# taz.de -- Justiz in Polen: Ab in die Verbannung | |
> Wenn Staatsanwält*innen gegen Mitglieder der nationalpopulistischen | |
> PiS ermitteln, riskieren sie, an ein Provinz-Gericht versetzt zu werden. | |
Bild: Staatsanwält*innen in Polen riskieren Versetzung in Provinz-Gerichte bei… | |
Warschau taz | Polens Staatsanwält*innen müssen mit Verbannung rechnen, | |
wenn sie sich mit [1][der nationalpopulistischen Regierungspartei Recht und | |
Gerechtigkeit (PiS)] anlegen. Neue Einsatzorte für die Staatsdiener aus den | |
Metropolen Warschau, Breslau und Posen sind dann beispielweise Kleinstädte | |
wie Srem, Goleniow, Jaroslaw und Lidzbark Warminski. | |
Polens Landes-Staatsanwalt und Ex-Geheimdienstchef Bogdan Swieczkowski | |
hatte ein Exempel statuieren wollen und über ein Dutzend | |
hochspezialisierter Staatsanwälte an kleinere Gerichte „delegiert“, die | |
hunderte Kilometer von deren bisherigen Arbeits- und Wohnorten entfernt | |
liegen. | |
Statt mit Geldwäsche, Steuerkarussellen und Wirtschaftskriminalität sollen | |
sie sich nun ein halbes Jahr lang mit kleinen Betrugsfällen und Diebstählen | |
befassen. Unter den Verbannten sind auch sechs, die dem | |
regierungskritischen Verband der unabhängigen Staatsanwälte „Lex Super | |
Omnia“ angehören (LSO – Das Gesetz steht über allem). | |
Offiziell soll bei der „Entsendung“ weder die LSO-Mitgliedschaft eine Rolle | |
gespielt haben, noch die Tatsache, dass einige dieser Staatsanwälte gegen | |
Mitglieder der PiS ermittelten. Offiziell heißt es vielmehr, dass die | |
LSO-Kollegen den Staatsanwälten in der Provinz unter die Arme greifen | |
sollen. | |
## Absolute Personalnot | |
Innerhalb weniger Tage mussten diese „Verbannten“, wie sie sich selbst | |
sehen, nun jeweils 100 bis 150 laufende Ermittlungen in Warschau, Breslau | |
und Posen an andere Staatsanwälte abgeben, darunter auch diejenigen Fälle, | |
in die Mitglieder der PiS-Regierungskoalition verwickelt sind. | |
„Für unsere Verbannung gibt es keine inhaltlichen oder logisch | |
nachvollziehbaren Gründe“, sagt Staatsanwältin Ewa Wrzosek, die im | |
LSO-Verband Kassenprüferin ist. „Die Coronapandemie dauert nun schon einige | |
Monate und in meiner Bezirksstaatsanwaltschaft Warschau-Mokotow sind wir | |
absolut unterbesetzt. Jetzt hat der Landes-Staatsanwalt auch noch zwei von | |
uns entsandt – mich nach Srem und meinen Kollegen Jaroslaw Onyszczyk nach | |
Lidzbark-Warminski.“ | |
Von 34 Staatsanwalts-Planstellen in Warschau-Mokotow seien zur Zeit nur | |
noch 17 besetzt. „Jetzt müssen unsere Kollegen auch noch unsere | |
Ermittlungen übernehmen. Die eigenen Fälle bearbeiten und sich dann noch in | |
rund 250 bis 300 Fälle völlig neu einarbeiten – das kostet Zeit.“ Die | |
ohnehin schon sehr lang dauernden Prozesse würden sich weiter verlängern. | |
„In meinem konkreten Fall“, so Wrzosek, „spielt wohl auch Rache eine Roll… | |
Rache dafür, dass ich zu der in der Pandemie angesetzten | |
Präsidentschaftwahl 2020 Ermittlungen aufgenommen hatte.“ [2][Die Wahl] war | |
ohne das notwendige Gesetz vorbereitet worden und fielen dann einfach aus. | |
Für die hohen finanziellen Verluste wollte niemand in der PiS-Regierung die | |
Verantwortung übernehmen. Weder politisch, noch strafrechtlich. | |
## Welle von Schikanen | |
Wrzosek ist sich sicher: „Die Repressalien gegen Staatsanwälte der Lex | |
Super Omnia sind Teil einer Welle von Schikanen gegen Juristen, | |
insbesondere gegen Richter. Und sie passen zur Rhetorik der Politiker, die | |
ständig davon sprechen, dass man ‚die Reform des Rechtssystems‘ in Polen | |
abschließen müsse.“ In der Provinz sei es für die kritischen Staatsanwälte | |
schwieriger, sich mit verfolgten Richtern solidarisch zu zeigen oder aber | |
bei den Medien Gehör zu verschaffen. | |
Die Lex Super Omnia-Staatsanwälte kritisieren immer wieder öffentlich das | |
Bestreben der PiS, die Dreiteilung der Macht aufzuheben und sich die | |
gesamte Gerichtsbarkeit unterzuordnen. Sollte die „Strafaktion“, wie | |
LSO-Staatsanwälte die Entsendung an hunderte Kilometer entfernt liegende | |
Provinz-Gerichte nennen, die PiS-Kritiker mundtot machen, so ist dies nicht | |
gelungen. So ist Staatsanwältin Ewa Wrzosek aus Warschau nun zum Medienstar | |
geworden und eine begehrte Interviewpartnerin und immer wieder Gast in | |
Radio- und Fernsehshows. | |
In Srem bei Posen wurde sie von einem Bürgerkomitee begeistert willkommen | |
geheißen: „Sind Sie die Verbannte aus Warschau? Lassen Sie uns wissen, wenn | |
Ihnen etwas fehlen sollte. Wir helfen Ihnen, sich bei uns wohl zu fühlen!“ | |
Dann erhielt sie zum Geschenk noch ein Handbuch, in dem spezifische | |
Ausdrücke und Traditionen erklärt werden, die nur im Posener Raum | |
vorkommen. Und auch die Medien waren wieder zur Stelle. „Wir lassen uns | |
nicht einschüchtern“, so Wrzosek. | |
8 Feb 2021 | |
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## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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