# taz.de -- Späte Scheidungen: „Hass-Ehen gibt es nicht mehr so häufig“ | |
> Immer mehr Paare lassen sich in höherem Alter scheiden. Anwältin Renate | |
> Maltry spricht über die Gründe dafür – und glücklich Geschiedene | |
> berichten. | |
Frau Maltry, was ist der Hauptgrund, warum sich Menschen mit 50, 60 oder in | |
noch höherem Alter nach langer Ehe trennen? | |
Renate Maltry: Der Hauptgrund bei einer späten Scheidung ist, dass sich die | |
Paare auseinandergelebt haben. Sie merken, dass sie sich nichts mehr zu | |
sagen haben, wenn die Kinder aus dem Haus sind. Früher hat man das | |
ertragen, dann noch so nebeneinanderher zu leben. Da hat man gesagt: Naja, | |
die fünf, die zehn Jahre halte ich noch durch. Aber heute ist das anders, | |
auch wegen der hohen Lebenserwartung. Da fragen sich die Leute: Will ich so | |
noch zwanzig Jahre oder dreißig Jahre leben? Nein! Jetzt bin ich mal dran. | |
taz: Wer profitiert eigentlich mehr von dieser Individualisierung? Sind es | |
eher Männer, nach dem Motto: Ich such’ mir eine Jüngere und dann wird das | |
Leben wieder aufregend? | |
Maltry: Ich glaube, dass die Frauen mehr profitieren. Die sind in den | |
späteren Jahren abgesichert [1][durch den Versorgungsausgleich], die | |
Rentenanwartschaften werden bei einer Scheidung geteilt. Die meisten Frauen | |
haben gearbeitet, reine Hausfrauenehen sind selten geworden. Manche der | |
Frauen haben auch im Alter von 60 Jahren bereits geerbt, das schafft etwas | |
mehr Unabhängigkeit. Die Situation ist anders bei jüngeren Ehepaaren, wenn | |
noch Kinder im Haus sind. Dann sind die Eltern überfordert, vernachlässigen | |
die Beziehung, dann kommt der Seitensprung und dann knallt es. Da herrscht | |
mehr Verbitterung. In einer langjährigen Ehe ist die Entfremdung eher ein | |
schleichender Prozess, und dann wollen die Frauen lieber noch einen eigenen | |
Weg gehen und eine Zukunft haben. | |
taz: In einer Ihrer Fallgeschichten geht der Mann – Sie nennen ihn Xaver – | |
in Rente, er will seine Ruhe [2][und in eine Seniorenresidenz ziehen]. | |
Seine Frau Margot ist darüber entsetzt, sie will reisen. Sind | |
unterschiedliche Interessen ein Problem? | |
Maltry: Man kann bei unterschiedlichen Interessen trotzdem auf die | |
Bedürfnisse des andern eingehen und dann zum Beispiel mal mitreisen. In dem | |
Fall aber hatte Xaver sich und seine Frau sogar schon in der | |
Seniorenresidenz angemeldet. Er wollte auch deshalb in die Seniorenresidenz | |
ziehen, weil er dann viele Damen um sich herum hatte und deren | |
Aufmerksamkeit genoss. Margot aber sagte, nein, also in Konkurrenz mit | |
diesen vielen Damen mit ihren Perlenketten will ich nicht treten. Sie | |
trennte sich, [3][kaufte sich ein Wohnmobil] und zog los. Später rief sie | |
mich auf Reisen an und sagte, es gehe ihr sehr gut. | |
taz: Verändern sich denn vor allem die Männer, wenn sie in Rente gehen und | |
erschöpft vom langen Berufsleben sind? | |
Maltry: Einige kennen vielleicht noch die Komödie „Pappa ante Portas“ von | |
Loriot, als der Mann in Rente ist und zuhause alte Zeitungen sammelt und | |
chronologisch auf dem Fußboden auslegt. Aber manche Männer suchen sich nach | |
der Berentung oder Pensionierung auch noch eine sinnvolle Tätigkeit, die | |
vermissen die Anerkennung im Beruf. Wieder andere erhoffen sich diese | |
Anerkennung dann aber von einer neuen Beziehung. | |
