# taz.de -- Angriffe auf unabhängige Justiz in Polen: Demo gegen „Maulkorbge… | |
> Tausende Juristen demonstrieren in Warschau für eine unabhängige Justiz. | |
> Bürger und Delegationen aus ganz Europa schließen sich ihnen an. | |
Bild: An der Seite der polnischen KolegInnen: JuristInnen aus ganz Europa waren… | |
Warschau taz | Schweigend zieht der „Marsch der 1000 Roben“ am | |
Samstagnachmittag durch Warschaus Innenstadt – vier Kilometer lang vom | |
Obersten Gericht, vorbei am Präsidentenpalast bis zum Sejm, dem polnischen | |
Abgeordnetenhaus. Auf großen Transparenten steht „Unabhängigkeit der | |
Gerichte“, „Respekt“ und „Konstytucja – Verfassung“. | |
Vorneweg laufen polnische Richter in ihren schwarzen Roben, denen sich | |
Richterdelegationen aus ganz Europa angeschlossen haben. Als nächstes | |
folgen Richter, die ihre Amts-Roben, die sie normalerweise nur im | |
Gerichtssaal anlegen, über die Schulter gelegt tragen, dahinter Richter, | |
denen die Roben kurz vor der Demonstration weggenommen wurden. Danach | |
folgen Staatsanwälte, Straf-Verteidiger, Notare, Rechtsanwälte und | |
Assessoren, die den Richter-Protest gegen das „[1][Disziplinierungs- oder | |
Maulkorb-Gesetz“] unterstützten. | |
Sollte dieses Gesetz verabschiedet werden, könnten polnische Richter | |
demnächst nicht mehr darüber entscheiden, ob andere Richter befangen sind | |
oder unrechtmäßig ernannt wurden. Das Projekt sieht vor, dass Richter bald | |
damit rechnen müssen, Geldstrafen zu erhalten, herabgestuft zu werden oder | |
gar entlassen zu werden, wenn sie die Legalität oder die | |
Entscheidungskompetenz eines anderen Richters, eines Gerichts oder einer | |
Kammer in Frage stellen. Außerdem dürfen sie sich nicht politisch betätigen | |
und müssen angeben, in welchen Organisationen und Bürgerinitiativen sie | |
aktiv sind. | |
Bei ihrer Demonstration dagegen sind die Juristen aber nicht allein. Sie | |
werden unterstützt von tausenden Bürgern, die teils noch aus eigener | |
Erfahrung wissen, welche Konsequenzen eine „politische Justiz“ für alle | |
Bürger nach sich zieht. „Noch im kommunistischen Polen waren wir | |
Willkürmaßnahmen von Partei und Staat weitgehend hilflos ausgeliefert“, | |
erklärt Adam Kubicki, 72, der seinen Enkel zur Demo mitgenommen hat. | |
## „Das ist das Ende“ | |
„Das ist gerade mal 30 Jahre her. Wir saßen im Gefängnis – wegen Nichts. | |
Vorwürfe ließen sich ja leicht fabrizieren.“ Die derzeit in Polen | |
[2][regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS)] will aber wieder alle | |
Macht im Staate haben, [3][auch die über Staatsanwälte, Richter und | |
Gerichte] – wie damals die kommunistische Vereinigte Polnische | |
Arbeiterpartei. | |
Der Widerstand gegen die Pläne von PiS ist an diesem Samstag erstaunlich | |
groß. Immerhin 30.000 Menschen haben sich dem „Marsch der 1000 Roben“ | |
angeschlossen, viel mehr als die Veranstalter erwartet hatten. „Das ist ein | |
gutes Zeichen“, so Kubicki. | |
Unter den Protestlern ist auch Dr. Edith Zeller, die Präsidentin der | |
Europäischen Verwaltungsrichter-Vereinigung. „Ich bin eigens aus Wien nach | |
Warschau gekommen“, erklärt sie, „um solidarisch mit den Polen und Polinnen | |
gegen den Abbau des Rechtssystems zu protestieren.“ Zwar seien die | |
Verwaltungsrichter noch nicht so betroffen wie die Richter in Straf- und | |
Zivilgerichtsprozessen, doch „ohne die Freiheit und Unabhängigkeit der | |
Richter gibt es keine Demokratie mehr“, so Zeller. „Das ist das Ende.“ | |
Vor wenigen Wochen erst hatte das Oberste Gericht Polens ein Urteil des | |
Europäischen Gerichtshofes in Luxemburg umgesetzt und in zwei Urteilen | |
entschieden, dass das Richterwahlgremium – in seiner neuen Zusammensetzung | |
