| # taz.de -- Konfliktforscherin über Tschad: „Kein demokratisches Land“ | |
| > Nach dem Tod des Präsidenten ist ein demokratischer Übergang schwer | |
| > vorstellbar, sagt Helga Dickow. Stattdessen drohe eine Schlacht um die | |
| > Hauptstadt. | |
| Bild: Idriss Déby hat den Tschad zu einem Militärstaat umgebaut | |
| taz: Frau Dickow, war der Tod von Tschads Langzeitpräsident Idriss Déby | |
| eine Überraschung? | |
| Helga Dickow: Déby war Oberbefehlshaber der Armee und hat sich als Militär | |
| verstanden. Er hat wohl einen Truppenbesuch unternommen. Dennoch kam am | |
| Dienstag die Todesnachricht völlig überraschend. Mitunter heißt es, dass er | |
| vielleicht schon am Sonntag angeschossen oder erschossen wurde. Am Montag | |
| waren [1][in N’Djamena jedenfalls Panzer unterwegs], und alle strategischen | |
| Eingangspunkte wurden gesichert. | |
| Als das Militär kurz nach Bekanntgabe von Débys Tod von einer 18-monatigen | |
| [2][Übergangszeit mit Mahamat Idriss Déby], Sohn des Toten, an der Spitze | |
| sprach, klang das nach einer längeren Vorbereitung. | |
| Wenn Déby am Wochenende erschossen wurde, hatten die selbsterklärten neuen | |
| Machthaber fast 48 Stunden Vorlauf. Mehr Zeit hatten sie aber meines | |
| Erachtens nicht. Es gab in der Vergangenheit Gerüchte, welchen seiner Söhne | |
| Déby als Nachfolger aufbaut. Von Mahamat Idriss Déby war allerdings weniger | |
| die Rede. Deswegen gehe ich davon aus, dass der Tod überraschend kam. Jetzt | |
| geht es ihnen um den weiteren Machterhalt innerhalb der ethnischen Gruppe | |
| der Zaghawa, zu der Déby gehörte, und ihrer Clans. | |
| Der Militärrat hat Wahlen angekündigt. Ist das realistisch? | |
| Es ist zu früh, darüber zu spekulieren. Zwar wurde gesagt, dass durch die | |
| Übergangsphase der Frieden im Land erhalten werden soll. Das klingt | |
| zynisch: Die Sprecher sind Militärs oder gehörten zur Führungsriege um | |
| Déby, die ihn bedingungslos unterstützten. Es ist schwer vorstellbar, dass | |
| so das Land einen demokratischen Weg einschlägt. | |
| Warum ist das so schwer? | |
| Es gab noch nie einen demokratischen Machtwechsel. Trotz demokratischer | |
| Fassade ist Tschad kein demokratisches Land. Déby hat diesen Staat zu einem | |
| Militärstaat ausgebaut. Das war und ist die Machtbasis für seine | |
| Nachfolger. | |
| Sie kennen Tschad seit Jahrzehnten. Was ist aus Ihrer Sicht die | |
| offensichtlichste Veränderung in dieser Zeit? | |
| Am Anfang der [3][Déby-Jahre] war ein gewisser Optimismus zu spüren. Er | |
| hatte Demokratie versprochen, und es flossen Einnahmen aus dem Öl. Die | |
| Tschader*innen erhofften sich eine Verbesserung ihres Lebensstandards. | |
| Doch die Schere zwischen Arm und Reich ist weiter auseinandergegangen, | |
| Einnahmen sind im Militär und in korrupten Regierungs- und Zaghawa-Kreisen | |
| versickert. Der Spielraum von Opposition und Zivilgesellschaft wurde immer | |
| weiter eingeengt und sie wurden – besonders im Vorfeld der | |
| Präsidentschaftswahlen von April – kriminalisiert. Die Bevölkerung kämpft | |
| nur noch ums Überleben. Die Menschen haben die Hoffnung auf ein gutes Leben | |
| verloren. | |
| Was muss passieren, damit Zivilgesellschaft und politische Opposition an | |
| Einfluss gewinnen? | |
| Sie bräuchten Sicherheit. Im vergangenen Jahr wurden alle Demonstrationen | |
| verboten. Seit Februar protestierten Opposition und Zivilgesellschaft gegen | |
| ein sechstes Mandat für den Präsidenten, was brutal niedergeschlagen wurde. | |
| Gegen die Übermacht der Sicherheitskräfte hatten sie keine Chance. | |
| Welche Rolle spielt die einstige Kolonialmacht Frankreich? | |
| Bedenklich ist, dass Frankreich die militärische Übergangsregierung | |
| anerkennt. Damit wird der politischen Opposition jede Möglichkeit genommen, | |
| sich zu äußern. Sie steht schon wieder in Opposition zur aktuellen | |
| Regierung und zu Frankreich. | |
| Warum bleibt Tschad für Frankreich wichtig? | |
| Déby war sehr geschickt, sich seit 2013 als unerlässlichen Partner an der | |
| Seite Frankreichs im [4][Kampf gegen den Terrorismus] zu etablieren. Er | |
| schickte Truppen nach Mali, ohne dass er dazu aufgefordert wurde. | |
| Frankreich hat wiederum seit der Unabhängigkeit Militär in Tschad | |
| stationiert. Das weite Land ist ein großartiger Exerzierplatz. | |
| Nicht zum ersten Mal rücken Rebellen in Richtung N’ Djamena vor … | |
| Anders als früher hat die französische Armee bisher nicht eingegriffen. In | |
| den Jahren 2006 und 2008 hatte sie durch Aufklärungsflüge die Position der | |
| Rebellen weitergegeben. 2019 marschierten die Rebellen der Union des Forces | |
| de Résistance (UFR) der Brüder Erdimi aus dem Norden in Richtung N’Djamena | |
| und wurden von Flugzeugen der französischen Operation Barkhane bombardiert | |
| und zurückgeschlagen. Das ist nicht ihr Mandat, sondern war eine direkte | |
| Anfrage von Déby. Das haben die Tschader*innen Frankreich sehr übel | |
| genommen. Dieses Mal hat Frankreich zugeschaut. | |
| Kann es passieren, dass der Militärrat in N’ Djamena anerkannt wird, das | |
| Land aber immer mehr bröckelt? | |
| Wer die Macht in Tschad will, braucht N’Djamena. Die Rebellen der FACT | |
| lassen sich nicht von einem Militärrat abschrecken. Wenn sie vorrückt, kann | |
| es zu einer erneuten Schlacht um N’Djamena kommen. Dann kann es passieren, | |
| dass die Zivilist*innen in der Stadt als menschliche Schutzschilde | |
| genutzt werden. Wer kann, versucht die Stadt zu verlassen. Aber nicht alle | |
| haben die finanziellen Mittel und einen Ort, wo sie Schutz finden. | |
| 22 Apr 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Katrin Gänsler | |
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