# taz.de -- Rebellenführer über Ziele für Tschad: „Wir sind keine Söldner… | |
> Als Anführer der Rebellenarmee FACT fordert Mohamed Mahdi Ali einen | |
> runden Tisch für Tschad. Die Rolle Frankreichs kritisiert er hart. | |
Bild: Wollen Dialog, geben sich aber kämpferisch: FACT-Rebellen in der Hauptst… | |
Herr Mahdi, Ihre Rebellenarmee ist im April mit 3.000 Kämpfern [1][aus | |
Libyen tief nach Tschad vorgedrungen] und der dortige Präsident Idriss Déby | |
kam an der Kriegsfront zu Tode. Welche Ziele hat Ihre Organisation? | |
Mohamed Ali Mahdi: Die FACT (Bewegung für Wandel und Eintracht im Tschad) | |
wurde 2016 in Südlibyen gegründet. Sie will eine Alternative zu der seit 30 | |
Jahren andauernden autokratischen Herrschaft im Tschad bieten. Es gibt | |
mittlerweile eine ganze Generation im Tschad, die [2][nur diesen Herren | |
(Idriss Déby)] an der Spitze ihres Landes kennt. Wir wollen aber auch | |
niemanden aus dem derzeitigen Machtzirkel ausschließen, die FACT richtet | |
sich an alle. Wir fordern einen inklusiven runden Tisch mit allen Parteien, | |
um Tschads Probleme zu lösen. Nach den Wahlfälschungen der letzten Jahre | |
haben wir uns entschlossen, nach Tschad zurückzugehen. Wir haben bewusst um | |
die kleinen Armeegarnisonen an der libysch-tschadischen Grenze einen Bogen | |
gemacht, erst nach französischer Luftaufklärung kam es zu Kämpfen mit der | |
Armee. | |
Aber Sie drohten, in die Hauptstadt N`Djamena einzumarschieren. Das ist | |
doch das Gegenteil von Dialog. | |
Seit fünf Jahren sagen wir, dass der Konflikt nur mit politischen und | |
friedlichen Mitteln gelöst werden kann. Aber das Regime hat unsere | |
Vorschläge und Verhandlungen mit Oppositionsgruppen systematisch abgelehnt. | |
Präsident Idriss Déby erklärt immer wieder, niemand könne ihn ersetzen – | |
das Gefühl, eine Art Supermann zu sein, ist der Wesenskern vieler | |
Diktatoren. Er warf uns vor, Söldner zu sein, dann waren wir angeblich mit | |
Islamisten verbündet, dann mit dem [3][libyschen General Khalifa Haftar] | |
und nun angeblich mit der russischen Wagner-Gruppe. | |
Wurden FACT-Einheiten in Libyen von Experten der russischen Söldnerfirma | |
Wagner ausgebildet? | |
Unsere Mission in Libyen war es, gegen den IS zu kämpfen. Nicht für Geld, | |
denn wir sind keine Söldner. Unser Ziel war immer der Sturz des Regimes in | |
unserer Heimat. Wir wurden nach Brak Shati und zu dem Militärflughafen | |
Temenhint verlegt. In Brak Shati trafen wir auf Russen, in Temenhint auf | |
französische Soldaten. Einige meiner Männer befanden sich also Seite an | |
Seite mit Wagner, andere mit der französischen Armee. Wir hatten keine | |
Informationen über deren Anzahl oder Mission. Wir haben sie bewacht. Es war | |
eine bizarre Situation. Denn da meine Familie und ich lange in Frankreich | |
gelebt haben, hielten mich die Wagner-Leute für einen Agenten Frankreichs. | |
Zudem verdächtigten sie mich, mit den Tschadern befreundet zu sein, die in | |
der Zentralafrikanischen Republik gegen Wagner-Leute kämpfen. Es war also | |
kein einfaches Verhältnis. | |
Französische Medien vermuten, dass Sie nur deshalb mit mehr als 400 | |
Fahrzeugen 2.000 Kilometer quer durch die Saharawüste fahren konnten, weil | |
Sie im Dienst von russischen Militärberatern stehen. | |
Das ist Teil einer Kampagne, um uns zu diskreditieren. Tatsächlich habe ich | |
gerade mal 400 Euro auf meinem Konto und bin zusammen mit meinen Leuten auf | |
einer Mission, um mein Land zu retten. Wir als FACT haben stets klar | |
gemacht, dass wir uns in Libyens Konflikt auf keine Seite schlagen wollen. | |
Als laizistische Bewegung, die an freie Meinungsäußerung glaubt, sind wir | |
von den Islamisten weit entfernt. Aber auch die Kooperation mit Haftar | |
erwies sich als extrem kompliziert. Viermal haben uns Kämpfer des | |
„Islamischen Staates“ (IS) 2017 und 2018 in Jufra angegriffen und erst | |
danach haben wir uns entschlossen, gemeinsam mit Haftars Armee die | |
