| # taz.de -- Prozess gegen Inger Støjberg: Hardlinerin vor Gericht | |
| > In Dänemark beginnt ein historischer Prozess gegen die | |
| > Ex-Integrationsministerin. Mit dem „Kinderbräute“-Erlass soll sie Gesetze | |
| > gebrochen haben. | |
| Bild: Hat sich als Ministerin den Ruf als rechte Hardlinerin erworben: Støjber… | |
| Stockholm taz | Am Donnerstag beginnt vor dem sogenannten Reichsgericht in | |
| Kopenhagen der Prozess gegen die ehemalige Einwanderungs- und | |
| Integrationsministerin Inger Støjberg. In der Anklageschrift dieses | |
| Amtsvergehensverfahrens wird ihr vorsätzlich rechtswidriges Handeln im | |
| Ministeramt vorgeworfen. Sie habe nicht nur gegen dänische Gesetze, sondern | |
| auch gegen internationales Recht, gegen die Europäische | |
| Menschenrechtskonvention sowie die UN-Kinderrechtskonvention verstoßen. | |
| Es ist ein historisches Verfahren, für das eine [1][klare Mehrheit des | |
| dänischen Parlaments] im Februar den Weg freigemacht hatte. In Dänemark, | |
| das kein Verfassungsgericht kennt, war diese schwerwiegendste | |
| Sanktionsmöglichkeit des Parlaments gegen ein Mitglied der Regierung | |
| bereits 1849 eingeführt und dann in die jetzt geltende Verfassung | |
| übernommen worden. Seit 1910 hatte es aber nur ein einziges Verfahren | |
| gegeben. | |
| 1994 war der ehemalige Justizminister Erik Ninn-Hansen vom Reichsgericht zu | |
| einer Haftstrafe von vier Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Er hatte | |
| es zu verantworten, dass unter Verletzung geltenden Rechts anerkannten | |
| Flüchtlingen aus Sri Lanka systematisch die Einreise und der Aufenthalt von | |
| Angehörigen im Rahmen des Familiennachzugs verweigert worden war. | |
| Um Geflüchtete geht es auch im Verfahren gegen die 48-jährige Støjberg, die | |
| zwischen 2009 und 2016 unterschiedliche Kabinettsposten in mehreren | |
| Regierungen innehatte. In einem „Kinderbräute“-Erlass hatte sie am 10. | |
| Februar 2016 die Trennung aller nach Dänemark geflüchteten Paare mit einem | |
| Partner unter 18 Jahren angeordnet. Offiziell hatte sie das damit | |
| begründet, dass sie minderjährige Mädchen vor erzwungener Partnerschaft | |
| schützen wolle. | |
| ## Junge Frauen reagierten „panisch“ | |
| Zwar wäre eine solche Entscheidung in Einzelfällen durchaus zulässig | |
| gewesen, konstatierte ein 3.400 Seiten umfassender, im Dezember 2020 | |
| veröffentlichter Untersuchungsbericht. Die Anordnung aber, alle Paare zu | |
| trennen, sei nicht nur ein untaugliches Mittel, sondern „eindeutig illegal“ | |
| gewesen. Erschwerend kommt hinzu, dass Støjberg durch ihr eigenes | |
| Ministerium auf die Gesetzwidrigkeit ihrer Anordnung hingewiesen wurde. | |
| 23 Frauen waren seinerzeit von ihren Partnern zwangsweise getrennt worden, | |
| darunter fünf Schwangere, vier Mütter und einige Erkrankte. Laut dem | |
| Untersuchungsbericht kam es bei solchen Zwangstrennungen teilweise zu | |
| dramatischen Szenen und Polizeieinsätzen: Mehrere der jungen Frauen hätten | |
| „panisch reagiert“, „geweint und sich gewehrt“, seien „völlig | |
| zusammengebrochen“, einige hätten versucht, sich das Leben zu nehmen und | |
| mussten ins Krankenhaus eingeliefert werden. Støjbergs Ministerium war in | |
| allen Fällen über die Auswirkungen des Erlasses informiert worden. Trotz | |
