -träume sind in weiten
Teilen immateriell. Der wichtigste Glücksfaktor ist die Sinnhaftigkeit.
Menschen sind glücklich, wenn sie das Gefühl haben, etwas zu einem
sinnvollen Projekt beitragen zu können. Menschen, die ihre Priorität auf
Freundschaften, gesellschaftliches Engagement oder Ähnliches gelegt hatten,
sind überdurchschnittlich zufrieden mit ihrem Leben.
[7][Wer vor allem Geld und Karriere optimieren wollte, wurde mit den Jahren
unzufriedener.] Hinzu kommt: Glück und Wohlbefinden sind nicht beliebig
steigerungsfähig. In Deutschland wird die Frage „Wie glücklich bist du auf
einer Skala von 1 bis 10?“ seit den 1970er Jahren auf ungefähr gleichem
Niveau beantwortet. Der materielle Wohlstand hat sich seitdem verdreifacht,
wir können uns dreimal so viele Dinge leisten, dreimal so viel verreisen.
Was hat’s gebracht? Die Reichen wurden noch reicher, so viel darf man
festhalten.
## Wohlstand macht nicht glücklicher
Inzwischen gibt es eine unfassbare Vermögensanhäufung. Doch selbst die
Superreichen sind nicht glücklicher geworden. Es scheint verrückt, die
Menschen schuften, um zu shoppen. Warum tun wir uns das an? Warum muss
alles immer mehr werden, immer größer, komfortabler, luxuriöser, schneller?
Dieses Immer-mehr verbraucht extrem viele Ressourcen. Wir müssen Wege
finden, diesen Trend zu stoppen. Die Ökonomen sind gefragt.
Sie werden zeigen, unter welchen Bedingungen ein wirtschaftliches System
tragfähig ist, das das Wachstum von ökologisch und klimatisch schädlichen
Branchen deckelt. Um Unternehmen und Beschäftigte in der Krise zu
unterstützen, hat der Bund zweistellige Milliardenbeträge in die Kurzarbeit
gepumpt. Statt massenhaft Kündigungen auszusprechen, konnten Betriebe auf
diese Art wertvolle Arbeitskräfte halten. Für die Zeit der Kurzarbeit
erstattet die Arbeitsagentur einen Teil der Kosten des Entgelts für die
Beschäftigten.
Zugleich hat die Covidkrise das [8][Homeoffice] quasi über Nacht zur
Normalität gemacht. Besonders Männer hatten bislang ein Problem damit. Die
Technik steht bereits seit zig Jahren auch Laien zur Verfügung, man denke
nur an Skype. Aber erst die Pandemie hat digitalen Meetings zum Durchbruch
verholfen. Nun zeigt sich: Es geht. In vielen Berufen muss man nicht mehr
von Montag bis Freitag ins Büro, sondern kann zwei oder drei Tage pro Woche
zu Hause arbeiten.
Weniger pendeln spart Zeit und ist gut fürs Klima. Wer jede Woche Tausende
Kilometer beruflich unterwegs war, schätzt es vermutlich sehr, wenn
Meetings jetzt häufiger per Video stattfinden. Weniger Reisezeit, weniger
Stress, mehr Zeit für Freunde und Familie. Unsere Arbeitskultur hat sich
verändert. Nun sind Strategien gefragt, einen Rückfall abzufangen. Das
könnte die Förderung von Co-Working-Spaces sein, die Abschaffung der
Pendlerpauschale und eine kluge Kombination von steuerlichen Anreizen,
Arbeitszeitgesetzen und Kampagnen, damit kürzere Arbeitszeiten und
Homeoffice allmählich zur Routine werden.
30 Jun 2021
## LINKS
[1] /Treibhausgasemissionen-von-Kommunen/!5770556
[2] /Braunkohleabbau-bedroht-Siedlungen/!5761977
[3] /Was-die-28-Stunden-Woche-aendern-koennte/!5483132
[4] http://aurora.icaap.org/index.php/aurora/article/view/13/24
[5] https://journals.sagepub.com/doi/abs/10.2190/D842-1505-1K86-9882
[6] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitt…
[7] https://www.sueddeutsche.de/geld/das-erste-gehalt-die-espresso-maschine-und…
[8] /Arbeiten-in-der-Pandemie/!5782193
## AUTOREN
Michael Kopatz
## TAGS
Homeoffice
Schwerpunkt Klimawandel
Arbeit
Agentur für Arbeit
Umweltschutz
GNS
IG
Arbeitslosigkeit
Schwerpunkt Klimawandel
Schwerpunkt Coronavirus
Homeoffice
Schwerpunkt Klimawandel
EZB
Wochenkommentar
Schwerpunkt Klimawandel
## ARTIKEL ZUM THEMA
Modelle für Arbeitszeitverkürzung: Wie viel Arbeit kann weg?
In Großbritannien war ein Pilotprojekt zur 4-Tage-Woche erfolgreich. Was
spricht dafür, dass wir weniger arbeiten? Und wie kann das konkret
aussehen?
Nationale Weiterbildungsstrategie: Update für Beschäftigte
Geringqualifizierte Menschen nehmen seltener an Weiterbildungen teil. Eine
Nationale Bildungsplattform soll das nun ändern.
Fortschritte bei E-Autos: Die erste Million ist die schwerste
Endlich boomen die E-Autos. Das liegt nicht nur an EU-Vorgaben und
Kaufprämien – die Stromer sind auch in vielen Belangen einfach besser.
Ende der Homeoffice-Pflicht: Kein Zurück zum alten Normalbetrieb
Die Arbeit zuhause ist für manche bequem, für andere eine Überforderung.
Sinnvoll ist ein hybrides Modell, das feste Termine im Büro vorsieht.
Arbeiten in der Pandemie: Abschied vom festen Schreibtisch
Nach dem Auslaufen der Pflicht zum coronabedingten Homeoffice entwickeln
sich in vielen Betrieben Mischformen aus Präsenzarbeit und Homeoffice.
Klimapaket der GroKo: Reichlich Füllmaterial
Die GroKo überlässt das Problem Erderwärmung der kommenden Koalition und
vergeudet wichtige Zeit. Jetzt sollten Maßnahmen vorangetrieben werden.
Rechtsgutachten von Greenpeace: EZB soll das Klima schützen
Ein Greenpeace-Gutachten sieht Klimaschutz als „konstitutives Prinzip“ der
EU. Die EZB ist bereit, mehr gegen die Erderhitzung zu unternehmen.
R2G-Klimapaket: Nur ein Klimapäckchen
Das am Dienstag vom rot-rot-grünen Berliner Senat beschlossene Klimapaket
enthält viel heiße Luft. Das hilft dem Klima bloß in beschränktem Maße.
Grüne diskutieren Klimaschutz: Parteitag lehnt härtere Linie ab
Der Kampf gegen die Erderwärmung ist ein grünes Herzensthema. Mehrere
Vorstöße für eine Verschärfungen des Programms lehnen die Delegierten
jedoch ab.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.