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# taz.de -- Syrische Geflüchtete in Dänemark: Aus Jütland ins Abschiebelager
> Als erstes EU-Land droht Dänemark Geflüchteten mit Abschiebung nach
> Syrien. Dabei ist eine Rückkehr per Zwang derzeit ausgeschlossen.
Bild: Früher Gefängnis, heute Lager: das Abschiebezentrum in Kaershovedgaard …
Berlin taz | Als Mazen seine Frau Ward und die gemeinsame Tochter endlich
wiedersah, empfand der heute 30-Jährige nach langer Zeit wieder so etwas
wie Zuversicht. Mehr als ein Jahr war es her gewesen, dass seine Frau und
Tochter von Syrien über Nordafrika nach Italien flohen. 16 Stunden trieb
das Boot auf dem Mittelmeer. In Europa angekommen, brach die junge Mutter
zu Fuß zu ihrem eigentlichen Ziel auf: nach Schweden. Doch im Nachbarland
Dänemark war Schluss. Ward musste ihre Fingerabdrücke abgeben und
beantragte Asyl.
2016 folgte Mazen seiner Frau über den Libanon, die Türkei und
Griechenland. Seine Fingerabdrücke wurden in Dänemark nicht genommen und
Mazen stand vor der Wahl: weiterreisen nach Schweden, in der Hoffnung,
seine Familie nachholen zu können, oder ebenfalls in Dänemark Asyl
beantragen. „Mir gefiel es hier am Anfang“, erzählt Mazen am Telefon aus
Dänemark. Es habe sich angefühlt, als könne er sich etwas aufbauen, nach
Krieg und Flucht „wieder jemand sein“. So blieben Mazen und Ward, lernten
Dänisch, bekamen ein weiteres Kind, einen Sohn, fanden Arbeit und Studium
in Jütland.
Nun aber haben Ward und die sechsjährige Tochter Post von der dänischen
Migrationsbehörde bekommen: Ihr Flüchtlingsstatus werde nicht verlängert,
im Oktober laufe die Aufenthaltserlaubnis ab. Bereits seit 2019
argumentieren die Behörden, dass Teile Syriens, insbesondere der Großraum
Damaskus, wieder „sicher“ seien. 2020 wurden auf dieser Grundlage die
Aufenthaltstitel von 94 der 32.000 syrischen Geflüchteten in Dänemark
aufgehoben oder nicht verlängert. Dieses Jahr waren bis Ende März bereits
97 Personen betroffen. Als erstes EU-Land droht Dänemark nun syrischen
Geflüchteten aus dem Großraum Damaskus mit Abschiebung.
„Ich weiß nicht, ob ich bleiben, gehen oder an einen anderen Ort fliehen
soll“, sagt Mazen, „wir sind verloren.“ Für seine Familie hat er in der
Nähe von Aarhus gerade erst ein Haus gekauft, plante, sein Geschäft für
Elektroartikel zu erweitern. Ward wollte ihr Wirtschaftsstudium
abschließen.
Von einer möglichen Abschiebung scheinen vor allem Frauen, Kinder und
ältere Menschen betroffen zu sein. Männer wie Mazen, die den Militärdienst
in Syrien verweigert haben, und Jungen, die ihn wie Mazens Sohn irgendwann
antreten könnten, behalten momentan noch ihren Status. Die Familie läuft
somit Gefahr, erneut auseinandergerissen zu werden.
## Regierungsziel: keine Asylanträge
Die Entscheidung der sozialdemokratischen Regierung von Mette Frederiksen
markiert einen neuen Abschnitt in der zunehmend restriktiven dänischen
Migrations- und Asylpolitik. Erst im Januar hatte Frederiksen „null“ neue
Asylanträge zum Regierungsziel erklärt. Dabei wurden 2020 rund 1.550 neue
Anträge gestellt, die niedrigste Anzahl seit 1998.
Zuletzt machte das Königreich im März mit einer [1][Neuauflage seiner
„Ghettopolitik“ Schlagzeilen], durch die „nichtwestliche“
Einwohner:innen aus bestimmten Stadtvierteln verdrängt werden. Während
solche Maßnahmen einerseits international auf Kritik stoßen, geht von ihnen
gleichzeitig ein Signal aus – an die Betroffenen, aber auch an andere
EU-Staaten.
