# taz.de -- Die These: Heiraten? Vollkommen überflüssig | |
> Wozu braucht es Hochzeiten, fragt unsere Autorin. Sie fordert, sich dafür | |
> stark zu machen, dass sich der Staat bei der Liebe fortan schön raushält. | |
Bild: Für manche der Weg ins Glück, für andere der Weg direkt in den Abgrund… | |
Keine Frage, 2020 war ein maximal beschissenes Jahr. Bei allem Leid hat | |
diese Pandemie aber auch einen ungewollten Nebeneffekt, den ich gut finde. | |
Und nein, gemeint ist nicht der Rückgang der globalen CO2-Emissionen (die | |
inzwischen ohnehin wieder das Vorkrisenniveau erreicht, ja sogar | |
überschritten haben), sondern der Rückgang der Hochzeiten. | |
373.000 Paare haben 2020 in Deutschland geheiratet – 10 Prozent weniger als | |
im Vorjahr. Grund dafür ist die Pandemie: Im Frühling, als Standesämter nur | |
noch ein Minimum an Trauungen durchführten und teilweise kaum Gäste | |
zugelassen waren, brachen die Heiratszahlen ein. Ich bin 27 Jahre alt und | |
finde Heiraten bescheuert. Dabei nähere ich mich dem klassischen | |
Hochzeitsalter: Frauen heiraten laut Statistischem Bundesamt hierzulande | |
im Schnitt mit 32 Jahren, Männer mit 35. Für mich ergibt die Ehe aber | |
keinen Sinn. Sie ist ein überflüssiges Relikt aus einer Zeit, in der die | |
Frau vom Mann abhängig war, finanziell wie sozial. | |
Bis 1958 benötigten Frauen in Westdeutschland die Zustimmung ihrer | |
Ehemänner, um arbeiten, ein Konto eröffnen oder den Führerschein machen zu | |
dürfen. Bekamen sie unverheiratet ein Baby, wurden sie verachtet. Erst 1970 | |
erhielten ledige Mütter in der alten BRD das Sorgerecht für ihr Kind, bis | |
dahin war das Jugendamt Vormund oder eine Privatperson wurde zum Vormund | |
bestellt. | |
In der DDR waren die Frauen zwar weitaus gleichberechtigter, trotzdem | |
heirateten auch hier viele aus pragmatischen Gründen. Denn Eheleute unter | |
27 Jahren bekamen einen zinslosen Kredit in Höhe von erst 5.000 und später | |
7.000 Mark, wovon sich viele ihre ersten Möbel kauften. | |
Wozu aber soll man heute noch heiraten? | |
„Aus Liebe“, entgegnen Sie jetzt vielleicht. | |
Okay. Auch ich bin Fan der Liebe und glaube fest an sie. Nur, weshalb aus | |
Liebe zu einem Menschen denn heiraten? Ist das Sich-gegenseitig-Lieben | |
nicht schon das Schönste und Wertvollste, was man in einer Beziehung | |
erfahren kann? Was bringt es, in einem schäbigen Standesamt vor einem | |
fremden Standesbeamten „Ja“ zu sagen? Nicht die Ehe ist die Kirsche auf der | |
Torte, nein, es ist die Liebe selbst. Nur weil man einen Ehering trägt und | |
„meine Frau“ statt „meine Freundin“ sagt, ist man nicht stärker verlie… | |
nicht stärker verbunden. Auch der Sex ist deswegen nicht doppelt so toll. | |
Und schon gar nicht schützt die Ehe vor Trennung. | |
Jede dritte Ehe in Deutschland geht in die Brüche. 2019 ließen sich fast | |
150.000 Paare scheiden, nach durchschnittlich 15 Jahren Ehe. Die Hälfte | |
davon hatte zu diesem Zeitpunkt minderjährige Kinder. Auch meine Eltern und | |
Großeltern mütterlicherseits trennten sich, beide je nach 14 Ehejahren. Ich | |
war damals neun. | |
Trotz der hohen Scheidungsquote (und der Scheidungskosten) entscheiden sich | |
nach wie vor viele Paare fürs Heiraten – die Zahl der Eheschließungen ist | |
in den vergangenen Jahren sogar gestiegen. | |
Mir fallen nur drei nachvollziehbare Gründe ein, warum Menschen das heute | |
noch tun. | |
## Grund Nummer 1 | |
Ein Paar erwartet ein Kind. Anders als unverheiratete Eltern haben | |
verheiratete automatisch das gemeinsame Sorgerecht. Bei unverheirateten | |
Paaren liegt das Sorgerecht zunächst bei der Mutter. Klar, das Paar kann | |
das gemeinsame Sorgerecht beantragen, doch dafür muss es erst Formalitäten | |
erledigen. | |
Weil ein unverheirateter Vater nicht als rechtlicher Vater gilt – das muss | |
man erst mal sacken lassen –, muss er zunächst die Vaterschaft anerkennen | |