taz: In Ihrem Fallbeispiel von Ulrike und Jürgen trennt sie sich nach | |
langer Ehe, als sie feststellt, dass ihr Mann schon länger eine Freundin | |
hat. Das kommt einem wie ein Klassiker vor … | |
Maltry: In dem Fall begann Ulrike dann noch eine Karriere als Bildhauerin | |
und war damit sogar sehr erfolgreich. Sie fand einen neuen gleichaltrigen | |
Mann und sagte mir später, sie hätte mit über 60 den besten Sex ihres | |
Lebens gehabt, die Trennung sei die richtige Entscheidung gewesen. Ihr | |
neuer Freund wiederum pflegte seine alzheimerkranke langjährige Ehefrau und | |
kümmerte sich auch weiter um sie, was Ulrike respektierte. Die Fälle sind | |
sehr vielschichtig. | |
taz: Spielt Sex denn in späteren Jahren noch eine große Rolle? Oder erst | |
recht? Im Fall von Heidi und Werner trennt er sich nach 46 Jahren Ehe und | |
schwärmt ihr von seiner neuen sexuellen Beziehung mit der Campingnachbarin | |
vor. | |
Maltry: Die Bedürfnisse sind unterschiedlich, auch bei den Frauen. Ich | |
kenne Frauen, die sagen, Sex ist nicht mehr so wichtig, aber ich kenne auch | |
Frauen, die sagen, ich finde es toll, ich will auch [4][Sex im hohen Alter] | |
haben. Nähe und Vertrauen spielen eine große Rolle. Die Kommunikation, der | |
Austausch, sind aber am Wichtigsten. Kann ich mit dem Partner oder der | |
Partnerin über mich, meine Gedanken, meine Wünsche, meine Sicht auf die | |
Welt reden? Wenn ich das mit meinem langjährigen Partner oder meiner | |
Partnerin gar nicht mehr kann und das mit einem neuen Menschen erfahre, | |
dann fühle ich mich wieder lebendig, dann kommt der Seitensprung. | |
taz: Aus Ihren Fallgeschichten geht hervor, dass eine gewisse | |
Lieblosigkeit, die sich in Ehen einschleicht, eine große Gefahr darstellt. | |
Maltry: Das höre ich sehr oft, dass in langjährigen Ehen am Partner | |
herumgekrittelt wird. Das kann sowohl von der Frau als auch vom Mann | |
ausgehen. Wie etwa in einem Fall die Véronique zu dem wesentlich älteren | |
Holger sagt, na, du hast jetzt einen Bauchansatz, du wirst alt. Dann treibt | |
ihn das weg. Oder der Mann sagt zur Frau, was hast du denn für einen | |
Hängebusen gekriegt? Diese Hassehen, wo sich alte Paare nur noch | |
gegenseitig herunterputzen, gibt es heute aber nicht mehr so häufig, Gott | |
sei Dank. Das sind auch oft die Frauen, die dann sagen, das will ich jetzt | |
nicht noch 20 Jahre aushalten. | |
taz: Aber ist es nicht die Angst vor Alterseinsamkeit, die manche Frauen | |
davon abhält, sich zu trennen? So nach dem Motto: Ach, ich finde in meinem | |
Alter keinen neuen Mann mehr? In US-amerikanischen Facebookgruppen | |
diskutieren ältere Frauen die Frage: Bleibe ich bei meinem Muffelkopf, weil | |
das besser ist als alleine zu sein, oder trenne ich mich und reise noch ein | |
bisschen durch die Welt oder fange an zu malen? Die Meinungen darüber gehen | |
in den Gruppen auseinander. | |
Maltry: Es gibt heute viele Angebote, die sich auch an alleinstehende | |
Frauen wenden: Reiseveranstalter, Singlereisen, Naturreisen, Malgruppen. | |
Allein in München gibt es 70 Frauenverbände. Viele ältere Frauen üben | |
Ehrenämter aus. Es ist zum Glück nicht mehr die Norm, dass man als Frau nur | |
etwas wert ist, wenn man einen Mann an der Seite hat. Insofern hat sich | |
über die vielen Jahrzehnte, in denen ich Anwältin bin, viel verändert. | |
taz: Sind denn Frauen, die sich in späten Jahren trennen, besonders von | |
