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# taz.de -- Rassistische Aussagen von Minderheiten: Nützliche Nestbeschmutzer
> Rechte rekrutieren gern Verbündete, die selbst Migrationshintergrund
> haben. Damit versuchen sie, Stereotype zu untermauern.
Bild: Eine Person kann längst nicht für eine ganze Gruppe sprechen
„Der Islam hat sich noch nie in eine andere Kultur integriert und wird es
auch nicht in Europa“,verkündete Autor Ahmad Mansour in einem Podcast der
FAZ. Eine steile Behauptung. Würde Mansour Meier oder Schmidt heißen, hätte
er vermutlich mehr Gegenwind dafür bekommen. Zumindest würde kritisch
hinterfragt werden, woher seine Expertise denn stammt, wo er weder
Historiker noch Islamwissenschaftler ist.
Mansour ist nicht gerade bekannt für den hohen Grad an Wissenschaftlichkeit
seiner Bücher. Diese bestehen mehr oder weniger aus Behauptungen und
Anekdoten. Seine Expertise scheint tatsächlich darin zu bestehen, dass er
Araber ist und „[1][früher selbst Islamist war]“, wie er in Interviews
erzählt. So wird er auch in dem Podcast vorgestellt: Er habe aufgrund
seiner Herkunft eine „interessante Perspektive“. Damit haben die Macher der
Sendung recht. Mansour ist ein interessanter Mensch.
Das Problem ist nur, dass von den Millionen Muslimen in Deutschland viele
eine interessante Geschichte haben, die wenigsten aber nach ihrer Meinung
gefragt werden. Leute dagegen, die aus einer Minderheit stammen und
herrschende Feindbilder über diese Minderheit bestätigen, haben oftmals
sehr viele Fans und werden per se zu Experten erklärt.
## Rassistische Aussagen werden instrumentalisiert
Menschen mit Migrationsgeschichte lassen sich nämlich leicht vom
Rassismusvorwurf reinwaschen, auch wenn sie noch so rassistische Aussagen
machen. Das nutzen rechte Gruppen für sich. So teilte beispielsweise die
rechtsextreme NPD mehrfach ein Video mit dem Untertitel: „Was Deutsche sich
nicht zu sagen trauen“. Darin erklärt der deutsch-ägyptische Politologe und
„Islamkritiker“ [2][Hamad Abdel-Samad] die „Wahrheit über den Islam“.
Eine alarmierende „Wahrheit“ über einen aggressiven und rückschrittlichen
Islam, ganz im Sinne der NPD. Auch die AfD lud Abdel-Samad schon als
Sprecher ein. Eine ähnliche Rolle spielt der schwarze AfD-Politiker Achille
Demagbo. Er ist der Meinung, „Multikulti“ sei gescheitert. In einem
Interview mit der Bild-Zeitung erklärte er außerdem die Zuwanderung von
Flüchtlingen zur „Masseninvasion“.
Was auffällt: Die Stimme eines Schwarzen, der behauptet, in Deutschland
gebe es keinen nennenswerten Rassismus, zählt in den Augen der Rechten mehr
als Tausende Stimmen von schwarzen Menschen, die betonen, dass Rassismus in
Deutschland ein schlimmes Problem ist. In der Wissenschaft wird dieses
Phänomen „Kronzeugentum“ genannt. Kronzeugen der Anklage werden von allen
Anklagepunkten freigesprochen, solange sie nur die Anklage stärken.
Die Annahme dahinter ist die, dass „sich Kulturen aus dem Inneren heraus
kompakt verstehen ließen“, so die Historikerin Yasemin Shooman. Das gab es
schon früher. Vor einigen Jahren hießen diese Kronzeugen noch Necla Kelek
oder Ayaan Hirsi Ali, die den Islam [3][in der NZZ als „Todeskult“]
bezeichnen durfte, oder Betty Mahmoody, deren „Insider-Roman“ und
Bestseller „Nicht ohne meine Tochter“, vollgestopft ist mit rassistischen
Bildern von stinkenden und triebhaften Muslimen.
