# taz.de -- „Kinderbräute“-Erlass in Dänemark: Knast für Ex-Ministerin | |
> Dänemarks frühere Einwanderungsministerin Støjberg wird zu 60 Tagen Haft | |
> ohne Bewährung verurteilt. Sie reagiert geschockt auf das Urteil. | |
Bild: Inger Støjberg kommentiert ihre Verurteilung in Kopenhagen | |
Stockholm taz | Dänemarks Reichsgericht, das „Rigsretten“, hat am Montag | |
die ehemalige Einwanderungs- und Integrationsministerin Inger Støjberg | |
wegen Amtsvergehen zu einer Haftstrafe von 60 Tagen ohne Bewährung | |
verurteilt. Ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil gibt es nicht. | |
In der [1][Begründung des Urteils] wird Støjberg vorgeworfen, wissentlich | |
geltendes dänisches und internationales Recht gebrochen zu haben. 25 der 26 | |
RichterInnen waren sich in dieser Bewertung einig. Bei der Frage der | |
Strafbemessung hatte sich eine Minderheit von 9 RichterInnen für eine | |
Bewährungsstrafe ausgesprochen. | |
Damals Mitglied der rechtsliberalen Venstre, hatte sich Støjberg in den | |
vier Jahren ihrer Amtszeit als Einwanderungsministerin von 2015 bis 2019 | |
einen soliden Ruf als flüchtlingspolitische Hardlinerin und populistische | |
Provokateurin erworben. Der Strafvorwurf galt Støjbergs | |
„Kinderbräute“-Erlass. Am 10. Februar 2016 hatte die Ministerin die | |
Trennung aller nach Dänemark geflüchteten Paare mit einem Partner unter 18 | |
Jahren angeordnet. Offiziell hatte sie das damit begründet, sie wolle | |
minderjährige Mädchen vor erzwungener Partnerschaft schützen. Daraufhin | |
waren 23 Frauen zwangsweise von ihren Partnern getrennt worden, darunter | |
fünf Schwangere, vier Frauen, die Kinder hatten und einige, die krank | |
waren. | |
Es kam zu teils dramatischen Szenen: Mehrere der jungen Frauen hätten | |
„panisch reagiert“, „geweint und sich gewehrt“, seien „völlig | |
zusammengebrochen“, einige hätten gar versucht, sich das Leben zu nehmen | |
und mussten ins Krankenhaus, konstatierte ein Untersuchungsbericht im | |
Dezember 2020. In dem wurde ebenfalls festgestellt, dass allenfalls nach | |
einer gründlichen Einzelfallprüfung eine Trennung von Paaren zulässig | |
gewesen wäre. Die pauschale Anordnung der Ministerin aber sei eindeutig | |
illegal gewesen: Ein Verstoß gegen dänisches Recht, gegen die Europäische | |
Menschenrechtskonvention und gegen die UN-Kinderrechtskonvention. | |
## War der Rechtsverstoß bewusst und gewollt? | |
Die entscheidende Frage, die die 26 RichterInnen des „Rigsretten“ nun 5 | |
Jahre später zu beantworten hatten: War der Rechtsverstoß von Inger | |
Støjberg bewusst und gewollt – oder hatte sie nur fahrlässig ihre | |
Amtspflichten verletzt und ihre Anordnung nicht ausreichend auf | |
Übereinstimmung mit dem geltenden Recht geprüft? Sie bejahten erstere | |
Alternative, was einen Strafrahmen von bis zu 2 Jahren Haft möglich machte. | |
Die Anklage hatte vier Monate Haft, die Verteidigung Freispruch gefordert. | |
„Ich bin sehr, sehr überrascht“, erklärte Støjberg nach Verlassen des | |
Gerichtssaals. Nach Beobachtungen anwesender JournalistInnen reagierte die | |
frühere Ministerin „deutlich geschockt“ auf das Urteil. „Nicht nur ich, | |
sondern auch dänische Werte haben verloren“, sagte sie. „Ich nehme meine | |
Strafe auf mich, ohne den Nacken zu beugen.“ | |
Es war [2][ein historisches Verfahren, bei dem das dänische Parlament die | |
Rolle einer Art Anklagebehörde übernimmt], wenn einem Mitglied der | |
Regierung Amtsvergehen vorgeworfen werden. Das war in den vergangenen 110 | |
Jahren nur ein einziges weiteres Mal vorgekommen: 1994 war der ehemalige | |
Justizminister Erik Ninn-Hansen vom Reichsgericht [3][wegen der | |
„Tamilen-Sache“] zu einer Haftstrafe von vier Monaten auf Bewährung | |
verurteilt worden. Ähnlich wie jetzt bei Støjberg war es auch damals um die | |
Verletzung geltenden Rechts im Bezug auf die Behandlung von Flüchtlingen | |
gegangen. Das Folketing hat nun auch noch zu entscheiden, ob Støjberg ihr | |
Mandat als Abgeordnete behalten kann. | |
„Es ist gut, sie im Gefängnis zu sehen“, äußerte sich Alnour Alwan im | |
dänischen Rundfunk. Seine Frau Remaz Alkayal war im März 2016 von ihm | |
zwangsweise getrennt und in ein anderes Asyllager verlegt worden, obwohl | |
sie mit Sohn Azuz schwanger war. Erst nach einer gewonnen Klage durfte das | |
Paar vier Monate später wieder zusammen leben. „Wir dachten, dass die | |
dänische Regierung sich verhält wie Assads Regime“, sagt der syrische | |
Flüchtling: „Nun haben wir den Beweis, dass es einen Unterschied gibt.“ | |
13 Dec 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://rigsretten.dk/media/of4lp4dn/rigsrettens-dom-af-13-december-2021.pdf | |
[2] /Rechte-Politikerin-Inger-Stjberg/!5745063 | |
[3] http://xn--1994%20war%20der%20ehemalige%20Justizminister%20Erik%20Ninn-Hans… | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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