| # taz.de -- „Werkdatenbank Bildende Kunst Sachsen“: Digitale Ewigkeit | |
| > Das sächsische Künstlernachlassprojekt droht am Coronasparhaushalt zu | |
| > scheitern. Die Werkdatenbank gilt als Pionierleistung. | |
| Bild: Die Kunsthistorikerin Susanne Magister bei der Arbeit an der Werkdatenbank | |
| In den Räumen des Künstlerbundes Dresden sitzt Tutorin Susanne Magister vor | |
| einem Bildschirm mit der „Werkdatenbank Bildende Kunst Sachsen“. Neben ihr | |
| die Galeristin, Kunstvermittlerin und Kuratorin Claudia Reichardt, in | |
| Dresden seit den 1980er Jahren nur als „Wanda“ bekannt. Beide pflegen auf | |
| Bitten der Nachlassverwalterin hin die Werke der kinderlos verstorbenen | |
| Künstlerin Ursula Rzodeczko in die Datenbank ein. | |
| Für die Sichtung und die Auswahl eines Kernbestandes von 160 Arbeiten haben | |
| sie ungefähr 80 Arbeitsstunden aufgewendet. Etwa 18.000 Werke von 130 | |
| Künstlern umfasst die seit zwei Jahren im Aufbau befindliche sächsische | |
| Datenbank derzeit. Obschon einige Bundesländer auch in diese Richtung | |
| gehen, gilt das sächsische Projekt als Pionierleistung. | |
| Doch dieser Aufbau soll jäh gestoppt werden. Im Entwurf des Landeshaushalts | |
| 2021/22 stehen in der Titelgruppe „Künstlernachlässe und Künstlerdatenbank… | |
| statt des bisherigen Jahresansatzes von 688.000 Euro nur noch Striche. „Ein | |
| böses Omen für die sächsische Kulturlandschaft“, ist deshalb ein offener | |
| Brief des Landesverbandes Bildende Kunst an Kulturministerin Barbara | |
| Klepsch (CDU) überschrieben. | |
| Darin wird zunächst auf die durch Corona noch verschärfte [1][prekäre | |
| Situation freischaffender Künstlerinnen und Künstler] verwiesen. Die | |
| komplette Streichung der Mittel für die Pflege der Künstlernachlässe wird | |
| als „geradezu erschütterndes Signal staatlicher Gleichgültigkeit“ | |
| bezeichnet. | |
| ## Ein Frage der Sichtbarkeit | |
| Eine jahrelang „in gegenseitigem Respekt und Vertrauen“ gemeinsam mit dem | |
| Ministerium und dem Sächsischen Kultursenat vorangebrachte Entwicklung | |
| werde jetzt „einfach beiseitegewischt“. Der Landesverband beklagt, dass | |
| zuvor nicht mit ihm gesprochen wurde. Der Brief schließt mit dem Appell, | |
| den mit der „kulturpolitischen Kehrtwende“ absehbaren Schaden durch eine | |
| Korrektur zu verhindern. | |
| Der Besuch in einem Dresdner Atelier illustriert, warum der Umgang mit | |
| Künstlernachlässen seit Jahren eine immer drängendere Frage geworden ist. | |
| Im Stadtteil Leubnitz auf der Gostritzer Straße haben Karl-Heinz Adler und | |
| Friedrich Kracht gearbeitet, zwei wichtige Vertreter der Konkreten Kunst. | |
| Heute zeigt Tochter Jakoba Kracht, wo auf der Galerie ihres Ateliers eher | |
| provisorisch zumindest die großformatigen Werke ihres 2007 verstorbenen | |
| Vaters lagern. Gut eingepackt und trocken, aber natürlich nicht in Regalen | |
| unter klimatisierten Depotbedingungen. | |
| Bis auf wenige sehr bekannte Künstler stünden die meisten Erben und | |
| Verwandten vor einer ähnlichen Situation, sagt sie. Immerhin gab es schon | |
| 2013 vom Bund Fördermittel für die private Erfassung von 627 Arbeiten ihres | |
| Vaters, die sie gemeinsam mit der Witwe Karin Kracht bereits mit FileMaker | |
| gespeichert hat. | |
| „Kunst entschwindet oft, weil Lagermöglichkeiten für die Originale fehlen�… | |
| beschreibt sie ein verbreitetes Problem. Deshalb sei die zentrale digitale | |
| Erfassung nicht nur ein Kompromiss, sondern ein wichtiges Mittel, um die | |
| Sichtbarkeit zu verbessern. Ausstellungen, Forschungen, ja | |
| Wiederentdeckungen können so maßgeblich befördert werden. | |
| ## Auch vitale Künstler dürfen ihren Nachlass vorbereiten | |
| Ein zentrales Landesdepot für Künstlernachlässe gehörte einmal zu den | |
| Desideraten des Landesverbandes Bildende Kunst. Nicht finanzierbar und | |
| vielleicht in dezentraler Form auch sinnvoller, lautete schließlich die | |
| Einsicht. Regionale und lokale Museen verfügen aber auch kaum über | |
| Kapazitäten. Ein „Notfalldepot“ bietet der Künstlerbund Dresden im Keller | |
| seiner Geschäftsstelle an, gelegen in der DDR-Neubauzeile der Hauptstraße. | |
| Maximal für ein Jahr kann hier zwischengelagert werden, was die | |
| Dringlichkeit einer digitalen Dokumentation unterstreicht. | |
