# taz.de -- Konservative Kampagne in Polen: „Mama und Papa, habt euch lieb“ | |
> Die Stiftung eines Multimillionärs hängt in ganz Polen Poster gegen | |
> Scheidungen sowie Plakate gegen Abtreibung auf. Viele fühlen sich | |
> belästigt. | |
Bild: An jeder Ecke in Warschau: Plakate der Stiftung „Unsere Kinder – Bild… | |
WARSCHAU taz | Die rätselhaften Großplakate tauchten als erstes in den | |
polnischen Großstädten Warschau und Posen auf: „Mama und Papa, habt euch | |
lieb“ steht da in krakeliger Kinderhandschrift auf Hauswänden von | |
mehrstöckigen Gebäuden. Passanten und Autofahrer fragten sich noch, worum | |
es hier eigentlich geht: Scheidungskinder? Kinder in pathologischen | |
Familien? Oder doch wieder heile Familie mit Mann und Frau als Eltern? | |
Da rollte schon die nächste Plakatwelle an: Von Weitem wirken die Bilder in | |
den leuchtenden Vitrinen der Straßenbahn- und Bushaltestellen, als werde | |
dort ein rot verpacktes Schokoherz angepriesen. Sieht man näher hin, ist | |
eine Gebärmutter zu erkennen, in der ein Säugling bereits kopfüber auf | |
seine Geburt wartet. Darunter steht beispielsweise der Satz „Ich bin fünf | |
Monate alt“ oder „Ich vertraue dir“ – und die Adresse einer Internetsei… | |
für polnische Kinderhospize. | |
Seit der [1][Verschärfung des Abtreibungsrechts] in Polen durch das | |
Verfassungsgericht vor einigen Monaten müssen Polinnen auch nicht | |
überlebensfähige Babys zur Welt bringen, die dann in solchen Hospizen | |
sterben können. | |
Inzwischen gibt es kaum noch eine freie Hauswand in Polen ohne ein „Mama | |
und Papa, habt euch lieb“-Plakat oder eine Straßenbahnhaltestelle ohne | |
Werbung für Kinderhospize. Immer mehr Polen und Polinnen fühlen sich durch | |
die Plakate belästigt. Es regt sich Widerstand. | |
## Multimillionär selbst Scheidungskind | |
Hinter beiden Aktionen steht die Stiftung „Unsere Kinder – Bildung, | |
Gesundheit, Glaube“ des Multimillionärs Mateusz Klosek und seiner Firma | |
Eko-Okna (Öko-Fenster). Firmen- wie Stiftungssitz ist Kornice, das frühere | |
deutsche Kornitz bei Ratibor in Oberschlesien. In der letzten | |
Forbes-Rangliste der 100 größten polnischen Firmen mit einem Umsatz von | |
über einer Milliarde Złoty (rund 250 Millionen Euro) jährlich nimmt | |
Eko-Okna die Stelle 78 ein. | |
In einem Interview, das Klosek vor Kurzem dem rechtsnationalen Wochenblatt | |
Gazeta Polska gab, lüftete er das Finanzgeheimnis: Seine Stiftung besitze | |
knapp die Hälfte aller Eko-Okna-Aktien und habe daher die Möglichkeiten für | |
mehrere polenweite Plakataktionen. | |
„Ich bin selbst ein Scheidungskind“, bekennt Klosek. „Ich weiß, wie sich | |
ein Junge fühlt, dem die Liebe zwischen den Eltern fehlt.“ Er räumt ein, | |
dass die Plakate – „Mama und Papa, habt euch lieb“ – bei Kindern | |
alleinerziehender Eltern Trauer, Wut und Schmerz auslösen können. „Aber sie | |
werden in Kürze selbst Eltern sein, sodass sich die Botschaft nicht nur an | |
die Eltern, sondern voll und ganz auch an die Kinder richtet.“ | |
Die Kritik wird jedoch immer schärfer. Alleinerziehende Väter und Mütter | |
sind empört, dass die Plakate auch vor Kitas und Grundschulen platziert | |
sind. Viele Kinder würden die Schuld für die gescheiterte Ehe ihrer Eltern | |
auf sich nehmen. „Mein Sohn ist völlig traumatisiert“, beschwerte sich ein | |
Vater bei der Stadt Warschau, die die Werbeflächen vermietet. „Er denkt, | |
wenn er auch so einen Satz – „Mama und Papa, habt euch lieb“ – geschrie… | |
hätte, wären wir noch eine intakte Familie. Aber das ist doch absurd!“ Die | |
Pressesprecherin der Stadt bedauert, nichts gegen die Plakate tun zu | |
können, da der Inhalt kein geltendes Recht verletze. | |
## Vorbote weiterer Freiheitseinschränkung | |
Aktiven und durchaus witzigen Widerstand gegen die Plakatschwemme haben | |
sich dagegen etliche Bürgerinitiativen auf die Fahnen geschrieben. Sie | |
produzieren zum Verwechseln ähnliche Plakate mit leicht geändertem Text: | |
„Warum heiratet ihr nicht endlich, Mama und Mama“, steht da nun in | |
krakeliger Kinderhandschrift. | |
Oder: „Tut mir nicht länger Leid an! Lasst euch endlich scheiden, Mama und | |
Papa!“, oder auch ein Appell an die Eltern lesbischer oder schwuler Kinder: | |
Neben dem Satz „Mama und Papa, habt mich lieb“ steht ein Teenager mit einer | |
Umhängetasche in den Regenbogenfarben der LGBT-Bewegung und dem roten | |
Abdruck einer festen Ohrfeige im traurigen Gesicht. Statistiken zufolge | |
entziehen 70 Prozent aller polnischer Eltern ihrem Kind die Liebe und | |
verstoßen es, wenn sich herausstellt, dass es homosexuell ist. | |
Agnieszka Graff, eine der tonangebenden Feministinnen im Land, geht davon | |
aus, dass die Plakataktion des katholischen Fensterbauers und seiner | |
Stiftung nur der Vorbote einer weiteren Freiheitseinschränkung sein könnte. | |
„Ich wette, dass eine Gesetzesinitiative ‚von unten‘ zum Verbot der | |
Scheidung noch in diesem Jahr den Weg ins Parlament schafft“, schrieb Graff | |
im Frauenmagazin Wysokie Obcasy der linksliberalen Tageszeitung Gazeta | |
Wyborcza. | |
Unterstützt werde die „Mama und Papa“-Aktion nämlich vom ultrakatholischen | |
Verein Sychar – Gemeinschaft schwieriger Ehen. Er geht davon aus, dass | |
„jede sakramental geschlossene Ehe auch aus der tiefsten Krise zu retten | |
ist“. | |
Sychar hat sich zum Ziel gesetzt, Scheidungen gesetzlich so zu erschweren, | |
dass viele zerstrittene Eheleute diesen letzten formalen Schritt nicht mehr | |
gehen würden. „Warum also die Scheidung nicht gleich ganz verbieten?“, | |
fragt Graff rhetorisch. Auch das inzwischen durchgesetzte – fast totale – | |
Abtreibungsverbot in Polen schien vor wenigen Jahren noch unvorstellbar zu | |
sein. | |
14 Apr 2021 | |
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[1] /Abtreibungsverbot-in-Polen/!5743969 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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