Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Anleitung für migrantische Hochzeiten: Feier, tanz, amüsier dich!
> Bei migrantischen Hochzeiten denken die meisten an hupende Autokorsos –
> doch sie sind mehr als das. Drei Berichte aus einem feierintensiven
> Sommer.
Bild: Wie eine Prinzessin in ihrem rot-glitzernden Kleid
[1][Migrantische Hochzeiten] gehören inzwischen zum Straßenbild jeder
deutschen Großstadt: hupende Autokorsos, Trommelmusik, glitzernde Kleider
in den Schaufenstern. Auch wenn sich bosnische, arabische, kurdische
Hochzeiten natürlich voneinander unterscheiden, haben Hochzeitstraditionen
aus diesen Regionen viele Gemeinsamkeiten. Je nach Feierlaune können
Hennaabend (das Äquivalent zum Junggesellinnenabschied), Abholen der Braut
und Hochzeitsfeier mehrere Tage dauern. Um diesen Marathon an lauter Musik,
zu viel Essen und emotionalem Auf und Ab zu überstehen, ist einiges an
Planung von den Feierenden gefragt: Festliche Kleider müssen vorher
gekauft, Blasenpflaster, Ohrstöpsel und andere Essentials eingepackt und,
falls vorgesehen, muss ein Geschenk besorgt werden.
Auf der Hochzeitsfeier, auf der 200 bis 1.000 Gäste nicht unüblich sind,
stehen Tanz und Rituale im Vordergrund. Reden und Hochzeitsspiele, die bei
deutschen Hochzeiten oft für Cringe-Momente sorgen, gibt es keine. Auch
einen Hochzeitswalzer und Baumstammsägen vom Brautpaar wird man auf einer
türkischen oder arabischen Hochzeit nicht erleben.
Was die Traditionen aber auch bedeuten, sind klar definierte,
heteronormative Rollenbilder, viel Aufmerksamkeit auf Äußerlichkeiten und
enorme Kosten – von dem Zurschaustellen der Braut über den sozialen Druck,
übertriebene Geld- und Schmuckgeschenke zu machen, bis hin zur
Männlichkeitsdemonstration durch geleaste Luxusautos, mit denen die Braut
abgeholt wird. Trotzdem, das symbolische Übergeben der Braut an den
Bräutigam existiert im Gang zum Altar am Arm des Vaters auch auf
deutsch-deutschen Hochzeiten. Der Fokus auf Geld und Schönheit füllt
regelmäßig Hochzeitsmessen und die Sofas deutscher Wohnzimmer für Reality
Shows. Da sind sich Menschen doch überall recht ähnlich.
Natürlich sind die Ursprünge mancher Traditionen inzwischen fern von der
Lebensrealität junger Menschen in Deutschland, und Rituale sind inzwischen
vielmehr Sinnbild der eigenen Wurzeln. Hochzeiten dienen als
Partymöglichkeit mit eigener Musik im migrantischen Umfeld und als Anlass,
die Familie aus verschiedenen Ländern zusammenzubringen.
Von dem Spagat zwischen Tradition und ihren eigenen Werten sowie
migrantischen Wurzeln und deutscher Prägung erzählen drei Menschen – ein
Bräutigam, eine Braut und eine Mutter des Bräutigams. Sie geben einen
Einblick in den Ablauf ihrer Hochzeiten, zeigen, was hinter den Kulissen
passiert und wie sie die Traditionen und ihre Lebensweise in Einklang
gebracht haben.
Mehr als ich gewohnt bin
Die Hochzeit war Stress pur. Herzrasen, Bauchschmerzen. Ehrlich gesagt war
ich so aufgeregt, dass ich mich kaum mehr an die Hochzeitsfeier erinnern
kann. Du stehst den ganzen Tag im Mittelpunkt, alle schauen dich an. Da
darfst du dir keine Fehler leisten. In meinem Kopf war nur: nicht
hinfallen, immer lächeln!
Aber ich habe mich auch wie eine Prinzessin gefühlt. In den Kleidern, die
durch die glitzernden Steine drauf auch super schwer waren, mit den Haaren
und der Schminke: Das war alles ein bisschen mehr als ich gewohnt bin, aber
das hat es auch besonders gemacht.
