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# taz.de -- Kulturförderung in Sachsen: Integration ausgebremst
> Der Bedarf wächst, die Mittel aber nicht. In Sachsen stehen renommierte
> kulturelle Integrationsprojekte vor dem Ende.
Bild: „Looping & Drumming“ mit Ezé Wendtoin 2017 im Montagscafé des Staat…
DRESDEN taz | Zur Eröffnung des [1][Thespis-Zentrums Bautzen] wurde im Juni
2018 noch getanzt und gesungen. Unter den Fittichen des Deutsch-Sorbischen
Volkstheaters entstand eine Art internationale Bürgerbühne, ein kulturelles
Integrationsprojekt für Migranten.
Adressiert aber auch an die besonders reservierten Einwohner Bautzens und
um Akzeptanz und Dialog mit ihnen bemüht. Drei Mal luden sie seitdem im
Herbst zu dem mehrtägigen Theaterfestival „Willkommen anderswo“ mit
erstaunlich anspruchsvollen Beiträgen junger Bühnen aus ganz Deutschland.
Erst im Dezember des Vorjahres erhielt „Thespis“ den Sächsischen
Integrationspreis. Der wird gemeinsam vom Sächsischen Ausländerbeauftragten
und ebenjenem Sozialministerium ausgeschrieben, mit dem es plötzlich so
viel Ärger gibt.
Denn die Thespis-Förderung lief Ende 2020 aus. „Seit Dezember befindet sich
das gesamte Team in einer Art erzwungenem Schwebezustand. Es herrscht
völlige Ungewissheit, ob unser Zentrum im Mai noch existiert“, sagt Lisa
Dressler, zuständig für transkulturelle Theaterarbeit bei Thepsis.
Das sei sehr „lähmend und zermürbend“. Die migrationserfahrene kommunale
Integrationskoordinatorin Halimeh Ibrahim musste zudem aufgeben, denn ohne
einen festen Job fehlte ihr die Voraussetzung für ihr Bleiberecht in
Deutschland.
## Nicht das einzige Integrationsprojekt in Not
„Die interessante Arbeit hat gerade erst angefangen“, ärgert sich Lisa
Dressler über den drohenden Abbruch. Die wachsende Ausbreitung von
rassistischen und nationalistischen Haltungen erfordere eigentlich das
Gegenteil.
„Thespis“ in Bautzen ist nicht das einzige kulturelle Integrationsprojekt
in Sachsen, wo man die Ablehnung des Förderantrags trotz breiter
Wertschätzung nicht verstehen kann. [2][Das Chemnitzer „Haus der Kulturen“]
beispielsweise musste schon im Februar schließen, beim Trägerverein AGIUA
erreicht man niemanden mehr.
Als ein ebenfalls vom Auslaufen bedrohtes Vorbild, das beispielsweise in
Düsseldorf und München Nachahmer fand, gilt inzwischen auch das seit 2015
bestehende [3][Montagscafé im Kleinen Haus des Dresdner Staatsschauspiels].
Es folgte während der Flüchtlingskonflikte einem Appell der damaligen
Kunstministerin Eva-Maria Stange (SPD), das Bild von Sachsen nicht allein
den Fremdenfeinden zu überlassen.
Zunächst auf die dringenden Hilfen bei Sprache, Behördengängen,
Sozialkontakten oder Mobilität ausgerichtet, avancierte der Montagstermin
bald zu einem interkulturellen Treffpunkt. Im Durchschnitt begegnen sich
hier wöchentlich 150 Dresdner und Migranten.
Als digitale Teestube ist das Projekt auch 2020 fortgeführt worden. Eng
angelehnt an die Bürgerbühne des Staatsschauspiels, inspirierten die
Begegnungen zu pointierten Stücken wie „Homohalal“ oder „Ich bin Muslima…
haben Sie Fragen?“. Bürgerbühnenleiterin Miriam Tscholl wurde vom
Bundespräsidenten eingeladen.
## Unmut gegen Ministerium
Wie kann ausgerechnet gegen das sächsische Sozial- und
Integrationsministerium solcher Unmut wachsen? Ministerin Petra Köpping und
ihre SPD waren bislang stolz darauf, in den Koalitionen mit der CDU
Programme wie das „Weltoffene Sachsen“ oder eben die Richtlinie
„Integrative Maßnahmen“ durchgesetzt zu haben.
Seit 2016 unterstützt dieses einzige Integrationsprogramm auf Landesebene
Wohlfahrtsverbände, Flüchtlingsräte und Migrantenorganisationen und ist
stetig gewachsen. Dass es nun in ein Förderdilemma gerät, ist nicht dem
Entwurf des coronabedingten Krisenhaushaltes 2021/22 anzulasten.