„Neo-Landesjustizrat“ – kein von der aktuellen Politik unabhängiges Organ | |
sei. Die inzwischen über 500 Richter-Berufungen durch das Gremium seien | |
deshalb fragwürdig bis illegal. | |
## Ist es schon zu spät? | |
Grundsätzlich können demnächst alle Urteile dieser vom Neo-Landesjustizrat | |
ernannten Richter angefochten werden. In einem zweiten Urteil entschied das | |
Oberste Gericht, dass die schon bestehende sogenannte Disziplinarkammer | |
keine rechtlich wirksamen Strafen gegen Richter verhängen kann. Statt diese | |
Urteile anzuerkennen und die fehlerhaften Gesetze nachzubessern, brachte | |
die PiS aber als Antwort das neue Disziplinierungsgesetz auf den Weg. | |
„Wir haben in der Europäischen Union gemeinsame Rechtsstandards“, erklärt | |
Zeller. „Wenn jetzt die polnischen Richter politisch unter Druck gesetzt | |
werden und damit der Rechts-Standard Polens abgesenkt wird, werden die | |
Urteile polnischer Gerichte in den anderen EU-Ländern nicht mehr anerkannt | |
werden.“ | |
Wenn Richter nicht mehr unabhängig – nach Recht und Gesetz – urteilen | |
würden, sei das Vertrauen der Kollegen weg. Es würde dann zum Beispiel | |
schwierig werden, Verdächtige an Polen auszuliefern, da diese dort | |
womöglich kein faires Verfahren zu erwarten hätten. Mittel- und langfristig | |
würde sich die fehlende Rechtssicherheit in Polen auch auf die Wirtschaft | |
auswirken. „Die meisten Bürger werden wohl erst dann merken, was das Gesetz | |
für sie bedeutet, wenn es zu spät ist“, so Zeller. | |
12 Jan 2020 | |
## LINKS | |
[1] /Disziplinierung-der-Justiz-in-Polen/!5652033 | |
[2] /EuGH-Urteil-zu-Polens-Justizreform/!5635613 | |
[3] /Kommentar-Justizreform-in-Polen/!5518965 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
## TAGS | |
Polen | |
Polnische Justizreform | |
Richter | |
Demonstrationen | |
PiS | |
Rechtsstaatlichkeit | |
Justiz | |
Polen | |
Polen | |
Polen | |
Colonia Dignidad | |
Homosexualität | |
Polen | |
Opposition | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Justiz in Polen: Ab in die Verbannung | |
Wenn Staatsanwält*innen gegen Mitglieder der nationalpopulistischen PiS | |
ermitteln, riskieren sie, an ein Provinz-Gericht versetzt zu werden. | |
Justiz in Polen: Nächster Richter geschasst | |
Ein bekannter regierungskritischer Richter verliert in Polen seine | |
Immunität. Jetzt droht ihm ein Berufsverbot oder eine Haftstrafe. | |
Justizreform in Polen: Herber Rückschlag | |
EU-Gericht stoppt mit einer einstweiligen Anordnung die Arbeit der | |
Disziplinarkammer für Richter. Polens Premier will das jetzt prüfen lassen. | |
Präsidentenwahl in Polen: Ab an die Urne | |
Trotz Corona will die PiS-Regierung die Abstimmung am 10. Mai durchziehen. | |
Immer mehr Kommunalpolitiker widersetzen sich diesem Ansinnen. | |
Anwältin über die Colonia Dignidad: „Zeugen wurden nicht gehört“ | |
In der Colonia Dignidad beging eine deutsche Sekte in Chile grauenhafte | |
Verbrechen. Petra Schlagenhauf versucht neue Ermittlungen zu erreichen. | |
Polens neuer Präsidentschaftskandidat: Robert Biedroń, beliebt und schwul | |
Im stockkonservativen Polen war er als Bürgermeister beliebt und | |
erfolgreich. Nun will sich Biedroń ins höchste Amt wählen lassen | |
Proteste in Polen: „Wir werden siegen!“ | |
Zehntausende gehen in über 200 Städten gegen die geplante Disziplinierung | |
von Richtern auf die Straße. Doch die PiS will die Reform durchziehen. | |
Polens größte Oppositionspartei PO: Mit Kidawa-Blonska in die Wahl | |
Malgorzata Kidawa-Blonska soll bei der Wahl im Mai Staatsoberhaupt Andrzej | |
Duda herausfordern. Sie ist Filmemacherin und war Sprecherin von Donald | |
Tusk. |