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# taz.de -- Der Hausbesuch: Neues Ich
> Uta Zahn trennt sich mit 50 Jahren von ihrem Mann. Heute wohnt sie in
> einer Ökosiedlung und will einfach sein, wer sie ist.
Bild: Früher wurde ihr gesagt, als alte Frau trage man keine langen Haare. Heu…
Eine Plattenbauwohnung in einem Ökodorf ist eigentlich nicht das Habitat
für Uta Zahn, die auf einem Bauernhof aufgewachsen ist und eine Gärtnerei
geleitet hat. Zu Besuch in einem „Zwischenort“.
Draußen: Wallmow ist einer der wenigen Orte in der Uckermark, wo junge
Leute nicht weg-, sondern hinziehen. Es gibt eine Freie Schule, eine
Gemeinschaftssauna, eine „Klimakita“. Ein Experiment, über das es
Dokumentarfilme gibt. Vor dem Dorfladen trinken die Postboten Kaffee.
Sonntags kommen die Berliner vorbei und schnuppern Landluft. Manche sind
hier geblieben. Am Dorfende steht aber auch ein „Neubau“.
DDR-Plattenbauten, für Leute, die sich kein Haus leisten konnten, sagt Uta
Zahn. Damals gerechte Wohnraumverteilung. Sie ist die Neuste hier.
Drinnen: Abgegriffenes, eiergelbes Treppengeländer, Dekoration in jedem
Treppenhausfenster, dann steht man in Uta Zahns Vierzimmerwohnung. Im Gang
ein bunter Schuhschrank, rechts davon ein Wohn- und Schlafzimmer, dahinter
ein „Atelier“, das noch renoviert wird, links die Küche. Blick auf die
Felder, alle Fenster sind geöffnet. Ein Rasenmäher rumort. Sonne fällt auf
den Küchentisch, der in einer Studenten-WG stehen könnte.
Uta Löwenzahn: So steht es auf Uta Zahns Lieferbus. Die Schulkinder im Dorf
haben für sie einen Reim geschrieben: „Wer bringt das Gemüse mit dem Kran?
/ Die Uta Löwenzahn.“ Uta Zahn, 53, trägt ein T-Shirt mit Blumenmuster,
rote Pantoffeln, die grau-blonden Haare fallen ihr über die Schultern.
Früher habe sie gesagt bekommen, als alte Frau trage man keine langen
Haare. Jetzt ist ihr das egal. „Ich wollte mich privat verändern, sagen wir
es mal förmlich.“ Wenn Uta Zahn lächelt, verzieht sich ihre Stirnfalte.
Damals: Uta Zahn wächst „hinterm Wald, an der Wiese, an der Uecker“ auf,
einem Bauernhof 50 Kilometer weiter nördlich. Nur für die Hausaufgaben
konnte sie sich vor der Feldarbeit drücken („Ich durfte nie sagen, ich kann
nicht mehr“). Ihren Mann lernt sie in der Seminargruppe kennen, sie
studieren beide Landwirtschaft.
Zähne zusammenbeißen: Wie im Sozialismus üblich, „wird man dort hingelenkt,
wo man gebraucht wird“, sagt Uta Zahn und trinkt Tee aus einer
müslischalengroßen Tasse. Ihr Mann wird mit 26 Jahren LPG-Vorstand. Sie
wird mit 23 Jahren an den Computer befördert. Weil sie sich um die Kinder
kümmern muss, schlägt ihr Mann vor, sie solle sich mit einer Gärtnerei
selbstständig machen. Währenddessen beackert er 5.000 Hektar, hat 200
Angestellte und „jongliert“ mit Millionen.
Sie regelt die Gärtnerei allein: bestellen, pflanzen, ernten, ausliefern,
zwischendrin das Mittagessen, nachts die Buchhaltung und jedes Jahr eine
neue Geschäftsidee, um überleben zu können. Wenn der Drucker nicht
funktioniert, bricht Uta Zahn in Tränen aus. Die Hand ist entzündet. Sie
hat einen Tennisarm: „Ich wollte nicht mehr.“
Das Jahr der Veränderung: 2017 pflegt Uta Zahn ihre krebskranke Mutter,
„bis zum letzten Atemzug“, das war im Januar. Ein paar Monate später räumt
sie ihren Bioladen das letzte Mal aus und übergibt ihn einer größeren
Vermarktungsgemeinschaft. Als im August ihr jüngster Sohn auszieht, endet
eine Ära, in der sie 26 Jahre lang ihre Kinder großgezogen hatte: „Ich
dachte, ich gönne mir etwas Wellness und schlafe mal aus.“ Was sie nicht
weiß: dass es eine anthroposophische Kur ist, die ihr Leben verändert. „Und
dann kamen die da mit der Eurythmie und mit den Bienenwachsauflagen, und
ich habe nur geheult.“
Die Trennung: Am Nikolaustag kommt sie zurück, geht nicht direkt nach
Hause, erst zur Posaunenprobe, danach sitzt sie am Küchentisch und sagt
ihrem Mann, was sie sich zehn Jahre nicht traute: Dass sie sich trennen
will. Immerhin hätten sie endlich geredet. „Ich wusste nie, wie ich das
machen soll.“ Da waren die Kinder. Der gemeinsame Betrieb. Das Haus, der
Garten, „meine dreißig Rosen“.