| Die „Urfassung“ einer sächsischen Datenbank war von ersten digitalen | |
| Ansätzen in Berlin und Brandenburg inspiriert, berichtet die Dresdner | |
| Tutorin und Kunsthistorikerin Susanne Magister. Die bis Ende 2019 | |
| amtierende Wissenschafts- und Kunstministerin Eva-Maria Stange (SPD) und | |
| ihr Ministerium beförderten die digitale Erfassung schließlich | |
| entscheidend. Im abgelaufenen Doppelhaushalt 2019/20 gab es erstmals einen | |
| Haushaltstitel. | |
| Für die Datenbank wurde eine eigene Software entwickelt. Seit dem Vorjahr | |
| arbeitet man mit der Sächsischen Landes- und Universitätsbibliothek | |
| zusammen. „Die ist an die internationale Datencloud gekoppelt“, erklärt | |
| Susanne Magister, „sodass man auch beim Getty-Museum in New York nach | |
| sächsischen Künstlern Ausschau halten kann“. | |
| Sie ist eine von drei freien MitarbeiterInnen zur Datenerfassung. Einmal im | |
| Monat bietet sie einen Sprechtag an, ebenso Schulungstermine in der Gruppe. | |
| Mit zwei Personen war außerdem die im Aufbau befindliche | |
| Koordinierungsstelle besetzt. Eine semiprofessionelle Fotoausrüstung | |
| einschließlich eines Lichtschirms kann man sich zur Ablichtung der Werke | |
| ausleihen. Die finden sich dann mit einer Kurzvita und einem | |
| Ausstellungsverzeichnis auf der jeweiligen Datenbankseite. | |
| ## Ministerin bittet Abgeordnete um Geld | |
| Erinnerungspolitisch ist eine solche Erfassung ebenfalls interessant. Denn | |
| sie berücksichtigt auch teils renitente Künstler aus der DDR, die eben | |
| nicht von Staatsaufträgen lebten. Als ein sächsisches | |
| Alleinstellungsmerkmal gegenüber vergleichbaren Projekten in Sachsen-Anhalt | |
| oder dem gerade anlaufenden in Thüringen darf gelten, dass auch lebende | |
| Bildkünstler bereits Eingang finden. Man kann also präventiv schon etwas | |
| für seinen Nachhall tun, „damit nicht erst 80-jährige handgeschriebene | |
| Listen präsentieren“, scherzt Susanne Magister. | |
| „Deutschlandweit vorn“ sieht Till A. Baumhauer als Vorsitzender des | |
| sächsischen Landesverbandes Bildende Kunst denn auch die Datenbank. Sie sei | |
| so wichtig für viele Künstler, „die nicht im Rampenlicht des Marktes | |
| stehen“. Die beabsichtigte Einsparung habe den Verband „kalt erwischt“. | |
| Die angesprochene [2][Kulturministerin Barbara Klepsch] antwortet, der | |
| Aufbau der Werkdatenbank werde auch weiterhin aufrecht rhalten: „Allerdings | |
| mussten aufgrund der Coronapandemie bei der Haushaltaufstellung Prioritäten | |
| gesetzt werden. Und so würden für die Weiterentwicklung der Datenbank und | |
| für Künstlernachlässe noch zusätzliche Mittel gegenüber dem jetzt | |
| vorliegenden Regierungsentwurf benötigt.“ | |
| Das klingt paradoxerweise nach einem Appell an die Landtagsabgeordneten, | |
| die derzeit gerade über den Landeshaushalt beraten. | |
| ## Kulturkompetenz hat gelitten | |
| Der scheint auch nötig zu sein, denn die Kulturkompetenz im Ministerium hat | |
| seit dem Regierungswechsel im Dezember 2019 spürbar gelitten. Für die | |
| Grünen, seit diesem Wechsel Koalitionspartner der CDU, verspricht | |
| Kulturpolitikerin Claudia Maicher einen entschiedenen Einsatz für dieses | |
| „einmalige Leuchtturmprojekt“. Man könne es nicht einfach einfrieren. Bei | |
| der Vorstellung der Pilotphase im Dezember 2020 hätten andere Bundesländer | |
| „mit großer Bewunderung“ nach Sachsen geschaut. | |
| Maichers Kollege Frank Richter von der ebenfalls regierungstragenden | |
| SPD-Fraktion und das Kulturforum der Sozialdemokratie beklagen „mangelnde | |
| Wertschätzung“ und fordern eine Fortführung der „Aufbauleistung“. Franz | |
| Sodann von der oppositionellen Linken rechnet vor, dass aus den im Vorjahr | |
| nicht abgerufenen Restmitteln zumindest die auf 75.000 Euro geschätzten | |
| jährlichen Kosten für die reine Datenbankpflege bestritten werden könnten. | |
| Den denkbaren Verzicht auf die eigentlich dazugehörige Koordinierungsstelle | |
| hatte der Landesverband selbst angedeutet. Auch der Deutsche Kunstrat und | |
| der Bundesverband Künstlernachlässe haben interveniert. Voraussichtlich im | |
| Mai soll das Landtagsplenum endgültig entscheiden. | |
| 8 Mar 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Michael Bartsch | |
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