Denn das Programm bleibt „durch das unnachgiebige Wirken von
Staatsministerin Petra Köpping“, wie es im Ministerium heißt, konstant mit
11,5 Millionen Euro ausgestattet wie bisher.
Viel schneller gestiegen ist allerdings das Antragsvolumen, das Programm
ist etwa doppelt überzeichnet. Das kann am wachsenden Bedarf, aber ebenso
an der wachsenden Bekanntheit des Programms liegen, ist im Ministerium zu
erfahren. Berücksichtigt man die für eine freie Vergabe an neue Projekte
verbleibenden 4,75 Millionen Euro, ist es sogar mehr als dreifach
überzeichnet.
Denn das vorrangige Psychosoziale Zentrum für traumatisierte Geflüchtete
und die Zusagen für eine mehrjährige Förderung binden den überwiegenden
Teil des Fördertopfes. Nach drei Jahren müssen sich eben auch bewährte
Projekte formal neu bewerben.
## Muss Bewährtes unbedingt Neuem weichen?
Dieser „Kannibalismus“ führte zur Ablehnung von 75 der eingereichten 121
Projekte. Sozialministerium, Sächsische Aufbaubank, Landkreise und
kreisfreie Städte entscheiden darüber gemeinsam nach einem Punktesystem.
Dabei komme es darauf an, „wie gut das neue Projekt begründet ist, wie
viele Angebote es schon vor Ort gibt und wie stark es ganz fundamentalen
Erstbedarfen wie Alltagsbegleitung, Orientierung im Gesundheits- und
Sozialsystem oder der Vertiefung von Deutschkenntnissen dient“, nennt ein
Ministeriumssprecher Bewertungskriterien. Hinter vorgehaltener Hand ist
auch zu hören, dass nicht automatisch öffentlichkeitswirksame Projekte mit
der stärksten Lobby zum Zuge kommen.
Aber muss man wegen solcher erstrebter Gleichbehandlung Aufgebautes wieder
einreißen? Das wird vielerorts nicht verstanden. „Das Sozialministerium
sollte das Förderdilemma nicht auf dem Rücken guter Integrationsarbeit
austragen“, fordert Lisa Dressler aus Bautzen. Der Dresdner
Staatsschauspielintendant Joachim Klement fühlt sich geradezu
verschaukelt.
„Während in Berlin Integrationsgipfel stattfinden und
Kulturstaatsministerin Monika Grütters erklärt, wie Kultur dabei helfen
kann, wird hier die Perspektive einer beispielhaften Einrichtung infrage
gestellt“, erregt er sich.
„Wir haben das Gefühl, als Notarzt an eine Unfallstelle gebeten worden zu
sein. Jetzt haben wir die Verletzten sozusagen versorgt, und dann wird uns
mitgeteilt, dass wir die Unfallverursacher sind“, erinnert Klement an die
Entstehung des Montagscafés. Zugleich verweist er auf die Klagen des
Dresdner Oberbürgermeisters Dirk Hilbert, der sagte, es mangele in der
Stadt an Begegnungsstätten.
## Offener Brief
In der Landeshauptstadt haben nun fünf Einrichtungen einen offenen Brief
geschrieben, weil ihre Projekte trotz einer Empfehlung des städtischen
Sozial- und Jugendamtes abgelehnt wurden. Darunter ist der [4][„Spike e.
V.“,] der 2018 den Sächsischen Integrationspreis erhielt.
Ein ähnlicher Brief aus Leipzig stellt außerdem alarmiert fest, dass wegen
der vorläufigen Haushaltsführung nur 65 Prozent der bewilligten Mittel
ausgereicht werden. Mit einer Verabschiedung des sächsischen
Doppelhaushalts 2021/22 ist erst im Mai zu rechnen.
Aber auch grundsätzliche Fragen werden gestellt. Warum ist nicht auch eine
strukturelle, also institutionelle Förderung von Langzeitprojekten möglich,
selbst wenn diese abrechnungsaufwendiger als die Projektförderung ist?
„Thespis“ in Bautzen versucht derzeit, mit dem Integrations-Preisgeld und
Spenden anderer Stiftungen vorläufig zu überleben.
Hier und anderswo hat man außerdem die Minimalchance einer
Reserve-Bewerbung in der „zweiten Frist“ genutzt, die Ende Januar endete
und wo die Prüfung noch läuft. Letztlich kommen alle betroffenen Träger zur
gleichen lakonischen Feststellung von Staatsschauspielintendant Klement:
„Man gewinnt den Eindruck, dass für die wachsende Aufgabe Integration
einfach nicht genügend Mittel zur Verfügung stehen!“
22 Mar 2021
## LINKS
[1] /Initiative-gegen-Bautzner-Frieden/!5660675
[2] https://www.agiua.de/projekt_hausderkulturen.php
[3] /Fluechtlingshilfe-durch-Theater/!5243089
[4] https://spikedresden.de/
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Integration
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