# taz.de -- Abtreibungsverbot in Polen: Unter Hochspannung | |
> Wegen eines strengen Abtreibungsverbots gehen wieder viele Pol*innen | |
> auf die Straße. Einige sprechen von Niedertracht der PiS-Regierung. | |
Bild: Der rote Blitz, das Kampfzeichen gegen das Abtreibungsverbot: Protest in … | |
WARSCHAU taz | Warum tut uns die Regierung das an? Warum ausgerechnet | |
jetzt? Warum in Coronazeiten, die kaum noch auszuhalten sind?“, ruft Marta | |
Lempart, die resolute Chefin der Frauen-Streik-Bewegung „strajk kobiet“ den | |
Demonstrantinnen zu. Am Mittwochabend hatte Polens Regierung das Urteil des | |
Verfassungsgerichts vom Oktober 2020 im Gesetzesblatt publiziert. | |
Damit müssen Polinnen demnächst auch Schwangerschaften austragen, die mit | |
einer Totgeburt enden. Oder schwerkranke Kinder zur Welt bringen, die dann | |
noch Tage, Wochen oder Monate qualvolle Schmerzen erleiden müssen, bis sie | |
endlich sterben. Julia Przyłębska, die umstrittene Chefin des | |
Verfassungsgerichts und enge Vertraute von Jarosław Kaczyński, dem | |
Parteichef der national-populistischen Regierungspartei Recht und | |
Gerechtigkeit (PiS), entsprach mit diesem Urteil dem PiS-Wunsch nach einer | |
Verschärfung des Abtreibungsrechts in Polen. | |
„Sie tun dies, weil sie nichts anderes können. Sie können nur klauen und | |
lügen“, schallt Lemparts Stimme auch Straßen weiter aus Lautsprechern. Nur | |
rund eine Stunde, nachdem Przyłębska die Begründung des Urteils vom Oktober | |
2020 publik gemacht hatte, waren bereits Zehntausende Frauen in ganz Polen | |
auf der Straße. | |
„Unsere Politiker wissen nicht, was Gesundheitsfürsorge ist, was | |
Schulbildung ist oder wie man die Pandemie in den Griff bekommt!“, ruft die | |
gestandene Geschäftsfrau aus Breslau (Wroclaw) in die Nacht. „Die | |
Unternehmer gehen ihnen am Arsch vorbei. Die vielen Menschen, die in diesen | |
Tagen ihre Arbeit verlieren, genauso. Sie können nichts, rein gar nichts! | |
Gerade diese Nichtskönner aber sind zu allem fähig! Diese Banditen!“ | |
[1][Die Demonstrant:innen] vor dem Verfassungsgericht in Warschau | |
klatschen laut. Viele halten ihre Handys hoch, filmen den furiosen Auftritt | |
Lemparts und schicken ihn ins Internet. Die Social-Media-Portale kennen nur | |
noch ein Thema: die Entmündigung der schwangeren Frauen in Polen. | |
## Kost und Logis in Berlin | |
„Wir sollten einen Shuttledienst ins befreundete Ausland aufbauen“, | |
schreibt eine Userin auf Twitter. „Dort gibt es Ärzte, die uns bei | |
Risikoschwangerschaften helfen!“ Andere schicken Preislisten aus | |
Großbritannien, Tschechien, Frankreich und Deutschland. „Lasst die | |
Regierung ihr Ding machen, wir machen unseres“, schreibt eine andere. „Ich | |
gehöre zu den gut verdienende Pol:innen. Um ärmeren Frauen zu helfen, | |
spende ich zwei Abtreibungen im Jahr.“ Eine andere bietet Kost und Logis in | |
Berlin an: „Mir ist jede Frau in Not willkommen!“ | |
Am Donnerstag bringen die zumeist jungen Frauen rote Farbe mit zum | |
Verfassungsgericht in Warschau. Die „Spaziergänger:innen“, wie sie sich | |
nennen, um nicht als „Demonstrant:innen“ [2][in Coronazeiten] verhaftet zu | |
werden, schütten ganze Kübel roter Farbe auf den Gehsteig. Blutrot ist die | |
Farbe des Lebens. Blutrot ist auch das Blitz-Symbol der „strajk | |
kobiet“-Bewegung, das an das internationale Symbol „Achtung! Hochspannung!�… | |
erinnert. In den nächsten Tagen müssen die Richter auf ihrem Weg von und | |
zur Arbeit durch diese „Blutlache“ gehen. | |
Obwohl alle Warschauer:innen die vorgeschriebenen Mund-Nasen-Masken | |
tragen und sich auch Mühe geben, Abstand zu den anderen einzuhalten, greift | |
die Polizei kurz nach 21 Uhr ein. Sie will die „illegale Demonstration“ | |
auflösen und fordert alle Teilnehmer:innen auf, sich zu legitimieren. | |
Die Methode erinnert viele an die Zeit des Kommunismus. Da bildete die | |
Polizei auch gerne einen Kessel, drängte die Menschen immer enger zusammen, | |
griff dann einzelne heraus, um ihre Daten aufzunehmen oder in Kommissariate | |
am Warschauer Stadtrand zu verfrachten. Es ist schwer, mitten in der Nacht | |
von der Peripherie wieder ins Stadtzentrum zu kommen. Jetzt – unter der | |
PiS-Regierung – ist dieses Problem wieder aktuell. | |
„Wenn sich Leute mit Covid angesteckt haben, sind Polizei und Regierung | |
schuld. Ohne Polizeikessel wären alle gesund geblieben“, schreibt ein User, | |
der sich mit den Frauen solidarisch erklärt. Vor dem Verfassungsgericht und | |
dem Rauch eines Bengalofeuers steht eine junge Frau und sagt: „Die | |
Entscheidung der Verfassungsrichter ist pure Niedertracht!“ Das Minivideo | |
wird tausendfach geklickt und verbreitet. Es trifft den Nerv der Zeit. | |
29 Jan 2021 | |
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## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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