Radikalen zu bekämpfen. | |
Sie bestätigen also eine Kooperation zwischen FACT und der LNA Khalifa | |
Haftars in Libyen? | |
Ja, aber für den Kampf gegen den IS. Für eine noble Sache, nicht für die | |
Interessen Haftars. Immerhin gab es bei vielen LNA-Offizieren eine ähnliche | |
Einstellung wie bei uns zu Laizität, der Trennung von Politik und Religion. | |
Wir haben viele Kameraden bei den Kämpfen gegen den IS in Fugha verloren, | |
aber auch den Islamisten empfindliche Niederlagen zugefügt. Die westlichen | |
Geheimdienste wissen ganz genau, dass wir es waren, die den IS aus einer | |
der strategisch wichtigsten Positionen Libyens ferngehalten haben. Wir | |
wurden damals ebenso wie die Bevölkerung in Jufra fast jeden Abend von den | |
IS-Kommandos angegriffen. Wir mussten uns mit Haftars Einheiten verbünden, | |
um die Radikalen zu besiegen. Das ist die „Hypothek“, die auf uns lastet. | |
Zuvor waren Sie mit Einheiten aus der Hafenstadt Misrata liiert, Haftars | |
Gegner, die ebenfalls gegen den IS kämpften, in Gaddafis ehemaliger | |
Heimatstadt Sirte… | |
Wir hatten damals keine Wahl! Den libyschen Kriegsparteien haben wir immer | |
wieder unsere Neutralität betont. Ich bin glücklicherweise Muslim. Aber | |
auch Anhänger der republikanischen Idee und des Laizismus. Ich habe in | |
Europa die Kultur des politischen Diskurses kennengelernt. Daher ist es für | |
mich so absurd, dass uns Tschadern, ja uns Afrikanern, ein politischer | |
Diskurs verweigert wird. Wir sind Teil der politischen Opposition Tschads | |
und waren nur in Libyen, weil in unserer Heimat ein Diktator an der Macht | |
war. Rechtsstaat, Demokratie, Freiheit ist scheinbar nur für die Franzosen. | |
Was ist denn aus Ihrer Sicht die [4][französische Strategie für Tschad] und | |
die Region? | |
Frankreich verhält sich, als wären wir noch in den 1940ern, 50ern oder | |
6oern. Aber heutzutage gibt es selbst in jedem kleinen Ort in der Sahara – | |
ich bin gerade in einem – Internet und Informationen über die ganze Welt. | |
Junge Leute im Sahel haben nicht mehr, wie noch ihre Großeltern, nur einen | |
Stock um sich zu wehren. Aber ihnen wird ein Diktator aufgezwungen und ein | |
Leben ohne Meinungsfreiheit. Das treibt sie schließlich quer durch die | |
Sahara [5][in die Boote über das Mittelmeer nach Europa]. Idriss Déby hat | |
eine effektive Armee aufgebaut, die die Interessen Frankreichs verteidigt, | |
seit 1996 in der Demokratischen Republik Kongo, danach in der | |
Zentralafrikanischen Republik und rund um den Tschad-See. | |
In Tschads Hauptstadt N`djamena hat die französische | |
Sahel-Antiterroroperation Barkhane ihr Hauptquartier. Kämpfen | |
Barkhane-Einheiten derzeit gegen die FACT? | |
Sie greifen nicht wie in den letzten Jahren direkt in die Kämpfe gegen | |
Oppositionsgruppen ein, aber sie setzen rund um die Uhr | |
Aufklärungsflugzeuge gegen uns ein, denen tschadische Bombardierungen | |
folgen. Dieser indirekte Krieg ist aber nicht weniger gefährlich. Letztlich | |
haben französische Berater Déby radikalisiert, zuletzt wollte er jeden | |
umbringen, der ihm gefährlich werden könnte. Der Mord an der Mutter des | |
Oppositionsführers Yaha Dillo im Dezember ist Beweis genug dafür. | |
Frankreich trägt für solche Verbrechen des Regimes letztlich die | |
Verantwortung. | |
Die EU hat die illegale Machtübernahme der Militärs nach Débys Tod nicht | |
verurteilt. Sind Sie überrascht? | |
Es ist bizarr, dass in Afrika andere Maßstäbe angewandt werden und Freiheit | |
hier weniger wichtig sein soll. Europa sollte wissen, dass [6][Frankreich | |
im Sahel] ausschließlich seine eigenen Interessen vertritt und sonst | |
nichts. Aber ich bin überzeugt davon, dass diese koloniale | |
Selbstherrlichkeit ein Ende hat. | |
Akzeptieren Sie den Militärrat, der nach dem Tod des Präsidenten Tschad | |
regiert? | |
Persönlich habe ich kein Problem mit seinen Mitgliedern. Wir werden mit | |