Altersarmut bedroht? | |
Maltry: Wenn sich die Frauen in späten Jahren scheiden lassen, bekommen sie | |
den Versorgungsausgleich, also die geteilte Rente, denn die | |
Rentenanwartschaften werden zwischen den Eheleuten aufgeteilt. Wenn sie | |
sich allerdings nur trennen und nicht scheiden lassen, wird die Rente nicht | |
geteilt. Männer bevorzugen daher in späteren Jahren lieber erst mal nur die | |
Trennung und behalten ihren Rentenanspruch für sich. Ich kläre die Frauen | |
auf, aber auch die Männer. Bei einer Trennung in späten Jahren sollten die | |
Eheleute zumindest über einen Ehevertrag die Unterhaltszahlungen und die | |
Aufteilung des Vermögens regeln. | |
taz: Und welche Rolle spielt eine mögliche Pflegebedürftigkeit bei einer | |
Scheidung oder neuen Partnersuche? | |
Maltry: Die Pflegebedürftigkeit ist ein heikles Thema. In einem meiner | |
Fälle, dem von Gudrun und Ernst, war er mit einer neuen jüngeren Freundin | |
davon gezogen, bekam dann Parkinson, die Freundin trennte sich und er | |
kehrte wieder zu seiner Noch-Ehefrau Gudrun zurück und wollte nun von ihr | |
gepflegt werden. Das hat sie nicht mitgemacht. Finden die Frauen mit über | |
70 eine neue Partnerschaft, dann sagen sie auch schon mal, ja, ich will | |
eine gute Zeit mit ihm haben, wir ziehen aber nicht zusammen und ich möchte | |
ihn später auch nicht pflegen. Wenn es eine langjährige, liebevolle | |
Beziehung war, dann wird man den Partner oder die Partnerin aber pflegen | |
oder mitpflegen, da kenne ich tolle Paare. Interview: Barbara Dribbusch | |
„Ich finde langsam zu der Person zurück, die ich vor meiner Ehe war“ | |
Gisela Treutner*, Anfang 60, erzählt: | |
Niemals! – Das sagte ich lange Zeit, wenn mich jemand fragte, ob es nicht | |
besser wäre, die Scheidung einzureichen. Mein Ex-Mann und ich waren über 30 | |
Jahre lang verheiratet. Die Ehe hatte für mich als [5][katholisch geprägten | |
Menschen] immer einen hohen Stellenwert. Wir ließen uns kirchlich trauen | |
und ich dachte damals, als wir uns das Ja-Wort gaben, wir würden für immer | |
zusammen bleiben und dass unsere Beziehung eine glückliche ist. | |
Dabei weiß ich heute, dass ich nur dann glücklich war, wenn es mal keinen | |
Streit wegen irgendeiner Nichtigkeit gab. Mein Ex-Partner hat starke | |
narzisstische Züge, die erst im Lauf der Beziehung ans Tageslicht kamen. Je | |
dominanter und gewalttätiger er wurde, desto ängstlicher wurde ich – immer | |
auf der Hut vor dem nächsten Konflikt. Ich passte mich ihm zunehmend an, | |
auch dahingehend, dass ich nicht arbeiten ging, weil er das so wollte. | |
Das ging so lange gut, bis ich einen schweren Zusammenbruch erlitt. Erst | |
[6][dank einer Psychotherapie] verstand ich, dass die Ursache für diese | |
seelische Krise meine Ehe war. Es gelang mir anfangs kaum, mir das | |
einzugestehen. Ich fühlte mich wie eine Verräterin, wenn ich meine | |
Beziehung oder meinen Ex-Partner infrage stellte. Mehrere Jahre und viel | |
private, psychotherapeutische und anwaltliche Unterstützung habe ich | |
gebraucht, um nach den ersten Gedanken an eine Trennung den Mut | |
aufzubringen, tatsächlich die Scheidung einzureichen. | |
Ich hatte große Angst vor diesem Schritt. Meine ganze Existenz war | |
inzwischen so sehr an meinen Ex-Mann geknüpft, dass ich mir mich gar nicht | |
mehr alleine vorstellen konnte. Auch finanziell war ich von ihm abhängig, | |