Weil die Hochzeitsfeier so überwältigend und anstrengend war, war für mich
der Hennaabend der schönste Teil der Hochzeit. Mit meinen Freundinnen und
meiner Familie zu tanzen, nur unter Frauen. Eigentlich ist der Hennaabend
ein trauriger Anlass. Aber die Bedeutung, dass ich als Braut meine Familie
verlasse, um zu meinem Ehemann zu ziehen, leben wir nicht mehr. Ich wohne
schon lange allein, und von meiner Mutter muss ich mich nicht
verabschieden. Trotzdem habe ich geweint, weil meine Mama geweint hat. Für
sie war es ein emotionaler Moment, als wir uns voneinander verabschieden
sollten und ich das Henna auf die Hand gemacht bekommen habe.
Mir war wichtig, neben dem weißen Hochzeitskleid und dem roten Kleid für
den Hennaabend auch die albanischen Trachten zu tragen und den
traditionellen Handkuss bei meiner Schwiegermutter zu machen. Der Handkuss
ist ein Zeichen von Respekt und dafür, dass ich eine gute Schwiegertochter
für sie sein möchte. Mit dem Tragen der Trachten wollte ich zeigen, dass
ich ihre Tradition bewahre. Jetzt im Sommer haben wir eine weitere
Hochzeit, die der Schwester meines Mannes, in der Familie. Da trage ich als
neue Braut auch die Tracht. Darauf freue ich mich, aber ich bin auch
gespannt, wie das wird.
Jetzt nach der Hochzeit fühle ich mich mehr angekommen in der Familie
meines Mannes. Zwischen ihm und mir hat sich aber nichts geändert, wir
waren vorher schon wie Familie.
Büsra, 26, hat im Frühling in Berlin geheiratet. Ihre Familie hat
türkische, die ihres Mannes albanische Wurzeln.
Schöne Zeit statt Profit
Für uns war klar, dass wir einige Traditionen nicht machen wollen.
Traditionell trägt die Braut bei türkischen Hochzeiten ein rotes Band um
die Hüfte. Das symbolisiert ihre Jungfräulichkeit. Meine Frau hat von
Anfang an gesagt, das möchte sie nicht tragen. Und auch die türkische
Tradition, dass alle Gäste der Reihe nach dem Brautpaar ihre Geldgeschenke
an eine umgehängte Scherpe heften und jemand laut in ein Mikrofon vorliest,
wie viel jede Familie geschenkt hat, wollten wir nicht. Wir machen die
Hochzeitsfeier ja, um eine schöne Zeit zu haben, und nicht, um Profit
daraus zu schlagen. Wir wollten auch keine riesige Hochzeit: 80 bei der
Feier nach der standesamtlichen Trauung und 160 Gäste bei der großen
Hochzeitsfeier. Normalerweise sind die Feiern so groß, dass alle Leute
einfach rein, und rausgehen, manchmal sogar Fremde. Wir wollten nicht
irgendwelche Cousins einladen, die wir nicht kennen, nur weil meine Eltern
dort mal auf eine Hochzeit eingeladen waren.
Was mir auch Bauchschmerzen bereitet hat, war ein Moment bei der
islamischen Hochzeit in der Moschee. Das läuft ähnlich wie die
standesamtliche ab. Der Imam fragt drei Fragen, die ich mit Ja und meine
Frau mit Ja oder durch Schweigen bestätigen musste. Als der Imam meine Frau
gefragt hat, wie viel Geld sie von mir als Unterhalt verlangt, und obwohl
meine Frau gesagt hat, dass sie das nicht braucht, hat der Imam darauf
bestanden, weil man das so macht bei uns. Da wird wieder unterstellt, dass
die Frau von ihrem Mann abhängig ist. Das fanden wir unangenehm, und das
hört man öfter: Die Frau kommt durch die Hochzeit zum Mann und seiner
Familie, aber nie: der Mann auch zur Frau. Dabei haben wir uns gegenseitig
geheiratet.
Als Tipp würde ich sagen, esst euch nicht beim ersten Gang schon satt, da
kommt noch mehr. Und sagt als Gast mal bei der Familie des Brautpaares
hallo. Ansonsten einfach mittanzen. Ich nehme jetzt immer ein kleines
Handtuch mit, denn man kommt richtig ins Schwitzen.
