# taz.de -- Linkspartei in Sachsen-Anhalt: Punkten mit dem Ossi-Thema | |
> Den Linken droht bei der Landtagswahl kommenden Sonntag ein Debakel. | |
> Dabei lief der Wahlkampf gar nicht schlecht. | |
Bild: Linken-Spitzenkandidatin Eva von Angern bei einer Wahlkampfveranstaltung … | |
BERLIN taz In Sachsen-Anhalt gibt’s etwa so viele Windräder wie | |
Parteimitglieder der Linken: rund 3.000. „Das liegt auch daran, dass man | |
die lange Zeit ungeregelt überall hinsetzen konnte“, erklärt die Juristin | |
Eva von Angern. Sie meint die Windräder. | |
Von Angern ist Spitzenkandidatin der Linkspartei in Sachsen-Anhalt. | |
Ungefähr ein Viertel der Wähler:innen hat schon mal von ihr gehört. Die | |
44-Jährige tritt dennoch optimistisch an: als Herausforderin von | |
Ministerpräsident Reiner Haseloff von der CDU. „Wer denn sonst? Oliver | |
Kirchner etwa?“ Der [1][AfD-Spitzenkandidat] und seine Partei lagen in | |
einer Umfrage vergangene Woche sogar mal knapp an der Spitze in der | |
[2][prognostizierten Wählergunst], vor der CDU. | |
In den Wochen vor der Wahl arbeitet von Angern hart daran, sich bekannter | |
zu machen, und reist durchs Land – im Seniorenzentrum in Wittenberg trinkt | |
sie vom bereitgestellten Granini-Orangensaft und hört dem Leiter des | |
Zentrums zu, der über Hygienemaßnahmen, die Finanzierung, die Essenvergabe, | |
die Personalstruktur spricht. Sie besucht das Nabu-Zentrum Stadtwald, lässt | |
sich an Gehegen mit Wildschweinen, Gänsen, Kaninchen vorbeiführen. Sie | |
schaut bei der Kita in Dessau vorbei. Und beim Windpark in Halberstadt. | |
Während die Windräder sich in Sachsen-Anhalt seit der Wende in Windeseile | |
ausgebreitet haben, ist die Mitgliedschaft der Ex-PDS stetig gealtert und | |
geschrumpft. Noch vor fünfzehn Jahren konnte man auf doppelt so viele | |
Genoss:innen zählen. Das Gleiche gilt für die Wähler:innen – 24 | |
Prozent wählten vor 15 Jahren die Linke, bei der vergangenen Wahl waren es | |
noch 16 Prozent und nun sagen [3][die Umfragen] ein Ergebnis um die 12 | |
Prozent voraus. | |
## Linker Niedergang im Osten | |
Eigentlich sollte Sachsen-Anhalt zum Wendepunkt für die auch [4][bundesweit | |
schwächelnde Linke] werden, doch eine Trendwende ist nicht in Sicht. | |
Stattdessen deutet alles auf eine Fortsetzung der Kenia-Koalition unter | |
Haseloff hin. Selbst die Spitzenkandidatin von Angern hängt die Latte | |
niedrig: Wenn sie auf die Wahlergebnisse von Sachsen und Brandenburg | |
schaut, dann sei es erst mal wichtig, besser abzuschneiden als dort. | |
In beiden Bundesländern erreichte die Linke bei den Landtagswahlen zehn | |
Prozent. Der einstigen Ostpartei droht am Wahlsonntag ein neuerlicher | |
Tiefschlag. | |
Es wäre jedoch ungerecht, von Angern für die maue Performance der Linken | |
verantwortlich zu machen. Seit gut einem Jahr führt sie den Landesverband, | |
der Niedergang der Linken begann jedoch lange davor. „Die Linke hat ein | |
Durchsetzungsproblem“, meint Wulf Gallert. „Die Leute fragen sich doch: | |
Sind wir in der Lage, die Verhältnisse für sie zu verbessern oder nicht.“ | |
Wo das gelinge, da stehe man gut da. Gallert verweist auf Berlin und | |
Thüringen, wo die Linkspartei jeweils in der Regierung ist. „Das sind | |
unsere Stabilitätsanker. Das muss man einfach mal zur Kenntnis nehmen.“ | |
## Regieren oder nicht? | |
Es ist der uralte Streit in der Linken, ob man den Sozialismus im Parlament | |
per Gesetz beschließt oder auf der Straße erkämpft. Die ostdeutschen | |
Reformer wie Gallert gehen da den Weg über die Institutionen. Die jüngeren | |
und die, die aus politischen Bewegungen kommen und gerade die | |
Schlüsselpositionen erobern, sind da viel skeptischer. | |
Gallert selbst war zweimal nahe daran, seine Partei an die Hebel der Macht | |