was mir zusätzliche Sorgen bereitete. Theoretisch hätte mir nach der | |
Scheidung die Hälfte dessen zugestanden, was wir während unserer Ehe | |
erwirtschaftet hatten. Aber mein Ex-Partner signalisierte mir, dass er sich | |
an dem Punkt querstellen würde und drohte mir mit einem jahrelangen | |
Rechtsstreit. Dafür fehlte mir die Kraft, sodass ich mich schließlich in | |
einer außergerichtlichen Einigung mit deutlich weniger Geld zufriedengab, | |
als mir zugestanden hätte. | |
Wie schaffe ich es, wieder einen Fuß zurück ins Leben zu kriegen? Das war | |
zum Zeitpunkt der Trennung die zentrale Frage für mich. Mir konkrete | |
Gedanken über die Zeit danach zu machen, dazu war ich gar nicht in der | |
Lage. Heute, fünf Jahre später, wähne ich mich auf einem guten Weg. Ich | |
finde langsam wieder zu der Person zurück, die ich vor meiner Ehe war, | |
reiselustig und kontaktfreudig. Ich finde langsam all die Eigenschaften | |
wieder, die ich in meiner Partnerschaft verloren hatte. | |
Ich genieße das Alleinsein, auch wenn ich mich manchmal einsam fühle. Dafür | |
bin ich heute selbstbestimmt, kann wieder alleine in den Urlaub fahren und | |
im Restaurant das bestellen, worauf ich Lust habe – banale Dinge, die in | |
meiner Beziehung nicht möglich waren und die mich heute umso glücklicher | |
machen. In solchen Momenten merke ich, dass ich wieder frei bin. | |
Trotzdem gibt es noch eine Traurigkeit in mir über die lange Zeit, die ich | |
in dieser Beziehung verbracht und gelitten habe. Mich diesem Gefühl zu | |
stellen, liegt noch vor mir. Protokoll: Laura Catoni | |
*zum Schutz der Protagonistin, die sich vor ihrem Ex-Partner fürchtet, | |
verwenden wir ein Pseudonym | |
„Als hätte man ein Blatt Papier zerrissen“ | |
Thomas Groß, 52, aus Dresden erzählt: | |
Obwohl wir nicht verheiratet waren, hatte ich in meiner vorigen | |
Partnerschaft die Hoffnung, dass sie bis zum Lebensende hält. Umso tiefer | |
saß der Schock, als meine damalige Partnerin sich von mir trennte. Da war | |
nach 18 Jahren Beziehung plötzlich diese riesige Veränderung, die gefühlt | |
aus dem Nichts kam und bei der mir nichts anderes übrig blieb, als sie zu | |
akzeptieren, und die Tatsache, dass alle Wünsche und Ideen, die man für die | |
gemeinsame Zukunft hatte, erst einmal obsolet waren. | |
Dabei hatten wir einen guten Start, würde ich behaupten, und eine | |
Beziehung, die auf Vertrauen, Akzeptanz und Liebe fußte. Wir wollten | |
[7][nie in die klassische Rollenverteilung rutschen], sind es durch das | |
gemeinsame Kind aber dennoch. Ich war hauptverantwortlich für das | |
Familieneinkommen, meine Ex-Partnerin war bei mir angestellt, aber trug die | |
Last von Erziehung und Haushalt. | |
Irgendwann veränderten sich die Bedürfnisse, entstand der Wunsch nach | |
Veränderung auf beiden Seiten. Doch anstatt darüber offen und ehrlich | |
sprechen, haben wir am Status quo festgehalten, was wiederum zu Spannungen | |
und Vorwürfen führte. Rückblickend hätte es Momente gegeben, um sich | |
gemeinsam neu auszurichten. Doch es fehlte bei uns beiden an Bereitschaft, | |
das zu tun. Sich und die Beziehung zu hinterfragen. | |
Ich würde mir wünschen, dass Menschen toleranter dafür werden, dass in | |
einer Langzeitbeziehung Probleme entstehen können, ohne dass sie gleich die | |
Trennung bedeuten. Dass man sich in gegenseitiger Absprache, eventuell auch | |
