# taz.de -- Kunst zum Frauentag in Polen: Dein Körper bleibt ein Schlachtfeld | |
> In Polen übt die feministische Kunst den Schulterschluss mit der | |
> Pro-Choice-Bewegung. Der politische Geist der jungen Generation ist | |
> erwacht. | |
Bild: Frauen bei den Pro-Choice-Protesten in Polen 2020 | |
Gerade erst hat Polen die größten Proteste seit 1989 erlebt. Nun wird schon | |
die nächste Welle erwartet: für den Internationalen Frauentag am 8. März. | |
Der Strajk Kobiet (Frauenstreik) stellt sich gegen das verschärfte | |
Abtreibungsverbot auf. Einen Embryo müssen polnische Frauen seit Januar | |
selbst dann austragen, wenn er schwere Fehlbildungen aufweist, sogar wenn | |
er mit hoher Wahrscheinlichkeit tot geboren wird. | |
Das ist eine Kampfansage, wie sie auch [1][die US-amerikanische Künstlerin | |
Barbara Kruger] im Sinn hatte, als sie 1989 ihre berühmteste Arbeit schuf: | |
das Foto einer Frau, zur Hälfte als Positiv, zur anderen als Negativ, | |
darüber in großen Lettern der Slogan: „Dein Körper ist ein Schlachtfeld.“ | |
Damals demonstrierten in den USA zahlreiche Frauen für ihr Recht auf | |
Abtreibung. Seit Dezember hängt das Plakat – ins Polnische übersetzt – in | |
polnischen Straßen. | |
„Dass Barbara Krugers ikonisches Kunstwerk plötzlich ein Publikum außerhalb | |
der Kunstkreise erreicht, ist kein Zufall“, sagt Natalia Sielewicz, | |
Kuratorin am Museum für Moderne Kunst in Warschau. „Wir brauchen jetzt | |
starke visuelle Zeichen, die die Gesellschaft mobilisieren.“ | |
Ein solches ist auch der rote Blitz der Illustratorin Ola Jasionowska, der | |
überall in der Menge auf Plakaten und Atemschutzmasken auftaucht und zum | |
Symbol der Pro-Choice-Bewegung geworden ist: [2][Die Kunst hat sich mit der | |
Bewegung verschwestert]. Selbst Warschauer Galerien machen mit, als | |
Werkstätten für Transparente. | |
## Feministische Protestkunst im Internet | |
Polnische Künstler*innen reagierten schon 2016, als bei den | |
[3][„schwarzen Protesten“ Zehntausende] schwarz gekleidete Menschen gegen | |
die angekündigte Verschärfung des Abtreibungsgesetzes auf die Straße | |
gingen. Iwana Damko schuf daraufhin eine Fotocollage, die sie auf dem | |
Krakauer Hauptplatz zeigt. Sie hebt ihren Rock und enthüllt eine grafisch | |
stilisierte schwarze Vulva. | |
Feministische Protestkunst findet heute vor allem im Internet statt – dort | |
ist sie freier. Zofia Krawiec launchte 2016 den [4][Instagram-Account | |
„Neurotic Girl“], auf dem sie sexpositive Selfies postet und dazwischen | |
politische Botschaften streut. Anna Wiatrowska teilt auf dem | |
Instagram-Account „queerowyfeminizm“ regenbogenfarbene Memes, die Victim | |
Blaming, Queerphobie oder das katholische Narrativ um Jungfräulichkeit | |
kritisieren. | |
In der feministischen Kunst geht es genauso wie im feministischen Protest | |
vor allem um den weiblichen Körper: um das Wiedererlangen der Deutungs- und | |
Gewalthoheit über diesen in einem repressiven patriarchalen Umfeld. Ihre | |
Machtposition will die männliche Führungsriege in Polen aber nicht | |
aufgeben. | |
Jarosław Kaczyński wiegelt Neofaschist*innen auf, Milizen gegen die | |
friedliche Allianz des Strajk Kobiet zu formieren – die Kirchen müssten | |
verteidigt werden, so der Chef der nationalpopulistischen Regierungspartei | |
Recht und Gerechtigkeit (PiS). Der Rechtsextreme Robert Bąkiewicz | |