A., 25, hat im letzten Jahr standesamtlich und vor einigen Wochen islamisch
und mit großer Feier geheiratet. Seine Familie hat marokkanische, die
seiner Frau türkische Wurzeln.
Bloß nicht zu pompös
Wir haben unsere Traditionen und versuchen, sie aufrechtzuerhalten. Aber
vieles kann man hier auch nicht machen, und ich habe schon viele kleine
Bräuche vergessen, die wir im Kosovo hatten. Da haben sich am ersten Tag
der Feierlichkeiten alle Frauen aus der Familie und Nachbarschaft in dem
Haus der heiratenden Familie verabredet und begonnen, das Essen und die
Näharbeiten für die Hochzeit zu machen. Das war für mich der Start der
Hochzeit. Dann haben die Männer die Trachten und Kleider, die die Frauen
für die neue Braut genäht haben, als Willkommensgeschenk zu der Familie der
Braut gebracht. Darin ist sie dann nach ihrem Hennaabend zu ihrer Hochzeit
im Haus ihres Bräutigams gefahren worden. Auch sie hat Handarbeiten
mitgebracht, um zu zeigen, dass sie eine geeignete Braut für den Haushalt
ist.
So liefen die Hochzeiten damals ab, das hat eine Woche gedauert. Aber der
Lebensrhythmus war auch anders, oder würdest du dir mehrmals im Jahr eine
Woche für Hochzeiten freinehmen? Jetzt feiern wir in großen Sälen, das
Essen ist bestellt und alles ist nach zwei Tagen vorbei.
Mir war es wichtig, die Hochzeit nicht zu groß und auffällig zu machen, um
die Atmosphäre an dem Ort, an dem wir leben, nicht zu stören. Zum Beispiel,
als wir uns vor unserer Haustür hier in Berlin versammelt haben, um die
Braut abzuholen, habe ich vorher mit der Polizei besprochen, wo wir unsere
Autos parken dürfen, um die Straße nicht zu blockieren. Ich wollte nicht,
dass unsere Nachbarn und Menschen, die vorbeilaufen, sagen: „Guck mal, was
für übertriebene Feiern die veranstalten“, sondern dass andere Leute schön
finden, wie wir feiern und sich mit uns freuen.
Mit der Hochzeit feiern wir, dass wir ein neues Familienmitglied bekommen.
Meine Schwiegertochter soll wie eine eigene Tochter für mich werden, und
ich möchte sie dabei unterstützen, sich in unsere Familie und die für sie
neuen Traditionen einzuleben.
Mein Rat an alle, die noch nie auf einer migrantischen Hochzeit waren:
Festoj, luaj, kenaqu! Das heißt so viel wie: Feiere, tanze, amüsiere dich!
Miqe hat die Hochzeit ihres Sohnes vor einigen Wochen organisiert. Sie
stammt aus dem Kosovo.
Der Text ist in Zusammenarbeit mit der Medienakademie der Jungen
Islamkonferenz entstanden, die junge Menschen diverser Hintergründe beim
Weg in den Journalismus unterstützen möchte.
25 Aug 2022
## LINKS
[1] /Kommt-mir-bloss-nicht-zu-nahe/!5686333
## AUTOREN
Anile Tmava
## TAGS
Hochzeit
Schwerpunkt Coronavirus
Kolumne Habibitus
Hochzeit
Lesestück Recherche und Reportage
## ARTIKEL ZUM THEMA
Hochzeit von Christian Lindner: Wasser predigen, Champagner saufen
Kritik an der Luxushochzeit von Finanzminister Lindner sei aus Neid
erfolgt, sagt dessen Parteifreundin. Auf eine langweilige Heten-Hochzeit
auf Sylt?
Die These: Heiraten? Vollkommen überflüssig
Wozu braucht es Hochzeiten, fragt unsere Autorin. Sie fordert, sich dafür
stark zu machen, dass sich der Staat bei der Liebe fortan schön raushält.
Selbstwert und Liebe: Me, Myself and Mitgefühl
Nur wer sich selbst liebt, kann geliebt werden, heißt es. Unsere Autorin
hat lange mit der Selbstliebe gekämpft und setzt heute auf ein anderes
Ideal.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.