zu bugsieren. Im Rahmen des [5][Magdeburger Modells], der von der PDS | |
tolerierten Minderheitsregierung von SPD und Grünen, kungelte er 1997 mit | |
dem späteren Finanzminister Jens Bullerjahn von der SPD den Haushalt aus. | |
2011 kandidierte er selbst als Ministerpräsident – doch die drittplatzierte | |
SPD entschied sich für den Wahlsieger: Rainer Haseloff von der CDU. | |
Näher ist die Linke der Staatskanzlei seither nicht mehr gekommen. In | |
diesem Wahlkampf setzt sie auf einen Evergreen aus den 90ern: die | |
Benachteiligung gegenüber den Wessis. Aber kann das heute noch zünden? | |
Offenbar schon. Das zeigt die Debatte über ein Plakat, welches die Partei | |
als eines von sechs Wahlkampfmotiven vorstellte. Ein kleines Mädchen und | |
ein dicker Hund, der an der Leine zerrt, dazu der Slogan: [6][Nehmt den | |
Wessis das Kommando]. Das war eher witzig gemeint, sorgte dennoch für | |
hitzige Diskussionen und viel Kritik – vor allem bei CDU, SPD und Grünen. | |
## Im Jahr 2021: Wessis gegen Ossis? | |
Das Plakat ist dann doch nicht für den Wahlkampf gedruckt worden. Die | |
Parteiführung entschied sich für die sachlichere, aber langweiligere | |
Variante: „Löhne und Renten auf Westniveau“. In der Tat liegen die Renten | |
im Osten auch dreißig Jahre nach der Wende etwa drei Rentenpunkte unter | |
Westniveau, arbeiten die Menschen hier länger für weniger Geld. Was auch | |
daran liegt, dass nur jedes dritte Unternehmen im Osten nach Tarif zahlt – | |
im Westen sind es aktuell 45 Prozent. | |
Die Linke in Sachsen-Anhalt ist jedenfalls hochzufrieden mit dem | |
Wessi-Plakat. „Ein Volltreffer. Wir haben einen Nerv getroffen. An jedem | |
Lesertelefon werde ich darauf angesprochen, meist positiv“, sagt von | |
Angern. Man habe eindeutig ein Thema gesetzt. Mitte Mai ließ die Partei zur | |
Sicherheit noch mal per Umfrage nachfragen: 84 Prozent der eigenen | |
Wähler:innen finden es richtig, dass die Linke die Benachteiligung | |
Ostdeutscher zum Thema gemacht habe. | |
Aber wenn ein einziges Plakat mehr Wind erzeugt, als es fünf fleißige Jahre | |
in der Opposition und 80 Seiten Wahlprogramm vermochten – läuft dann nicht | |
etwas grundsätzlich falsch? Klar seien gerade die eineinhalb Jahre für die | |
Linke nicht leicht gewesen, sagt von Angern. Die Regierung habe | |
durchregiert. „Die Opposition drang wie überall kaum durch.“ | |
Gallert sieht noch tiefergehende Probleme. Die Polarisierung in der | |
Bevölkerung sei auch ein Problem für die Linke: „Bei Menschen, die wir | |
eigentlich vertreten, haben wir ein Akzeptanzproblem. Diejenigen, die | |
abgehängt werden. Die wechselten teilweise zur AfD, meist aber ins Lager | |
der Nichtwähler.“ | |
## Identitätspolitik, aber nicht wie Wagenknecht | |
Von [7][Sahra Wagenknechts Thesen], dass die Menschen sich von hippen | |
Lifestyle-Linken abwenden, die nur noch für Minderheiten und ihre Marotten | |
kämpften, hält er indes nichts. „Diese Debatte, ob wir uns kulturell | |
entfremdet haben und nur noch um Identitätspolitik kümmern, ist eine | |
Ausrede.“ Im Übrigen sei ja der Ostwahlkampf „lupenreine | |
Identitätspolitik“. | |
Das Thema zieht offenbar auch in der jüngeren Generation. Von Angern | |
berichtet, sie konnte gerade eine 16-Jährige für die Linke gewinnen. Die | |
sei jetzt auch im Wahlkampf aktiv. „Wählen kann sie noch nicht, aber in | |
fünf Jahren ist sie dabei.“ | |
Vielleicht weht ja 2026 tatsächlich ein Wind der Veränderung durch | |
Sachsen-Anhalt. | |
30 May 2021 | |
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[6] https://www.youtube.com/watch?v=CpQWKL6Gbw4 | |
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## AUTOREN | |
Anna Lehmann | |
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