organisiert schon eine Nationalgarde. Und gegen die feministische Kunst | |
agitiert neben einem Block katholischer Hardliner auch die | |
nationalkonservative Kulturpolitik unter PiS-Minister Piotr Gliński. | |
Erst 2019 wurden aus der Dauerausstellung des Nationalmuseums in Warschau | |
Werke international bekannter Künstlerinnen entfernt. Die Arbeit „Consumer | |
Art“ von Natalia LL aus dem Jahr 1972 zeigt sie beim Verzehr einer Banane. | |
In dem 2005 entstandenen Video „Appearance as Lou Salomé“ dressiert | |
Katarzyna Kozyra als Domina mit schwarzer Lederpeitsche zwei als Hunde | |
verkleidete Darsteller, die Friedrich Nietzsche und Rainer Maria Rilke | |
verkörpern. Der Zeitung Gazeta Wyborcza sagte Museumsdirektor Jerzy | |
Miziołek, Themen wie Gender gehörten nicht ins Nationalmuseum. | |
Der Kampf auf den Straßen wird härter. Der in den Museen auch. Im Januar | |
nahm der ultrakonservative Kurator Piotr Bernatowicz seine Arbeit als neuer | |
Direktor des Zentrums für zeitgenössische Kunst Schloss Ujazdowski (CCA) in | |
Warschau auf, eine der wichtigsten Institutionen im Land. In einer Galerie | |
in Poznań hatte er zuvor homophobe und antifeministische Positionen | |
gezeigt. | |
## Schon 1991 zeigte Kruger eine Version ihres Plakats | |
[5][Die Künstlerin Agnieska Polska] reagierte auf Bernatowicz’ Besetzung | |
mit einem Artikel im Kunstmagazin Frieze: Nach Jahren der bewussten | |
Demontage von Theater- und Filminstitutionen in Polen sei nun auch für die | |
Kunst die Zeit gekommen, schrieb sie. | |
Barbara Kruger hatte 1991 schon einmal die polnische Version ihrer Arbeit | |
gezeigt, im Rahmen einer Ausstellung beim CCA. Sie reagierte damit auf | |
Diskussionen zu einer ersten Verschärfung des Abtreibungsverbots im jungen | |
post-kommunistischen Polen. 1993 trat sie in Kraft. | |
Katarzyna Kozyra war damals unterwegs, um Unterschriften dagegen zu | |
sammeln. „Ich wollte allen klarmachen, dass das nicht zusammenpasst: eine | |
neue Ära der Freiheit auf der einen Seite, die zunehmende Unterdrückung der | |
Frauen auf der anderen.“ Auf Verständnis sei sie damals nicht gestoßen. | |
Ziel einer repressiven Politik und katholischer Fundamentalist*innen | |
wurde schon damals auch die feministische Kunst. Dann, wenn sie den Körper | |
der Frau in Beziehung zur Kirche setzte, und erst recht, wenn sie das | |
Blickregime pervertierte, indem sie den nackten Männerkörper zu ihrem Sujet | |
machte. | |
Für ihre Arbeit „Blutsbande“ posierte Kozyra nackt vor einem roten Kreuz. | |
1999, im selben Jahr, als sie Polen bei der Venedig Biennale vertrat, | |
hingen die Plakate in den Straßen mehrerer polnischer Städte, wurden | |
attackiert, übersprüht und überklebt. | |
## Linientreues Emanzipationsnarrativ | |
[6][Zofia Kulik] zeigte 1997 bei der documenta ihr Selbstporträt „The | |
Splendour of Myself (II)“. Auf der Fotocollage ist links von ihrem Gesicht | |
eine Sichel zu sehen, rechts daneben ein Kreuz – auf der einen Seite ein | |
Symbol für den Staatskommunismus, der nur ein linientreues | |
Emanzipationsnarrativ zuließ, und auf der anderen der misogyne | |
Katholizismus, der nun Einzug ins Leben der Frauen hielt. | |
1999 ließ Direktor Konstanty Kalionowski im Nationalmuseum in Poznań eine | |
Arbeit Kuliks abhängen. Die Fotos männlicher Statuen aus der St. | |
