# taz.de -- Mediensteuer in Polen: Kontrolle nach ungarischem Vorbild | |
> Mit einer zusätzlichen Steuer auf Werbeeinnahmen will die polnische | |
> Regierung die Privatmedien unter Druck setzen. Die aber wehren sich. | |
Bild: Polens größte private Zeitungen druckten zu Mittwoch Protest-Titelseite… | |
WARSCHAU taz | Das Déjà-vu war beabsichtigt. Anstatt ihres | |
Frühstücksfernsehens mit Plaudereien und den ersten News des Tages sahen | |
die Polinnen und Polen vergangenen Mittwoch einen schwarzen Bildschirm. Im | |
Radio hörten sie in einer Endlosschleife den Satz: „Hier sollte eigentlich | |
Ihr Lieblingsprogramm laufen.“ Weiteres erfahre man auf der Homepage des | |
Senders. Hektisches Umschalten oder Drehen am Programmknopf brachte nichts: | |
fast überall das gleiche Bild. Ein Programm wie immer fand man nur beim von | |
der [1][nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit | |
(PiS)] kontrollierten Staatsfunk TVP, den dazugehörigen Radiostationen, dem | |
katholischen TV-Sender Trwam („Ich halte durch“) sowie bei Radio Maria. | |
Viele ältere Polen und Polinnen fühlten sich ans [2][Kriegsrecht erinnert, | |
das General Jaruzelski in der Nacht des 13. Dezembers 1981 über Polen | |
verhängt hatte]. „Ich will das nicht mehr!“, ruft entsetzt eine alte Frau | |
vor einem Kiosk im Warschauer Stadtteil Mokotów. Dort hängen in der Auslage | |
fast nur schwarze Titelseiten mit dem Slogan „Medien ohne Wahl“. Einzig die | |
nationalpopulistische Gazeta Polska Codzienne prunkt mit einem geradezu | |
peinlichen Titelblatt: „Der Mann des Jahres ist Jarosław Kaczyński“, der | |
PiS-Parteichef und mächtigste Mann Polens. „Mein Gott!“ Die Frau bekreuzigt | |
sich: „Das Regime ist zurück!“ | |
Ein junger Mann bleibt vor dem Kiosk stehen, starrt abwechselnd auf die | |
Dame und die Titelblätter: „So sieht also Zensur aus“, sagt er, wie zu sich | |
selbst: „Ich konnte mir das nie vorstellen.“ | |
Mit der Protestaktion reagieren 45 unabhängige Medienhäuser auf eine | |
zusätzliche Reklame-Steuer in Höhe von bis zu 15 Prozent, die die PiS als | |
„Solidaritätsbeitrag der Medien“ zum 1. Juli einführen will. Angeblich | |
sollen die Millionen dem Nationalen Gesundheitsfonds zugutekommen, dem | |
Denkmalschutzfonds und einem erst noch zu gründenden | |
Medien-Unterstützungsfonds im Bereich „Kultur und Nationalerbe“. | |
## Kritische Medien fürchten um ihre Existenz | |
Doch die unabhängigen Privatmedien sehen sich im Mark getroffen. Denn | |
anders als der von der PiS kontrollierte Staatsrundfunk und das katholische | |
Medien-Imperium von [3][Pater Tadeusz Rydzyk] erhalten sie keine jährlichen | |
Staatszuschüsse in Höhe von Millionen oder sogar Milliarden Złoty. Sie | |
brauchen die Reklameeinnahmen und fürchten nun um ihre Existenz. Per | |
offenen Protestbrief werfen sie „Regierung, Sejm und Senat sowie den | |
Vorsitzenden der politischen Parteien“ vor, sie mit der neuen Steuer | |
schwächen und zum Teil sogar vernichten zu wollen. Das Vorhaben schränke | |
die Informationsfreiheit der Zuschauer, Hörer, Leser und Internet-User ein | |
und gefährde die Arbeitsplätze von Hunderttausenden Menschen in der | |
Branche. | |
Laut Premier Mateusz Morawiecki von der PiS soll der „Solidaritätsbeitrag“ | |
vor allem Konzerne wie Facebook, Google, Twitter und Amazon treffen, die in | |
Polen zwar viel Gewinn erwirtschafteten, aber kaum Steuern zahlten. | |
Experten zufolge würden diese Konzerne jedoch höchstens 50 bis 100 | |
Millionen Złoty (zirka 11 bis 22 Millionen Euro) mehr Steuern in Polen | |
bezahlen, wenn überhaupt. Die Hauptlast in Höhe von jährlich rund 800 | |
Millionen Złoty (knapp 180 Millionen Euro) zusätzlicher Steuern entfiele | |