ihnen letztlich irgendwann sprechen müssen. Aber ist der Rat legitim an der | |
Macht? Nein. Laut Verfassung übernimmt der Parlamentspräsident nach dem Tod | |
des amtierenden Präsidenten bis zur Abhaltung von Neuwahlen. Während der | |
Beerdigung von Déby sagte der französische Präsident Macron, er würde die | |
Destabilisierung des Tschad nicht zulassen. Indem er den Putsch der | |
Generäle billigt, spricht er den Tschadiern die Grundwerte der Demokratie | |
ab. Die Werte der französischen Revolution scheinen in Afrika für Macron | |
nicht zu gelten. Ich verstehe ehrlich gesagt nicht mehr, was hier vor sich | |
geht. | |
Sind Sie antifranzösisch? | |
Überhaupt nicht! Ich habe im französischen Exil gelebt, meine Frau und | |
meine vier Kinder sind noch immer in Frankreich. Aber ich kritisiere die | |
noch immer nach kolonialen Methoden funktionierende Politik und das | |
Schweigen Europas. | |
Sie sind in Tschad bis zur Stadt Mao vorgestoßen. Wie ist die militärische | |
Lage rund um Mao zur Zeit? | |
Mit Unterstützung der französischen Flugzeuge hat Mahamat Déby die Schlacht | |
um Mao gewonnen. Aber nicht den Krieg. Von Mao aus hätten wir den Vormarsch | |
auf die Hauptstadt fortsetzen können. | |
Können Sie sich erklären, warum [7][Idriss Déby persönlich an die Front | |
fuhr]? Wie kam es zu seiner Verletzung, an der er später starb? | |
Als Marschall muss er natürlich an der Front sein, gerade in einer von | |
schlecht ausgebildeten Offizieren geprägten Truppe, in der | |
Stammeszugehörigkeit eine so große Rolle spielt. Er hat seit 2016 als | |
„Marschall“ einen Rang in der Armee – eigentlich hätte Déby zurücktret… | |
müssen, da der Staatschef laut Verfassung ein Zivilist sein muss. Dies ist | |
ein Beispiel für die systematische Verletzung der verbliebenen | |
demokratischen Institutionen des Staates. Déby reiste nach unseren | |
Informationen an die Front 200 Kilometer nördlich von N´djamena, weil ein | |
General ihn warnte, dass die Soldaten nicht bereit waren zu kämpfen. Am | |
Sonntagabend, nach dem Ende der Kämpfe, berichtete General Ibrahim | |
Abdelwahed an Idriss Déby per Telefon, dass seine Leute nicht kämpfen | |
würden. Am Montagmittag sahen wir dann einen Helikopter in der Nähe der | |
Frontlinie landen. Wir dachten, ein hochrangiger Offizier wäre verwundet | |
worden. | |
Ein großer Teil des Zaghawa-Stammes und der Familie von Idris Déby stammt | |
aus der Darfur-Region im Sudan. Stimmt es, dass bewaffnete Gruppen aus | |
Darfur in N`djamena eingetroffen sind und auch gegen die FACT kämpfen? | |
Ja, wir kämpfen auch gegen Darfuris und die sind für viele Kriegsverbrechen | |
verantwortlich. Es gibt Videos von diesen Gruppen auf sozialen Medien, auf | |
denen die Erschießung von gefangen genommenen Fact Kämpfern zu sehen sind. | |
In Frankreich sind diese Kriegsverbrechen bekannt. In N´Djamena werden | |
Demonstranten gefoltert und FACT-Anhänger exekutiert. | |
Sie werfen Frankreich die Mittäterschaft bei Kriegsverbrechen vor? | |
Die Schutzherren des Regimes haben keine Verantwortung? Ich denke schon. | |
Ohne die Hilfe aus Paris wäre das System Déby schon lange verschwunden. Die | |
französische Armee hilft bei Logistik, Transport und Aufklärung gegen uns | |
und die Opposition. | |
Was fordern Sie von Regierungen in Europa in der aktuellen Krise? | |
Die französische Politik manipuliert die Öffentlichkeit über uns und die | |
Lage im Tschad. Europa sollte sich nicht von den kolonialen Interessen | |
Frankreichs blenden lassen. Das Resultat der Aufrechterhaltung von | |
autoritären Regierungen wie der von Déby und dem jetzigen Militärrat ist | |
doch dass die jungen Afrikaner ihre Zukunft in Europa suchen. | |
Das Interview wurde am 12. Mai per Whatsapp geführt. Mahdi befindet sich an | |
einem unbekannten Ort im libysch-tschadischen Grenzgebiet. | |
13 May 2021 | |
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## AUTOREN | |
Mirco Keilberth | |
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