Petersburger Eremitage fokussierten auf deren Genitalien. Männerakte kommen | |
auch auf Kuliks Selbstporträt vor. „Sie nehmen symbolische Posen von | |
Kriegern oder politischen Figuren, wie Mao oder Lenin, ein, von Führern an | |
der Spitze der patriarchalen Pyramide“, sagt Kulik. „Ohne Uniform und | |
Embleme wird ihre Schwäche enthüllt.“ | |
Der wohl spektakulärste Fall von Zensur traf Dorota Nieznalska. Anfang der | |
2000er Jahre nahmen katholische Fundamentalist*innen Anstoß an ihrer | |
Installation „Passion“: In einem griechischen Kreuz zeigte sie ein Foto | |
männlicher Genitalien, dazu die Video-Nahaufnahme des Gesichts eines Mannes | |
beim Training in einem Fitnessstudio. Es folgte ein Gerichtsprozess, in dem | |
die Künstlerin wegen Verletzung religiöser Gefühle zu sechs Monaten | |
Freiheitsentzug und gemeinnütziger Arbeit verurteilt wurde. | |
Während sich in den 1990er Jahren noch wenig Protest regte, ist heute fest | |
mit dem feministisch-queeren Widerstand zu rechnen. So musste das | |
Nationalmuseum in Warschau nach Protesten – mit öffentlichem | |
Bananen-Verzehr – die zensierten Werke von [7][Natalia LL und Katarzyna | |
Kozyra zumindest temporär] wieder aus dem Depot holen. Von politischer | |
Seite aber bliebe jeder Rückenwind für die Frauen aus, sagt Kozyra. „Auch | |
klare Worte aus Deutschland oder Europa wären wichtig für uns, aber auch | |
da: Schweigen.“ | |
## Der erwachte politische Geist der jungen Generation | |
Zofia Kulik, die 2016 noch selbst mitlief, freut sich über den erwachten | |
politischen Geist der jungen Generation. Nun hofft sie auf Veränderung: | |
„Wie in Weißrussland bilden in Polen vor allem Frauen die Opposition, auch | |
wenn sie noch fragil ist. Wir werden in die Ecke getrieben, eine Revolution | |
scheint der einzige Ausweg zu sein.“ | |
Das probate Mittel, findet Kozyra, könne allerdings nur ein echter Streik | |
sein: „Demonstrationen sind wichtig, aber eine Revolution wird erst | |
einsetzen, wenn alle Frauen geschlossen die Arbeit niederlegen.“ | |
Die Bewegung fordert längst mehr als das Recht auf Abtreibung: die klare | |
Trennung von Staat und Kirche, mehr Gelder für das Gesundheitswesen, mehr | |
LGBTQIA+-Rechte. Dafür setzen sich die Aktivist*innen auf den Straßen | |
der Polizeigewalt und der Bedrohung durch militante Gruppen aus. Der Körper | |
als Schlachtfeld ist unheimlich real geworden. | |
Das zeigen auch Fotografien der Proteste, die das von Künstler*innen ins | |
Leben gerufene Projekt „Archive of Public Protests“ (APP) [8][auf einer | |
eigenen Webseite] versammelt. Für Natalia Sielewicz ist das eine der | |
wichtigsten Initiativen: „Diese Fotos zeigen reale Menschen in realen | |
Situationen und bringen uns zurück zum Körper, der da draußen marschiert, | |
weint, lacht, singt und schreit.“ | |
3 Mar 2021 | |
## LINKS | |
[1] /Archiv-Suche/!347785&s=Barbara+Kruger&SuchRahmen=Print/ | |
[2] /Protestbewegung-in-Polen/!5727018 | |
[3] /Konflikt-um-Abtreibungsverbot-in-Polen/!5726275 | |
[4] https://i-d.vice.com/pl/article/evzmvj/supergirls-zofia-krawiec | |
[5] /Archiv-Suche/!5536544&s=Preis+der+Nationalgalerie&SuchRahmen=Print/ | |
[6] /Archiv-Suche/!1396190&s=Zofia+Kulik&SuchRahmen=Print/ | |
[7] /Kunstzensur-in-Polen/!5591902 | |
[8] https://archiwumprotestow.pl/en/home-page/ | |
## AUTOREN | |
Sabine Weier | |
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