| wachsender Kritik, auch innerhalb der Behörden, wurde er nicht gestoppt. | |
| Støjberg hatte sich in den Jahren 2015 bis 2019 als Einwanderungsministerin | |
| einen Ruf als Hardlinerin erworben. Zu ihren populistischen Initiativen | |
| gehörten auch ein „[2][Schmuckgesetz]“, aufgrund dessen syrische | |
| Flüchtlinge gefilzt wurden, um mit eventuellen Habseligkeiten ihren | |
| Aufenthalt in Dänemark zu bezahlen, oder der Plan, abgewiesene Asylsuchende | |
| in einem [3][Internierungslager auf einer virenverseuchten Insel] | |
| unterzubringen. | |
| ## Auf dem Weg zur „Støjberg-Partei“ | |
| Støjberg hält sich in Bezug auf die Anklage für unschuldig. Sie habe nichts | |
| Unrechtes getan, ihre Politik habe seinerzeit die Unterstützung einer | |
| Parlamentsmehrheit gehabt. Ihre Partei, die rechtsliberale Venstre, hatte | |
| sie im Februar verlassen, nachdem auch der Parteivorsitzende den Prozess | |
| gegen sie unterstützt hatte. | |
| Das jetzige Verfahren will die parteilose Parlamentsabgeordnete offenbar | |
| nicht nur für einen Frontalangriff gegen ihre Ex-Partei nutzen, sondern | |
| auch für einen politischen Neuanfang. Zum Auftakt des Verfahrens ging | |
| Støjberg mit einer Webseite online, auf der sie sich als Verfechterin für | |
| „den begonnenen Kampf um dänische Werte“ präsentiert: „Niemand sollte d… | |
| Fundament der Freiheiten erschüttern, auf denen Dänemark aufgebaut ist. Die | |
| unfreie Kultur des Islam darf unser Land nicht verändern“, steht dort. Sie | |
| fordert ihre Anhänger auf, sie finanziell zu unterstützen. | |
| Sie spricht in diesem Zusammenhang von einem „Volksklub, der Dänemark | |
| liebt“. Falls aus diesem „Volksklub“ demnächst eine „Støjberg-Partei�… | |
| werden sollte, würde das kaum verwundern. | |
| 2 Sep 2021 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Rechte-Politikerin-Inger-Stjberg/!5745063 | |
| [2] /Daenemarks-Integrationsministerin/!5231574 | |
| [3] /Daenemark-plant-Fluechtlingsinsel/!5553090 | |
| ## AUTOREN | |
| Reinhard Wolff | |
| ## TAGS | |
| Dänemark | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Rechtspopulismus | |
| Dänemark | |
| Minderheiten | |
| Terror | |
| Schwerpunkt Flucht | |
| Schwerpunkt Syrien | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| „Kinderbräute“-Erlass in Dänemark: Knast für Ex-Ministerin | |
| Dänemarks frühere Einwanderungsministerin Støjberg wird zu 60 Tagen Haft | |
| ohne Bewährung verurteilt. Sie reagiert geschockt auf das Urteil. | |
| Rassistische Aussagen von Minderheiten: Nützliche Nestbeschmutzer | |
| Rechte rekrutieren gern Verbündete, die selbst Migrationshintergrund haben. | |
| Damit versuchen sie, Stereotype zu untermauern. | |
| TV-Serie „Wenn die Stille einkehrt“: „Du denkst also nicht an Terror?“ | |
| Eine dänische Arte-Serie erzählt die Geschichten von Menschen, bevor sie | |
| Opfer eines Terroranschlags werden – und nachdem sie es wurden. | |
| Geplante Asylzentren in Afrika: Ein menschenverachtendes Manöver | |
| Dänemark will Asylzentren in afrikanischen Ländern etablieren. Allerdings | |
| gibt es bislang kein Land, das zu diesem fragwürdigen Deal bereit ist. | |
| Syrische Geflüchtete in Dänemark: Aus Jütland ins Abschiebelager | |
| Als erstes EU-Land droht Dänemark Geflüchteten mit Abschiebung nach Syrien. | |
| Dabei ist eine Rückkehr per Zwang derzeit ausgeschlossen. |