# taz.de -- Großstädte in Sachsen-Anhalt: Editha gegen Nebra | |
> Die Großstädte Nr. 31 und 32, Magdeburg und Halle, führen seit dreißig | |
> Jahren einen erbitterten Zweikampf. Wer hat das Zeug zur Nummer 1 im | |
> Land? | |
Bild: Rivalen auch in der 3. Liga: der Hallesche FC gegen den 1. FC Magdeburg | |
Achtung, hier die letzte amtliche Wasserstandsmeldung: Die Stadt Halle | |
bevölkern 238.762 Menschen, Magdeburg hingegen nur 237.565. Das war am | |
Stichtag 31. Dezember 2019. Die Mitteldeutsche Zeitung, die in Halle | |
erscheint, meldet zufrieden: „Halle weiterhin größte Stadt.“ Fünf Jahre | |
zuvor war das anders. „Magdeburg überholt Halle“, triumphierte die | |
Magdeburger Volksstimme, die Landeshauptstadt habe das | |
„Kopf-an-Kopf-Rennen“ für sich entschieden. | |
Es wirkt wie ein Kampf der Titanen, was zwischen Magdeburg im Norden und | |
Halle im Süden ausgefochten wird, seit die beiden Städte wieder in einem | |
Bundesland vereint sind. Es geht um Einwohnerzahlen, Infrastrukturprojekte, | |
um Prestige, um Einrichtungen, um Fußball. Man arbeitet mit Statistiken, | |
gelegentlich mit Sturheit, manchmal mit Verdächtigungen. Die Großstädte Nr. | |
31 und 32 [1][führen seit dreißig Jahren einen erbitterten Zweikampf]. | |
Dabei könnten sie sich im deutschen Ranking gemütlich einrichten, zwischen | |
Chemnitz (246.334) und Freiburg im Breisgau (231.195) liegen jeweils einige | |
Tausend Seelen. Viel Bewegung ist da nicht zu erwarten. | |
Natürlich verfügt Magdeburg über den längeren Hebel. Als Landeshauptstadt | |
sitzt sie näher an den Steuerquellen. Man erkennt es an den Brücken und | |
Tunneln, überhaupt an dem vielen Beton. Hinzu kommen reichlich sanierte | |
Regierungsgebäude, die barocke Pracht rings um den Landtag. Die | |
Staatskanzlei, das Palais am Fürstenwall, war nach der Restaurierung so | |
luxuriös anzusehen, dass sich der damalige Ministerpräsident Höppner (SPD) | |
weigerte, dort einzuziehen. | |
Überhaupt ist die Entscheidung, 1990 Magdeburg zur Landeshauptstadt zu | |
küren, in Halle bis heute eine offene Wunde. Die größte Stadt im Land, | |
zudem zwischen 1947 und 1952 bereits Landeshauptstadt, wurde von Magdeburg | |
mit Dessauer Schützenhilfe ausgebootet. „Wenn wir nicht Hauptstadt werden, | |
gehen wir nach Sachsen“, drohte seinerzeit Halles Oberbürgermeister. Sie | |
sind geblieben. | |
## Leipzig ist doppelt so groß | |
Halle versucht seitdem, sich als Stadt von Kunst, Kultur und Wissenschaft | |
zu profilieren. Dreißig Kilometer vom doppelt so großen sächsischen Leipzig | |
entfernt ist das gewiss nicht einfach. Doch Halle besitzt hochkarätige | |
Museen und ist traditionsreiche Universitätsstadt. Natürlich formte die | |
Landeshauptstadt bald aus verschiedenen Hochschulen die Universität | |
Magdeburg, auch um mit studentischem Zulauf die Einwohnerbilanz zu | |
verbessern. | |
Heute reißt die Existenz zweier Universitätskliniken immer wieder tiefe | |
Löcher in den Landeshaushalt. 2016 trieb die [2][Magdeburger Bewerbung zur | |
Kulturhauptstadt Europas 2025] den halleschen OB Bernd Wiegand so zur | |
Weißglut, dass er die Bewerbung Halles via Facebook in den Ring warf. | |
[3][Zum Schluss jubelte weder Halle noch Magdeburg, sondern ausgerechnet | |
die Nummer 30, Chemnitz.] | |
## Tiefpunkt Magdeburger Dom | |
Der Tiefpunkt dieses Zweikampfes lässt sich aber im Magdeburger Dom | |
lokalisieren, der Kirche in Sachsen-Anhalt mit dem höchsten Turm, fast 16 | |
Meter höher als der Rote Turm in Halle. 2008 wurden in einer Bleikiste die | |
Gebeine der Königin Editha (910 bis 946) wiederentdeckt, der ersten Frau | |
von Kaiser Otto I., der Magdeburg zu seiner bedeutendsten Pfalz ausbauen | |
ließ. Ein Sensationsfund, der allerdings mehrere Monate von halleschen | |
Archäologen geheim gehalten wurde. | |
Als dann auch noch das Gemenge aus Knochen und Leinentüchern ohne Wissen | |
des Magdeburger OB Lutz Trümper zur Untersuchung nach Halle weggebracht | |
wurde, entrüstete sich eine ganze Stadt. „Editha ist Magdeburg!“, rief der | |
OB empört. Von „Entführung“ war sogar die Rede. Der Landesarchäologe Har… | |
Meller aus Halle entschuldigte sich bei Trümper. | |
## Das Weltwunder von Halle | |
Meller, übrigens in Bayern gebürtig, ist derjenige, der in einer filmreifen | |
Aktion die [4][Himmelsscheibe von Nebra, einen Zufallsfund von Raubgräbern, | |
nach Sachsen-Anhalt zurückbrachte]. Seitdem ist sie das Weltwunder von | |
Halle. Editha wurde im Oktober 2010 im Magdeburger Dom in einem Titansarg | |
feierlich beigesetzt. Die Landeshauptstadt erfüllte sich im Nachgang der | |
Domgrabungen einen lang gehegten Wunsch: im Gebäude der alten Reichsbank | |
gegenüber dem Dom ein Museum zur Geschichte der Kathedrale. Eine der | |
Attraktionen ist die spektakuläre Geschichte des Editha-Grabes. | |
Der originale Bleisarg ist zu besichtigen, Edithas Leichentuch, sogar eine | |
ganze Kollektion von Käfern, die es zu unterschiedlichen Zeiten ins Grab | |
geschafft haben, Bettwanzen, Speckkäfer, Diebskäfer, Laufkäfer. Nur dass es | |
wegen Editha zwischen Halle und Magdeburg zu erbitterten Feindseligkeiten | |
gekommen wäre, darüber schweigt die Exposition. | |
2 Jun 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.volksstimme.de/lokal/magdeburg/magdeburg-triumphiert-gegen-hall… | |
[2] /Bewerbung-als-Kulturhauptstadt/!5700665 | |
[3] /Europaeische-Kulturhauptstadt-2025/!5743008 | |
[4] /Kaiser-Otto-I-und-die-Himmelsscheibe/!5524494 | |
## AUTOREN | |
Thomas Gerlach | |
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