# taz.de -- Frauentag in Polen: Revolte gegen die Regierung | |
> Nach dem Abtreibungsverbot in Polen soll es am 8. März wieder | |
> Massenproteste geben. Die Frauenbewegung könnte für die PiS ein echtes | |
> Problem werden. | |
Bild: Demonstrationen in Warschau im November 2020 | |
WARSCHAU taz | Montag ist Frauenstreiktag in Polen. Auch und erst recht am | |
8. März. Im ganzen Land soll es Massenproteste gegen das fast totale | |
Abtreibungsverbot geben, das kürzlich in Kraft gesetzt wurde. In „schwarzen | |
Märschen“ wollen Frauen durch die Straßen ziehen, um Unterschriften für das | |
Recht auf Abtreibung zu sammeln. Diese Gesetzesinitiative muss dann im | |
polnischen Abgeordnetenhaus diskutiert werden. Viele Frauen hoffen, dass | |
der Druck der Straße die regierenden NationalpopulistInnen zum Einlenken | |
bringen wird. | |
[1][Im Oktober 2020] hat das polnische Verfassungsgericht auf Antrag der | |
Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) entschieden: Die Menschenwürde einer | |
befruchteten Eizelle sei höher zu bewerten als die einer schwangeren Frau. | |
Es war ein Schlag ins Gesicht der polnischen Frauen, eine Demütigung | |
sondergleichen. „Mein Körper, meine Wahl“, skandierten noch am selben Abend | |
Tausende in Warschau. Einige AktivistInnen schütteten rote Farbe vor das | |
Gericht, sodass die RichterInnen am nächsten Morgen durch das „Blutbad“ | |
zur Arbeit waten mussten. | |
In ihrem Urteil beriefen sich die RichterInnen auf Artikel 38 der | |
Verfassung: „Die Republik Polen gewährleistet jedem Menschen rechtlichen | |
Schutz des Lebens“, und auf Artikel 30: „Die Würde des Menschen ist ihm | |
angeboren und unveräußerlich […].“ Dabei maßten sie sich nicht nur an, e… | |
befruchtete Eizelle zum Menschen zu erklären. Vielmehr werteten sie die | |
Indikation als verfassungswidrig, die Schwangeren bisher das Recht gegeben | |
hatte, sich etwa bei nicht überlebensfähigen Föten für einen Abbruch zu | |
entscheiden. | |
Theoretisch ist nun zwar eine Abtreibung in Polen noch möglich, wenn die | |
Schwangerschaft Folge einer Vergewaltigung ist oder eine Gefahr für das | |
Leben der werdenden Mutter darstellt. Doch schon jetzt werden oft bleibende | |
Gesundheitsschäden von Frauen in Kauf genommen. Der bekannteste Fall ist | |
der von Alicja Tysiąc. Die schwer sehbehinderte Polin wollte sich nach der | |
Geburt ihres zweiten Kindes sterilisieren lassen, weil Schwangerschaft und | |
Geburt ein Risiko für eine Verschlechterung ihrer Sehkraft darstellten. | |
## Auf die Welt kommen, um „katholisch beerdigt“ zu werden | |
Doch der Gynäkologe, dem sie das Attest des Augenarztes vorlegte, verhöhnte | |
sie nur. Als sie trotz Verhütung wieder schwanger wurde, musste sie nach | |
der Geburt ihrer Tochter sofort an den Augen operiert werden. Heute ist sie | |
arbeitsunfähig und fast blind. | |
Tysiąc zog vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in | |
Straßburg, verklagte den polnischen Staat und bekam Recht. Sie erhielt eine | |
Entschädigung in Höhe von 25.000 Euro, weil der Staat ihr Recht auf Schutz | |
ihres Privat- und Familienlebens verletzt hatte. | |
Schon vor Jahren hatte sich Jarosław Kaczyński, der Vorsitzende der | |
nationalpopulistischen PiS, öffentlich dafür ausgesprochen, dass auch nicht | |
überlebensfähige Kinder auf die Welt kommen sollten, so dass sie „getauft | |
und dann katholisch beerdigt“ werden könnten. Kein Wunder, dass seit | |
Oktober nun immer wieder protestiert wird. Zur Debatte steht ein Recht, das | |
die VerfassungsrichterInnen Schwangeren weitgehend aberkannten: das | |
Menschenrecht auf Würde. | |
Knapp 80 Prozent der Polinnen und Polen halten das Urteil Umfragen zufolge | |
für falsch. Die Mehrheit will keine moralische Bevormundung, sondern eine | |
Interessenvertretung im demokratischen Sinne – und eine Liberalisierung des | |
Abtreibungsrechts. | |
Die geplante öffentliche Beschämung der angeblichen „Kindsmörderinnen“ | |
endet nun in einer Revolte gegen die Regierung, des von ihr kontrollierten | |
Verfassungsgerichts und der katholischen Kirche. Und die bei solchen | |
Entwürdigungsspektakeln äußerst wichtigen Zeugen spielen diesmal ebenfalls | |
eine andere Rolle: Die meisten polnischen Männer solidarisieren sich mit | |
ihren Partnerinnen und skandieren auf den Demos gemeinsam mit ihnen „Wir | |
haben die Nase voll!“. | |
Nach dem Urteil des Verfassungsgerichts muss nun Polens Parlament das | |
Abtreibungsgesetz neu formulieren. Sollte die PiS es wagen, dies ohne | |
Beratung mit dem „Strajk Kobiet“ zu tun, dem wichtigsten Sprachrohr der | |
neuen polnischen Frauenrechtsbewegung, könnte dies sogar das Ende der | |
PiS-Regierung bedeuten. | |
7 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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