mit Hilfe von Paartherapie, neu aufstellt – auch wenn das vielleicht erst | |
einmal heißt, auf Distanz zueinander zu gehen. | |
Uns ist das nicht gelungen. Was folgte, waren Unzufriedenheit, Resignation | |
und irgendwann die erste Trennung, die sich auf emotionaler Ebene schon | |
angebahnt hatte. Danach probierten wir es noch einmal, fielen jedoch wieder | |
in die alten Muster zurück. Als wären die Fußabdrücke der vorherigen Jahre | |
zu groß gewesen. Dann folgte das zweite Beziehungsende. Das bedeutete auch | |
die wohnliche Trennung und die Teilung des gemeinsamen Freundeskreises. Als | |
hätte man ein Blatt Papier zerrissen. | |
Das war alles sehr schmerzhaft und die Sehnsucht nach der Ex-Partnerin | |
kommt immer wieder. Doch ich konzentriere mich darauf, meine neue Position | |
im Leben zu finden. | |
In der Zwischenzeit konnte ich die Dinge mit Distanz analysieren und einige | |
positive Seiten der Trennung erkennen: Ich habe wieder ein Gefühl der | |
Eigenverantwortlichkeit entwickelt, das ich an dem Punkt verloren hatte, | |
als unsere Beziehung eine Neuausrichtung gebraucht hätte. Ich würde auch | |
sagen, dass ich durch die Trennung sensibler für die Beziehung zu meinem | |
Kind geworden bin. Auch hat sich mir ein Raum eröffnet zum Reflektieren und | |
um mich weiterzuentwickeln, den ich in der Partnerschaft wohl so nicht | |
gehabt hätte. | |
Auf lange Sicht wünsche ich mir dennoch eine neue Beziehung. Bis dahin | |
möchte ich mich ausprobieren, um zu schauen, was für mich passt. Auch das | |
bringt eine Trennung mit sich: dass man sich noch einmal grundsätzlich | |
fragen kann, was man will und was nicht. Protokoll: Laura Catoni | |
„Bis heute habe ich den Beschluss nie bereut“ | |
Ute Hollinger, 60, aus Dresden erzählt: | |
An einem Punkt wusste ich: Es fehlt nur noch eine Sache, bis ich mich | |
trenne. Dabei hatte ich meinen Ex-Mann aus Liebe geheiratet und mit der | |
Vorstellung, dass wir den Rest unseres Lebens miteinander verbringen | |
würden. Die ersten Jahre war ich auch glücklich und fühlte mich | |
gleichberechtigt in unserer Beziehung. Doch dann begannen unsere | |
Vorstellungen vom gemeinsamen Leben auseinanderzugehen. | |
Schließlich erfuhr ich durch meinen Ex-Mann eine große Enttäuschung, die | |
mich im Mark erschütterte, die ich aber nicht im Detail schildern möchte. | |
Danach war mir klar, dass unsere Beziehung am Ende war, dass die Gegenwart | |
plötzlich eine andere war, die Zukunft weg und die Vergangenheit infrage | |
gestellt. Alles, was ich mir mit diesem Mann vorgestellt hatte, war | |
plötzlich hinfällig. Wie ein verletztes Reh fühlte ich mich. | |
So schmerzhaft das auch war: Der Entschluss, mich zu trennen, fiel mir | |
leicht, und ich habe ihn bis heute kein einziges Mal bereut. Ich fühlte | |
mich rückblickend [8][in unserer Beziehung immer weniger gleichberechtigt] | |
und zunehmend durch meinen Ex-Mann kontrolliert. Eigentlich waren wir schon | |
innerhalb der Beziehung getrennt. | |
Obwohl die Scheidung für mich außer Frage stand, hatte ich das Gefühl, | |
gescheitert zu sein. Als hätte ich es nicht geschafft, diese Beziehung | |
aufrechtzuerhalten. Dabei hatte ich so viel Energie in sie gegeben – in | |
guten wie in schlechten Zeiten, wie wir es uns beim Ja-Wort geschworen | |
hatten. Lange Zeit konnte ich meinem Ex-Mann nicht verzeihen, genauso wenig | |
wie mir, dass ich so lange in der Ehe verharrt hatte. Ich habe die 25 | |