Auch in den USA gibt es Leute wie den „Legendary Black Redneck“ Joel
Patrick. Auf Instagram hat er Hunderttausende Follower. Er trägt gerne
blütenweiße Cowboyhüte, fährt einen riesigen Geländewagen und trägt
T-Shirts mit nationalistischer Botschaft, im Sinne von „Wer sein Land nicht
liebt, soll es verlassen“. Weiße Privilegien bezeichnet er als Mythos und
rassistische Polizeigewalt sei quasi nicht existent. Er gehört damit zur
Gruppe der Black Republicans.
Die Rechte bedient sich bereitwillig an Leuten wie Patrick, denn wie
könnten die rassistisch sein? Tatsächlich liegt aber auf der Hand, dass
auch schwarze Menschen rassistische Ideologie, dass Muslime
antimuslimischen Rassismus und Frauen patriarchale Ideologie verinnerlicht
haben können. Es gab und gibt schon immer frauenfeindliche Frauen,
[4][homophobe Schwule] und sogar antisemitische Juden. Beispielsweise den
Österreicher [5][Arthur Trebitsch].
Dieser unterstützte zur Zeit der Nationalsozialisten die völkische Bewegung
in Deutschland finanziell. Er soll außerdem als Autor von Hitler geschätzt
worden sein. In einem Vortrag behauptete er beispielsweise, „Verjudet, das
ist entlebendigt“. Der Geist des Juden nehme, was der andere schaffe. Der
deutsche Geist sei dagegen der freie, schaffende Geist. Natürlich soll hier
keinesfalls [6][Ahmad Mansour] mit Trebitsch gleichgesetzt werden. Es geht
vielmehr darum:
Nur weil jemand Vorurteile gegen die eigene Gruppe bestätigt, bedeutet das
nicht, dass sie oder er per se recht hat. Trebitsch ist dafür ein
drastisches Beispiel. Sonst hätten übrigens auch alle Deutschen recht, die
nur Schlechtes über Deutsche zu sagen haben. Dennoch ist es eine gute
Sache, dass auch Stimmen wie die von Mansour oder Abdel-Samad gehört
werden. Das ist Teil einer pluralen Gesellschaft. Bedauerlich ist jedoch,
dass so viele andere Stimmen gar nicht oder weniger gehört werden.
Zu diesen Stimmen gehört der Autor [7][Amed Sherwan]. Der stammt aus dem
Irak und hat das Buch „Kafir. Allah sei Dank bin ich Atheist“ geschrieben.
Sherwan wurde 2020 von Facebook zeitweise gesperrt, weil er ein Foto
veröffentlichte, auf dem er einen anderen Mann vor der Kaaba in Mekka
küsst. Auch Sherwan wird von rechtsextremen Muslimen bedroht. In Interviews
und Artikeln berichtet er, dass ihm immer wieder Rechtsnationale
begegneten, die seine Aktionen loben und davon ausgehen, dass er als
Ex-Muslim rassistische Propaganda gegen Muslim*innen unterstütze.
Sobald er klarmacht, dass er auch gegen die rassistische Propaganda sei,
beschimpften und bedrohten sie ihn. Rechte Kräfte würden ganz bewusst
Ex-Muslime werben, als Kronzeugen für sie gegen den Islam auszusagen.
Leute, die sich gegen die tatsächliche oder zugeschriebene „eigene“ Gruppe
wenden, sind unzweifelhaft mutige Menschen, deshalb aber nicht automatisch
im Recht. Ihre Herkunft macht sie keineswegs zu Expert*innen.
Niemand sollte sich zudem das Recht herausnehmen, für die gesamte Gruppe zu
sprechen. Ob ihre Argumente stichhaltig sind, muss an Hand der Argumente
selbst geprüft werden, nicht an Hand der Herkunft der Sprechenden.
6 Sep 2021
## LINKS
[1] https://www.youtube.com/watch?v=qlzc0zu0YjE
[2] /Hamed-Abdel-Samad-bei-der-AfD/!5242112
[3] https://nzzas.nzz.ch/hintergrund/ayaan-hirsi-ali-der-islam-ist-ein-todeskul…
[4] https://www.queer.de/detail.php?article_id=38960
[5] https://www.weimarer-republik.net/jubilaeum/revolution-und-gruendung-der-re…
[6] /Polarisierung-in-der-Corona-Debatte/!5762645
[7] https://hpd.de/artikel/linke-ex-muslime-und-kritik-am-islam-19212
## AUTOREN
Houssam Hamade
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