Was andere denken: Manche Frauen sagen ihr: „Das ist mutig.“ Die Schwester:
„Wenn du diplomatischer wärst, würde das mit der Ehe klappen.“ Sie habe es
dreißig Jahre versucht. Uta faltet die Hände in ihrem Schoß. Sie wollte nie
der „Buhmann“ im Dorf sein, die, die ihren Mann verlässt. Weil sie sich im
eigenen Dorf zu einer Erklärung genötigt fühlt, zieht Uta Zahn knapp zehn
Kilometer weiter, ins Ökodorf Wallmow.
Das neue Zuhause: Sie reißt Tapeten ab und streicht alles weiß. Eine
feudale Samtcouch und schwedische Möbel stehen in ihrem Wohnzimmer („Ich
konnte es selbst nicht fassen, dass ich mir so verrückte Möbel kaufe“). Sie
öffnet die Schränke, sie sind leer. Das meiste ließ sie zurück: „In einem
Haus sammelt sich so viel an, ich konnte es nicht ausräumen.“ Ein
Familienfoto aus der Trennungszeit liegt im Wohnzimmer.
Die Übergangszeit: „Ich konnte nicht essen.“ Nach der Trennung habe sie
acht Kilo verloren. Dann seien die Zweifel an der Trennung immer weniger
geworden; einmal täglich, zweimal wöchentlich, dann kaum noch. Sie tut
etwas gegen die Traurigkeit. Geht joggen. Kurze Zeit später macht sie das
erste Mal beim Triathlon mit. Sie fängt an zu meditieren, in ihrem
Schlafzimmer, in dem ein selbst gebautes Bett steht, mit Blick auf grasende
Kühe. An der Decke hängen Stoffe. Ganz anders als in ihrem Haus davor. Ein
Kind aus dem Dorf hat ihr eine Stoffente geschenkt, „damit ich nicht allein
schlafen muss“.
Das erste Weihnachten allein: Posaune spielen in der Kirche, Fernseher und
Chips. Die Familie sagt: „Du bist so struppig“, und: „Mutti, willst du
nicht wieder etwas machen?“ Dabei tat sie das die ganze Zeit. „Nein, etwas
Vernünftiges.“ Uta Zahn sitzt auf dem Boden im Schneidersitz und lacht:
„Alles hat sich umgekehrt.
Voller Terminkalender: Sie fährt mit dem Fahrrad nach Belgien, in die
Alpen, geht fasten und Tango tanzen, sie kalligrafiert Postkartensprüche
und stellt Körperöle her. Über dem Notenständer hängt ein Bauchtanztuch,
wie eine Erinnerung, auch das noch zu tun. Auf dem Sessel liegt ein T-Shirt
mit einem Wahlspruch. Sie lasse sich gerade für die Wahl zur
Stadtverordneten aufstellen. Aktives Brüssow. „Gestern bin ich an einem
Großraumplakat vorbeigegangen, ich konnte es nicht glauben, da war ich
drauf.“ Sie wird gewählt.
Im Sommer: Lernt sie, im Bus zu schlafen und dass sie an nichts mehr
gebunden ist: „Das gab es früher nicht einmal in meiner Fantasie.“ Sie
verbringt Zeit mit denen, die ihrem Mann suspekt waren.
Und weiter? Auf dem Küchentisch flattern Notizzettel umher. Daneben liegt
ein Katalog für die Saatgutbestellung, auf dem Fensterbrett sprießen
Sonnenblumen. Uta Zahn ist nur noch für Bildungsprojekte Gärtnerin. Ein
Projekt habe ihr klargemacht, dass ihr Wissen über Nachhaltigkeit nicht
ausreicht. Sie dachte sich: „Na, dann gehe ich halt studieren.“ Ein
Spanischlehrbuch liegt neben einem Immatrikulationsantrag: nachhaltige
Landwirtschaft. Zwei Semester in Deutschland, zwei in Argentinien. Und eine
Liebe wünscht sich Uta Zahn. „Keine feste Beziehung“, ihre Nasenfalten
kräuseln sich.
Glück: Habe früher bedeutet: Familie und Garten. Aber sie sei nur darauf
getrimmt gewesen, sich zu kümmern: „Ich habe meinen Job gemacht.“ Heute sei
Glück, „wenn ich ich sein darf“.
23 Aug 2019
## AUTOREN
Ann Esswein
## TAGS
Öko
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