gemeinsamen Jahre als Zeitverschwendung empfunden. Aber inzwischen habe ich | |
meinen Frieden damit geschlossen. | |
Früher hatte ich einen negativen Blick auf das Thema Trennung. Ich habe | |
Frauen, die nach ihrer Scheidung alleine geblieben sind, kritisch beäugt. | |
Dann war ich selbst in dieser Position und nach über zwei Jahrzehnten das | |
erste Mal wieder wirklich alleine. Das war anfangs ungewohnt: auf einmal | |
alleine durchs Leben zu gehen, Entscheidungen zu treffen, alleine ein Auto | |
zu kaufen, ohne einen Mann im Hintergrund. Gleichzeitig fühlte es sich gut | |
an, als eigenständige Person gesehen zu werden. Es löste in mir eine | |
Aufbruchstimmung aus. Ich richtete mir meine neue Wohnung ganz nach meinem | |
Geschmack ein, kaufte mir Schmuck, machte mich schick. Man könnte sagen, | |
durch die Trennung entdeckte ich meine Weiblichkeit und dadurch auch meine | |
Sexualität wieder. | |
Ich fand auch einen neuen Partner, heiratete ein zweites Mal. Elf Jahre | |
waren wir zusammen, dann ist er verstorben. Das war ein großer Verlust, | |
doch ich bin froh über die Zeit, die wir hatten, in der ich mich wieder | |
geliebt und begehrt fühlte. | |
Das ist das Gute an dieser Trennung, denke ich: Dass ich mich selbst wieder | |
gefunden habe, nachdem ich mich in der Beziehung fast verloren hatte. Das | |
zeigt sich auch in der Art und Weise, wie ich heute über meine Scheidung | |
spreche. Am Anfang habe ich dabei immer aus der Perspektive meines | |
Ex-Mannes erzählt und wie es ihm mit allem ging. Inzwischen habe ich den | |
Blick auf mich gerichtet, wenn ich unsere Geschichte erzähle. Protokoll: | |
Laura Catoni | |
„Wir brachten das Ehebett zum Sperrmüll“ | |
Doris Appelt*, Mitte 50, erzählt: | |
An den Moment, als mein Ex-Mann und ich ein paar Jahre vor unserer Trennung | |
unser Ehebett auf den Sperrmüll gebracht haben, erinnere ich mich gut. Er | |
hatte kurz zuvor beschlossen, wegen eines neuen Jobs in einer anderen Stadt | |
bei uns auszuziehen, also bot sich die Gelegenheit, ein neues Bett zu | |
kaufen. Obwohl wir da noch ein Paar waren, war das für mich rückblickend | |
der Moment, in dem ich wusste: Ich bin raus. Das entsorgte Bett stand | |
symbolhaft dafür. | |
Wir hatten zu dem Zeitpunkt ein sehr schwieriges Jahr hinter uns. Mein | |
Ex-Mann war in einer persönlichen Krise und ich hatte viel Stress. Während | |
ich ihn motivierte und tröstete, bekam ich von ihm nur wenig zurück. Das | |
hat mir unglaublich viel Energie geraubt. Gleichzeitig fühlte ich mich von | |
ihm durch seine pessimistische Art häufig ausgebremst in Vorhaben, die ich | |
mir für mich oder uns überlegt hatte. Dass ich mich dadurch innerlich schon | |
getrennt hatte, merkte ich daran, dass ich plötzlich keine Nähe mehr | |
ertragen konnte. | |
Dabei waren wir lange Zeit ein unschlagbares Team gewesen, [9][als Eltern], | |
aber auch als Paar. Bis die Kinder aus dem Gröbsten raus waren. Es war, als | |
hätten sie bis dahin eine Leerstelle in der Beziehung gefüllt, die ich | |
danach das erste Mal so richtig spürte. Als wäre die Verbindung zu meinem | |
Ex-Partner verloren gegangen. Vielleicht hätte uns ein neues, gemeinsames | |
Projekt geholfen, doch das fehlte uns. | |
Dass ich nicht mehr glücklich war, war mir lange nicht bewusst. Bis mir ein | |
anderer Mann Avancen machte und ich plötzlich spürte, wie ich das genoss. | |