auf die ausschließlich in Polen aktiven Medienunternehmen. Dabei ist deren | |
Wirtschaftslage nach fast einem Jahr Coronalockdown schlecht: Die großen | |
Reklameaufträge brachen fast überall weg, die Auflagen sanken. Gehälter | |
wurden gekürzt, Mitarbeiter entlassen. | |
Dass jetzt also ausgerechnet die Medien einen „Solidaritätsbeitrag“ fürs | |
Gesundheitssystem, den Denkmalschutz und kleinere Medien leisten sollen, | |
die „Kultur und Nationalerbe“ hochhalten – statt der Wirtschaftszweige, d… | |
trotz Krise Gewinne machen –, legt eine politisch gewollte Schwächung der | |
Medien nahe. | |
Die liberale Gazeta Wyborcza nennt in ihrer Protestausgabe Zahlen, die eine | |
frappierende Ungleichheit offenlegen: 2019 machten die Reklameaufträge der | |
Staatssender TVP 1, TVP Seriale, TVP Sport, TVP Info und TVP 2 jeweils 6 | |
bis 8 Prozent aus, bei den Privatsendern dagegen gerade mal 0,3 Prozent | |
(TVN 24), 0,9 Prozent (TVN) und 2,8 Prozent (PolSat). Zudem nahm TVP | |
umgerechnet 73 Millionen Euro an Abogebühren ein und erhielt von der | |
PiS-Regierung auch noch eine „Entschädigung“ von rund 240 Millionen Euro. | |
## Umverteilung zur PiS-nahen Presse | |
Noch krasser fällt der Vergleich bei Printmedien aus: 2019 schlugen bei der | |
Gazeta Polska Codziennie – der Zeitung, die am Mittwoch mit dem | |
PiS-Vorsitzenden Kaczyński als „Mann des Jahres“ aufmachte – die Einnahm… | |
aus der Staatskonzerne-Reklamekasse mit knapp 53 Prozent zu Buche. Bei der | |
eher PiS-kritischen Gazeta Wyborcza hingegen machten sie verschwindende | |
0,27 Prozent aus. | |
[4][Die vom Staat – über seine Unternehmen – geförderten Medien] werden d… | |
neuen „Solidaritätsbeitrag“ zum Teil auch bezahlen müssen, doch ist damit | |
zu rechnen, dass dieser durch neue Staatsaufträge kompensiert werden wird. | |
Andere PiS-nahe Zeitungen, so die Befürchtung der 45 protestierenden | |
Medienhäuser, könnten in den Genuss der rund 62 Millionen Euro aus dem | |
neuen „Medien-Unterstützungsfonds im Bereich Kultur und Nationalerbe“ | |
kommen. So müssten die verbliebenen unabhängigen Medien Polens faktisch die | |
PiS-nahen Medien finanziell unterstützen. | |
2024 gibt es in Polen die nächsten Parlamentswahlen. Bis dahin will die mit | |
absoluter Mehrheit regierende PiS offenbar – nach den letzten noch | |
unabhängigen Gerichten – auch den größten Teil der Privatmedien unter ihre | |
Kontrolle bringen. [5][2016, wenige Monate nach Regierungsantritt, hatte | |
die PiS den öffentlich-rechtlichen Rundfunk abgeschafft] und an seiner | |
Stelle die „Nationalen Medien“ gegründet. Inzwischen sind die zahlreichen | |
Programme des Staatsfunks fast durchgängig auf PiS-Parteilinie. Bei den | |
letztem Präsidentschaftswahlen gab es statt einer ausgeglichenen | |
Wahlberichterstattung fast nur PiS-Wahlkampfsendungen für den Kandidaten | |
Andrzej Duda, der am Ende auch die Wahl gewann. | |
Kaczyński ist überzeugt, dass er „die Medien“ braucht, um auch die nächs… | |
Wahlen gewinnen zu können. Die ursprüngliche Idee einer „Repolonisierung | |
der Medien“ verstieß so eklatant gegen EU-Recht, dass das Gesetzesprojekt | |
am Ende im Papierkorb landete. Auch das Projekt der | |
„Medien-Restrukturierung“ stieß auf rechtlich kaum zu überwindende Hürde… | |
Der entscheidende Tipp zur Liquidierung der freien Presse kam dann aus | |
[6][Ungarn]. Mit Steuern als finanzielle Daumenschraube sollen die freien | |
Medien an den Rand des Ruins getrieben werden, fürchten die protestierenden | |
Medienhäuser. | |
14 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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