Die Unsicherheit unter Geflüchteten war auch in Deutschland groß, [2][als
die Innenministerkonferenz Ende 2020 den Abschiebestopp für Syrien aufhob].
Zumindest sogenannte Gefährder und schwere Straftäter wollte Innenminister
Horst Seehofer (CSU) abschieben, ein [3][Vorgehen wie im Fall von
Afghanistan]. Dorthin schiebt Deutschland laut Pro Asyl mittlerweile auch
immer mehr nicht straffällig gewordene Menschen ab. „Es wird eine Büchse
aufgemacht und Einzelne werden abgeschoben“, sagt Günter Burkhardt,
Geschäftsführer von Pro Asyl. „Aber man versetzt eine ganze Community in
Angst und Schrecken.“
Aber anders als zu Afghanistan unterhält Deutschland zu Syrien keine
diplomatischen Beziehungen. Ohne sie sind direkte Abschiebungen praktisch
unmöglich. Außerdem gibt Pro Asyl Entwarnung: Die meisten Syrer:innen in
Deutschland seien durch ihren Flüchtlingsstatus oder den erteilten
subsidiären Schutz auch trotz Aufhebung des Abschiebestopps vor einer
Abschiebung geschützt und qualifizieren sich nach einigen Jahren in
Deutschland bereits für eine unbefristete Niederlassungserlaubnis.
Aus moralischer Sicht wäre eine Abschiebung nach Syrien, wo
Rückkehrer:innen immer wieder verschwinden und ihnen teils Gewalt
angetan wird, für Deutschland besonders perfide, [4][läuft doch in Koblenz
gerade der weltweit erste Kriegsverbrecherprozess gegen Baschar al-Assads
Folterknechte].
Allerdings besteht für Syrer:innen in Deutschland die Möglichkeit einer
sogenannten freiwilligen Rückkehr: Die regulären, mithilfe der
Internationale Organisation für Migration (IOM) durchgeführten Programme,
bei denen Menschen finanzielle Anreize gesetzt werden, in ihr Heimatland
zurückzukehren, sind für Syrien zwar momentan ausgesetzt. Aber
Interessierte können mithilfe des Bundesamtes für Migration (Bamf) und als
Teil einer „selbstbestimmten Entscheidung“ Gelder für „Reisebeihilfe“ …
„Starthilfe“ beantragen, die sich am IOM-Programm orientieren.
## Druck auf Geflüchtete
Auch Dänemarks Botschaft in Damaskus ist laut Website „aufgrund der
aktuellen Sicherheitslage“ geschlossen. Dass die nun angedrohten
Abschiebungen tatsächlich in die Tat umgesetzt werden, ist deshalb derzeit
unwahrscheinlich. Doch der Druck steigt enorm: Wem wie Ward und ihrer
Tochter mit Abschiebung gedroht wird, hat die Möglichkeit, am dänischen
Programm für „freiwillige Rückkehr“ teilzunehmen. Wer das Geld nicht
annimmt oder nicht anderweitig ausreist, dem droht dann zunächst die
Unterbringung in einem der dänischen Abschiebezentren, die wegen ihrer
haftähnlichen Bedingungen berüchtigt sind – und das „womöglich auf
unbestimmte Zeit“, wie der Dänische Flüchtlingsrat eindringlich warnt.
Es ist dieser rechtliche Limbo, den Mazen für sich und seine Familie nicht
einfach so hinnehmen will. „Nur über meine Leiche“, sagt er. „Ich will,
dass uns die dänische Regierung in Ruhe leben lässt, so wie jeden anderen
auch.“
20 Apr 2021
## LINKS
[1] /Gesetzentwurf-in-Daenemark/!5755039
[2] /Innenministerkonferenz-uneins/!5734337
[3] /Abschiebung-nach-Afghanistan/!5764373
[4] /Urteil-gegen-Eyad-A/!5752226
## AUTOREN
Anna-Theresa Bachmann
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