Gleichzeitig verurteilte ich mich dafür. Das darf nicht sein, dachte ich, | |
wenn ich doch meinen Mann liebe. 25 Jahre lang waren wir verheiratet. | |
Natürlich ging ich mit dem Gedanken in die Ehe, dass wir zusammen alt | |
werden würden. | |
Auch an den Tag vor Gericht, als wir uns scheiden ließen, erinnere ich mich | |
noch gut. Da gab es einen kurzen Moment, in dem sich alles wieder ganz | |
vertraut anfühlte, in dem ich wusste, ich kenne diesen Mann in- und | |
auswendig. Doch als die Papiere unterschrieben waren, war es in Ordnung. | |
Ich hatte mich ja mental schon lange auf diesen Moment vorbereitet, indem | |
ich mich mit mir und meinen Bedürfnissen auseinandergesetzt hatte. | |
Die Trennung ging von mir aus. Ich wollte damit vor allem meine | |
Unabhängigkeit zurückerlangen, nachdem ich lange für Haushalt und Familie | |
zuständig gewesen war. Heute arbeite ich in einem Beruf, der mich erfüllt, | |
lebe in meiner eigenen Wohnung, die ich mir nach meinem Geschmack | |
eingerichtet habe, bin finanziell unabhängig. All das genieße ich. | |
Was ich nicht habe kommen sehen, ist, wie es sich anfühlt, wirklich wieder | |
alleine zu sein. Zwar kann ich auch das inzwischen genießen. Doch ich habe | |
große Angst, keinen neuen Partner zu finden. Deshalb habe ich mich auf | |
Onlinedating-Portalen umgeschaut. Aber wenn man als Frau heute älter als 45 | |
Jahre alt ist und nicht komplett dem Schönheitsideal entspricht, hat man | |
verloren. Dieser Markt der Eitelkeiten ist nichts für mich. Und doch glaube | |
ich daran, irgendwann wieder Schmetterlinge im Bauch zu fühlen. | |
Heute geht es mir gut mit der Trennung. Ich bin überzeugt, dass dieser | |
Schritt auch für andere eine Befreiung sein kann. Es kostet unglaublich | |
viel Mut und Kraft, ihn zu gehen. Vor allen, die das schaffen, ziehe ich | |
den Hut. Protokoll: Laura Catoni | |
*auf Wunsch der Interviewten verwenden wir ein Pseudonym | |
„Ein Mediator half uns auf unserem Weg“ | |
Guido Hoppe, 62, aus Meiningen in Thüringen erzählt: | |
Dass meine Ex-Frau irgendwann die Scheidung wollte, war eigentlich keine | |
Überraschung für mich. Ich hatte das bereits kommen sehen und denke, sie | |
sprach in dem Moment nur aus, was wir beide schon wussten. Es liegt in | |
meiner Natur, dass ich Dinge eher abwarte, vielleicht war ich auch ein | |
bisschen zu feige, selbst die Initiative zu ergreifen – und doch war es ein | |
kleiner Schock für mich, als meine Ex-Frau dann so weit war. Über 30 Jahre | |
waren wir zusammen, sogar die Silberhochzeit hatten wir geschafft. | |
Sicher ging ich [10][zu Beginn der Ehe] davon aus, dass wir gemeinsam alt | |
werden würden, und wir hatten auch viele schöne Momente zusammen. Doch | |
irgendwann arbeiteten wir beide so viel, dass unsere Beziehung auf der | |
Strecke blieb. Wir verloren uns aus den Augen, verloren das Gespür dafür, | |
was der andere für Bedürfnisse hat. Diese Entfremdung passierte | |
schleichend, und irgendwann ahnte ich, dass wir falsch abgebogen waren. | |
Dass wir den Moment verpasst hatten, uns hinzusetzen und über unsere | |
Probleme zu sprechen. | |
Nach der Trennung wollten wir die Scheidung so friedlich wie möglich über | |
die Bühne bringen, ohne Rosenkrieg und ewigen Briefwechsel zwischen | |
Anwälten. Ein Mediator half uns auf diesem Weg. Hilfreich war auch, dass | |
unsere beiden Kinder zum damaligen Zeitpunkt schon erwachsen waren. Meine | |
