# taz.de -- Konflikt um Abtreibungsverbot in Polen: Verzögert, vertagt | |
> Eigentlich sollte in Polen längst das angekündigte totale | |
> Abtreibungsverbot in Kraft treten. Stattdessen wird der Rücktritt der | |
> Regierung diskutiert. | |
Bild: Demonstrantinnen blockieren eine Straße in Warschau | |
taz | WARSCHAU Für Polens Regierung ist es ein Schock: der „FrauenStreik“ | |
fordert ihren Rücktritt. Premier Mateusz Morawiecki soll seinen Hut nehmen, | |
ebenso sein Chef, der Parteivorsitzende der nationalpopulistischen Recht | |
und Gerechtigkeit (PiS) Jarosław Kaczyński, der Justiz- und der | |
Bildungsminister, und all die anderen PiS-Minister ebenso. | |
„Rücktritt und Neuwahlen!“ – einmal ausgesprochen, diskutieren nun | |
Millionen Polinnen und Polen über die Frage, wie die Nationalpopulisten aus | |
ihren Ämtern gejagt werden könnten. Anlass für den steigenden Unmut ist das | |
[1][Urteil des von der PiS kontrollierten Verfassungsgerichts.] | |
Angeblich, so urteilten die Richter am 22. Oktober, sei der seit 1993 per | |
Gesetz erlaubte Schwangerschaftsabbruch bei schwerst fehlgebildeten und | |
kaum überlebensfähigen Föten verfassungswidrig und damit künftig verboten. | |
Kaum jemand in Polen hegt jedoch einen Zweifel daran, dass es sich dabei um | |
ein „bestelltes Urteil“ handelt: Das Verfassungsgericht sollte durchsetzen, | |
was dem von der PiS dominierten Parlament in den letzten Jahren nicht | |
gelang. | |
## Gutes Timing | |
Dass es Protest geben würde, war von vornherein klar. Denn wann immer die | |
PiS oder eine der PiS nahestehende Bürgerinitiative das Thema | |
„Abtreibungsverbot“ ins Gespräch gebracht hatte, gingen Polens Frauen zu | |
Hunderttausenden auf die Straße. Die sogenannten Schwarzen Proteste | |
lehrten die Mächtigen das Fürchten. So endeten alle parlamentarischen | |
Anträge der Pro-Life-Aktivisten in der Tonne, die Abgeordneten wandten sich | |
wieder anderen Themen zu, und die Frauen gingen wieder nach Hause. | |
Dieses Mal, so schien sich Kaczyński von der PiS gedacht zu haben, war der | |
ideale Moment gekommen, um mit dem Abtreibungsverbot drei Fliegen mit einer | |
Klappe zu schlagen. | |
Zum einen konnte die PiS mit dem Urteil endlich ihre Bringschuld gegenüber | |
katholischer Kirche und kirchennahen Organisationen einlösen. Immerhin | |
hatten diese bei den letzten Wahlen jedes Mal kräftig die PiS-Trommel | |
gerührt. | |
## Die Frauen als Sündenbock | |
Zum Zweiten boten sich die zu erwartenden Proteste dazu an, wieder einmal | |
eine bestimmte Gruppe zu brandmarken, sodass die zerstrittene Gesellschaft | |
sich besser regieren ließ, da sie kaum noch in der Lage sein würde, sich | |
solidarisch gegen die Regierenden zusammenzuschließen. Dieses Mal sollten | |
es die protestierenden Frauen sein. | |
Der „Regierungskanal“, wie der frühere öffentlich-rechtliche Rundfunk in | |
Polen heute oft genannt wird, preschte sofort vor und nannte die | |
Demonstrantinnen „linke Faschisten“. Der Erzbischof von Krakau, der zuvor | |
schon Lesben und Schwule als „Seuche“ verunglimpft hatte, behauptete, dass | |
das rote Symbol des FrauenStreiks – das international anerkannte „Achtung! | |
Hochspannung!“-Zeichen – wie die Runen von SS und Hitlerjugend aussehe. | |
Zum dritten sollten die Frauen als Sündenbock für das Versagen der | |
PiS-Regierung in der Coronakrise herhalten. Im „Regierungskanal“ TVP | |
behauptete denn auch gleich ein Journalist, dass wahrscheinlich | |
Sozialleistungen wie die 13. und die 14. Rente, vor allem aber das | |
Kindergeld in Höhe von rund 125 Euro pro Kind und Monat gestrichen werden | |
müssten, da durch die Frauenproteste die Coronazahlen in die Höhe | |
schnellten und die Regierung irgendwoher das Geld nehmen müsse für deren | |
Behandlung. | |
## Abgetauchte Regierung | |
Doch der Plan ging nicht auf. Statt sich einschüchtern zu lassen, schufen | |
die protestierenden Polinnen einen Konsultativrat, der einen Rücktrittsplan | |
für die Regierung ausarbeitete und forderte, die Demokratie in Polen | |
wiederherzustellen. Als daraufhin die Zustimmungswerte für die PiS um über | |
10 Prozentpunkte absackten, gingen PiS-Regierung und Abgeordnetenhaus für | |
zwei Wochen auf Tauchstation. | |
Das Verfassungsgerichtsurteil wurde nicht im Gesetzesblatt publiziert, wie | |
es der Premier eigentlich hätte tun müssen. Damit ist es – zumindest | |
vorerst – nicht gültig. Doch die Hinhaltetaktik wird nicht funktionieren: | |
Sobald die PiS-Regierung wieder auftaucht, werden auch die Demonstrantinnen | |
wieder da sein. | |
6 Nov 2020 | |
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## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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