lassen, zum Beispiel beim Standesamt oder Notar. Erst dann kann ein Paar | |
eine sogenannte Sorgeerklärung beim Jugendamt beantragen. Auch Elterngeld | |
können ledige Väter erst mit der Anerkennung ihrer Vaterschaft erhalten. | |
Wer heiratet, spart sich das alles. | |
## Grund Nummer 2 | |
Ein binationales Paar möchte zusammenleben. Menschen aus Nicht-EU-Ländern | |
haben meistens kaum Chancen, eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung für | |
Deutschland zu bekommen – außer, sie sind mit einer oder einem Deutschen | |
verheiratet. Für Paare, die sich nicht auf Dauer als Tourist*innen | |
besuchen wollen, ist die Ehe die einfachste und oft einzige Möglichkeit, um | |
ein gemeinsames Leben zu führen. | |
## Grund Nummer 3 | |
Ein Paar möchte Steuern sparen. Das sogenannte Ehegattensplitting erlaubt | |
Verheirateten, ihre Einkommen bei der Steuererklärung zusammenzurechnen. | |
Dadurch wird die Person mit dem höheren Gehalt steuerlich entlastet. Das | |
Ganze lohnt sich aber nur dann, wenn eine*r der beiden sehr wenig oder gar | |
nichts verdient – je größer der Gehaltsunterschied, desto größer die | |
Ersparnis. | |
Dass Eltern keine Lust auf Vaterschaftsanerkennung und Sorgeerklärung haben | |
und sich deshalb einfach trauen lassen, kann ich verstehen. Auch, dass | |
Paare wegen der Aufenthaltsgenehmigung heiraten oder wegen der | |
Steuervorteile. | |
Nicht verstehen kann ich jedoch, warum dieser bürokratische Unsinn | |
überhaupt nötig ist. Warum nicht alle Eltern automatisch das gemeinsame | |
Sorgerecht haben. Warum nicht die Tatsache, dass zwei Menschen eine | |
Beziehung führen, für eine Aufenthaltsgenehmigung reicht. Warum das | |
Steuersystem Verheiratete begünstigt – und obendrein zu einem längst | |
verstaubten Modell verleitet, bei dem die eine Person das Geld verdient und | |
die andere sich um Haushalt und Kinder kümmert. Kurz: Warum Unverheiratete | |
weniger Rechte haben als Verheiratete. | |
## Statt der Hochzeit soll die Liebe gefeiert werden | |
Statt weiter fröhlich vor uns hinzuheiraten, sollten wir, liebe | |
Millennials, das alte Konzept Ehe abschaffen und uns etwas Neues überlegen. | |
Sonst wollen wir doch auch alles anders und besser machen als unsere Eltern | |
und Großeltern: Wir führen offene oder polyamoröse Beziehungen, | |
protestieren gegen die Diskriminierung von LGBTQ-Personen, wechseln | |
dreitausendmal Jobs und Städte und essen veganen Schinkenspicker. Wieso | |
also ausgerechnet an der Ehe festhalten? | |
Alle Väter sollten als rechtliche Väter gelten, alle Eltern das gemeinsame | |
Sorgerecht haben und alle binationalen Paare dauerhaft in Deutschland leben | |
dürfen, egal ob verheiratet oder nicht. Außerdem muss endlich das | |
Ehegattensplitting abgeschafft werden, weil es klassische | |
Geschlechterrollen fördert. Die Paare, die dann immer noch das Bedürfnis | |
haben, sich gegenseitig abzusichern, können ja trotzdem einen offiziellen | |
Bund eingehen. Vor einem Notar, nicht dem Staat. | |
Im Falle einer Trennung wären die Partner*innen verpflichtet, Unterhalt | |
zu zahlen, falls eine*r der beiden nicht für sich selbst sorgen kann. | |
Liegt die eine Person schwer verletzt im Krankenhaus, erhielte die andere | |
Auskunft über den Gesundheitszustand. Stirbt eine*r der beiden und hat | |
schon in die Rentenkasse eingezahlt, bekäme die andere Person | |
Hinterbliebenenrente, außerdem wäre sie erbberechtigt, ganz ohne Testament. | |
Wie dieser Bund letztlich heißt, ist mir egal. | |
Wer jetzt fragt, was mit der fetten Hochzeitsfeier ist, auf die viele | |
hinfiebern: Die kann man trotzdem schmeißen! Wer will, sogar mit | |
Einladungskarten, Tischdeko, Catering, Fotograf*in und dem ganzen | |
Tamtam. Anstoßen würde man nicht auf die Ehe, sondern auf die Liebe. Nennen | |
könnte man es: Liebesfest. | |
9 May 2021 | |
## AUTOREN | |
Rieke Wiemann | |
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