Ex-Frau und ich stehen heute noch in einem guten Verhältnis zueinander, | |
sodass wir dieses Jahr sogar Weihnachten zusammen feierten. Ihr neuer | |
Lebensgefährte war auch dabei und das ist völlig okay für mich. | |
Ich gehe gelassen mit unserer Scheidung um, und so tat es auch unser | |
Umfeld. Ich habe das Gefühl, in meinem Alter blicken die meisten Leute sehr | |
realistisch auf das Thema und machen sich keine Illusionen mehr, dass jede | |
Ehe für immer hält. Man könnte sagen, wir waren einfach die nächsten im | |
Bekanntenkreis, die sich getrennt haben. | |
Die Trennung bedeutete einen Neustart für mich. Ich bin in ein anderes | |
Bundesland gezogen, habe einen neuen Job angefangen, mir eine Wohnung für | |
mich allein gesucht und sie eingerichtet. Ich habe bisher keine neue | |
Partnerin, auch, weil eine neue Beziehung aktuell keine Priorität für mich | |
hat. Angst davor, alleine zu enden, habe ich nicht. Ich genieße es, für | |
mich zu sein, meinen Alltag selbstbestimmt zu gestalten. Wenngleich es auch | |
natürlich Momente gibt, in denen ich alleine durch den Wald laufe und | |
denke, es wäre schön, das mit einer Frau zu teilen. Aber ich habe mich mit | |
meiner neuen Lebenssituation gut arrangiert. | |
Sicher war ich auch traurig darüber, dass unsere Beziehung an ein Ende | |
gekommen war. Aber im Nachhinein hat dieser Schritt für uns beide eine | |
positive Entwicklung in Gang gesetzt. Ich würde mir wünschen, dass mehr ins | |
Bewusstsein der Menschen rückt, dass eine Scheidung nach langer Ehe auch | |
etwas Gutes haben kann. Man sollte sich nie leichtfertig trennen, doch wenn | |
es triftige Gründe gibt, wenn es nicht mehr funktioniert, dann sollte man | |
den Schritt wagen. Protokoll: Laura Catoni | |
5 Jan 2025 | |
## LINKS | |
[1] /Familienrechtlerin-fuer-klare-Absprachen/!6001867 | |
[2] /Seniorenwohnen/!5929280 | |
[3] /Riesen-Wohnmobile-auf-Campingplaetzen/!5960816 | |
[4] /Mythen-zu-Sex-im-Alter/!5709476 | |
[5] /St-Hedwigs-Kathedrale-in-Berlin/!6048242 | |
[6] /Reformstau-in-der-Psychotherapie/!6040017 | |
[7] /Studie-zur-Rollenverteilung-in-der-Ehe/!5148611 | |
[8] /Feminismus-in-der-Familie/!6011408 | |
[9] /Die-Freundschaftsfamilie/!6032375 | |
[10] /Der-Staat-und-die-Ehe/!5936082 | |
## AUTOREN | |
Barbara Dribbusch | |
Laura Catoni | |
## TAGS | |
Longread | |
wochentaz | |
Scheidung | |
Trennung | |
Gleichberechtigung | |
Liebe | |
Rente | |
Recherche | |
GNS | |
Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
Hochzeit | |
Familie | |
Öko | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Altersbericht der Bundesregierung: Mythos „Babyboomer“ | |
Von pauschalen Erleichterungen für alle Rentner:innen profitieren auch | |
jene, die schon genug haben. Wichtiger sind zielgerichtete Maßnahmen gegen | |
Altersarmut. | |
Die These: Heiraten? Vollkommen überflüssig | |
Wozu braucht es Hochzeiten, fragt unsere Autorin. Sie fordert, sich dafür | |
stark zu machen, dass sich der Staat bei der Liebe fortan schön raushält. | |
Trennung von Melinda und Bill Gates: So Gates heute vielen | |
Melinda und Bill Gates haben sich getrennt – und schauen nun nach vorn. | |
Damit stehen sie für das Arbeiten und Altern im 21. Jahrhundert. | |
Der Hausbesuch: Neues Ich | |
Uta Zahn trennt sich mit 50 Jahren von ihrem Mann. Heute wohnt sie in einer | |
Ökosiedlung und will einfach sein, wer sie ist. |