# taz.de -- Abschiebungen nach Syrien: Es war nur Populismus | |
> Nach dem Auslaufen des Abschiebestopps nach Syrien wollte Seehofer schon | |
> ab dem Jahreswechsel Ausweisungen anschieben. Bisher passiert ist: | |
> nichts. | |
Bild: Reine Rhetorik: Seehofer will nach Syrien abschieben – praktisch umsetz… | |
BERLIN taz | Die Ankündigung war markig. Die Abschiebung von Gefährdern und | |
Straftätern nach Syrien sollte sofort angeschoben werden, erklärte | |
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) zum Jahreswechsel. Jeden einzelnen | |
Fall solle das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) ab dem 1. | |
Januar genau prüfen und versuchen, eine Ausweisung zu ermöglichen. | |
Vorausgegangen war ein Beschluss der Innenministerkonferenz [1][Anfang | |
Dezember], den seit 2012 bestehenden Abschiebestopp nach Syrien aufzuheben. | |
Dieser war wegen des dortigen Bürgerkriegs verhängt worden. Nun, drei | |
Monate nach dem Beschluss, zeigt sich: Die Abschiebeankündigung nach Syrien | |
ist bisher reine Rhetorik. | |
Fragt man Seehofers Ministerium, in wie vielen Fällen inzwischen konkret | |
Abschiebungen nach Syrien geplant werden, gibt man sich dort wortkarg. | |
„Aufgrund der Kompetenzverteilung obliegt die Planung von Rückführungen von | |
vollziehbar Ausreisepflichtigen den zuständigen Behörden der jeweiligen | |
Bundesländer“, erklärt eine Sprecherin nur. | |
## „Nicht durchführbar und tatsächlich unmöglich“ | |
Dort allerdings verweist man zurück auf den Bund. Deutlich wird ein | |
Sprecher von Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD): | |
„Abschiebungen syrischer Staatsangehöriger sind derzeit nicht durchführbar | |
und tatsächlich unmöglich.“ Dafür bräuchte es zuerst eine Kontaktaufnahme | |
mit dem syrischen Staat, zu der bisher aber kein europäisches Land bereit | |
sei. Auch drohte Abzuschiebenden in Syrien weiter Folter. Die Verantwortung | |
für Ausweisungen nach Syrien lägen daher beim Bund, betont der Sprecher. | |
„Bislang wurde keine derartige Möglichkeit aufgezeigt.“ | |
Auch aus dem CSU-geführten Innenministerium in Bayern, das die Aufhebung | |
des Abschiebestopps mit gefordert hatte, heißt es: „Der Ball liegt zunächst | |
bei der Bundesregierung und insbesondere dem Auswärtigen Amt, das die Lage | |
in Syrien beurteilen und Wege finden muss, in Einzelfällen Rückführungen zu | |
ermöglichen.“ | |
Das Innenministerium von Thomas Strobl (CDU) in Baden-Württemberg benennt | |
immerhin die Zahl von rund zehn Straftätern oder Gefährdern, die | |
abgeschoben werden könnten – wenn das Bamf sein Abschiebeverbot für diese | |
Personen aufheben würde. Auch Sachsen verweist auf das Flüchtlingsamt, auf | |
dessen Prüfergebnis man warte. Beide Länder hatten ebenfalls ein Ende des | |
Abschiebestopps gefordert. | |
## Das Bamf prüft – bisher ohne Ergebnis | |
Beim Bamf indes gibt man sich ebenfalls zugeknöpft. Ja, es laufe eine | |
Prüfung, „inwieweit Abschiebungen von Gefährdern und schweren Straftätern | |
in bestimmte Regionen Syriens möglich sind“, erklärt ein Sprecher nur. | |
„Leider ist derzeit nicht absehbar, wann die Prüfung abgeschlossen sein | |
wird.“ | |
Gar nicht äußern will man sich beim Auswärtigen Amt. Dieses nannte die | |
humanitäre Lage in Syrien zuletzt jedoch „katastrophal“. In [2][einem | |
internen Lagebericht] ist die Rede von „in allen Landesteilen weiterhin | |
massiven Menschenrechtsverletzungen“. Und: „Eine sichere Rückkehr kann | |
derzeit für keine bestimmte Region Syriens und für keine Personengruppe | |
grundsätzlich gewährleistet und überprüft werden.“ | |
Bereits vor der Aufhebung des Abschiebestopps hatten die SPD, Opposition | |
und Initiativen wie [3][Pro Asyl] gewarnt, dass Abschiebungen nach Syrien | |
Menschenrechte verletzen würden und rechtlich nicht durchsetzbar seien. Die | |
Unions-Minister um Seehofer hatten dagegen nach einer [4][tödlichen | |
Messerattacke eines syrischen Islamisten] in Dresden erklärt, Ausweisungen | |
dorthin dürften nicht mehr per se untersagt werden. Deutschland dürfe kein | |
Schutzort für terroristische Gefährder sein. | |
## „Ein grober Fehler“ | |
Aber selbst im schwarz-gelben NRW hält man Abschiebungen nach Syrien | |
derzeit für aussichtslos. Integrationsminister Joachim Stamp (FDP) holte | |
dazu gar ein eigenes Gutachten bei dem Völkerrechtler Daniel Thym ein. Der | |
hält Abschiebungen nach Syrien höchstens in Einzelfällen für zulässig. | |
Gerade islamistischen Gefährdern drohten aber „besonders häufig Folter oder | |
unmenschliche Behandlungen“. | |
„Ich würde lieber heute als morgen alle Gefährder in ihre Herkunftsländer | |
zurückführen, sofern das rechtlich möglich ist“, erklärt Stamp. Im Fall | |
Syrien werde aber kein Gericht eine Rückführung zustimmen, solange dort | |
noch Assad regiert. Es sei daher „ein grober Fehler, derartige | |
Rückführungen derzeit in Aussicht zu stellen und der Bevölkerung etwas | |
vorzugaukeln, was rechtlich und praktisch zum jetzigen Zeitpunkt unmöglich | |
ist“. | |
2 Mar 2021 | |
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## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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