Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Mit Kultur gegen die Landflucht: Was bewegen
> Kultur hilft, auch gegen Landflucht und verödendes Dorfleben. Doch sie
> erfolgreich zu fördern, ist anspruchsvoll – und das liegt nicht bloß am
> Geld.
Bild: Der Blick zurück soll das Ausdünnen von Gemeinschaft bremsen: Erntefest…
Berlin taz | Es ist ein bisschen wie beim Pilze sammeln: Ist das Auge erst
sensibilisiert, scheinen sie überall aus dem Boden zu sprießen. Tatsächlich
gibt es inzwischen eine fast unüberschaubare Zahl von Initiativen,
Programmen, Stiftungen, die Kultur [1][im ländlichen Raum] fördern. Eine
lange Liste, die eine*n ins Staunen bringen kann. Und ins Grübeln – sind
denn vielerorts nicht immer noch Bushaltestellen die einzigen Hang-outs
[2][etwa für Jugendliche]?
Über die desaströsen gesellschaftlichen Folgen geschlossener Dorfkneipen
und verschwindender öffentlicher Treffpunkte in Kleinstädten wurde seit der
[3][Corona-Epidemie] so ausführlich geforscht, dass fast jede Maßnahme, die
Kultur im ländlichen Raum initiiert, sinnvoll erscheint. Nur: Wer ergreift
in sogenannt„strukturschwachen Regionen“ welche Initiative? Und wer
entscheidet, was die Menschen vor Ort interessiert? Ein Beispiel:
Der Landkreis Uecker-Randow, Grenzregion Vorpommern, ein landschaftlich
reizvolles Gebiet mit Seen, Mooren, weiten Feldern, hohem Himmel, einem
ehemaligen NVA-Übungsplatz. Und etlichen kleinen Dörfern, aus denen seit
der Wende [4][immer mehr Menschen wegziehen]: Nirgendwo in Deutschland ist
die anhaltende Landflucht sichtbarer. Hier startete vor fünf Jahren ein
großes Projekt der Bundeskulturstiftung, das das regionale
Gemeinschaftsleben wiederbeleben sollte, in und zwischen den Dörfern. Ein
lokaler Träger kam in den Genuss der Fördermittel und stellte zur Umsetzung
unter anderen drei Personen an, die ein [5][„Kulturlandbüro“] gründeten.
Josefa Baum gehörte von Anfang an zu dem kleinen Team: „Ich hätte mir als
Jugendliche sehr gewünscht, dass es für uns auch schon solche Initiativen
gegeben hätte“, sagt die 31-Jährige. Sie ist selbst in der Region
aufgewachsen, spricht fließend Polnisch und hat sich im Studium mit
transregionaler Identität im deutsch-polnischen Grenzraum beschäftigt.
## Keine importierten Spektakel
Vier Jahre Feldforschung mit Praxisarbeit haben ihren Blick auf die
Voraussetzungen für und Erfolgskriterien von Kulturarbeit in
strukturschwachen Regionen ziemlich verschoben: Mit leichtem Grusel schaut
das Kulturlandbüro heute auf die Anfangsphase zurück, als man mit einer
Künstlergruppe in einem Zirkuszelt von Dorf zu Dorf tingelte, „wie mit
einem Ufo, das aus Berlin gelandet war“. Es war ein gut gemeintes
Unterhaltungsangebot, von dem man sich erhoffte, es würde die
Dorfbewohner*innen wieder zusammenbringen. Tat es aber nicht.
Das Kulturlandbüro wollte mit solchen importierten Spektakeln nicht
weitermachen, es sei schließlich nicht als Veranstaltungsagentur
angetreten, sagt Josefa Baum. Zusammen mit ihren Kollegen David Adler,
theater-affiner Kulturmanager aus Greifswald, und Maria Elsner,
Restauratorin, Kunsthistorikerin und ebenfalls in der Region zu Hause,
entwickelte sie neue „Formate“: Die drei führten lange Gespräche in den
Gemeinden, mit Einzelpersonen, Zufallsbegegnungen, aber auch
Bürgermeistern. Das sei anstrengend gewesen, erinnert sich Maria Elsner,
bewegend und aufschlussreich.
Es sei schwierig, Menschen in solch kleinen Gemeinden dazu zu bewegen,
selbst wieder aktiv zu werden – als hätten Wendeerfahrungen und
Abwanderung zu einer generationsübergreifenden Apathie und Müdigkeit
geführt. Das Vereinsleben war vielerorts komplett eingeschlafen, und
abgewandert schien auch das Wissen, wie man kulturelles Leben auf dem Land
organisiert. „Manche Gemeinden dachten zuerst: Da kommt wer mit einem Eimer
Geld!“, erzählt Elsner. „Was fehlte, waren Gespräche, was man mit diesem
neuen Geld machen könnte.“
Das Kulturlandbüro begann mit Angeboten für die Gemeinden zu
experimentieren und setzte auch auf Netzwerkarbeit mit anderen Initiativen
in der Region. So entstanden unter anderem die [6][„Dorfresidenzen“]: Das
Kulturlandbüro vermittelte interessierte Kunstschaffende, aus denen das
Dorf dann eine*n aussuchte und einlud, einige Monate lang dort zu leben.
Gemeinsam sollen Ideen entwickelt und realisiert werden.
## Lokale Geschichte als Schwerpunkt
Die meisten Gemeinden wollten sich mit der eigenen lokalen Geschichte
auseinandersetzen, in Buch- oder Filmform, durch Veranstaltungen mit
Zeitzeugen oder auch in Form von Audiowalks. In der Zusammenarbeit mit den
Künstler*innen kam es durchaus zu Reibungen. Aber, so die Erfahrungen
des Kulturlandbüros, diese Konfliktsituationen stießen oft etwas Anderes,
Neues an – nachdem die Künstler*innen abgereist waren. So wurde etwa
eine Heimatstube wiederbelebt, oder an einer Außenfassade erzählte nun ein
Mosaik die Dorfchronik.
Muss immer erst etwas Scheitern, bevor eine Kulturinitiative gestartet
werden kann, die von der Gemeinde gewollt und mitgestaltet wird? In
Rothenklempenow im südlichen Mecklenburg-Vorpommern lief es von Anfang an
anders. In dem Dorf mit drei Seen und 541 Einwohner*innen, viel rotem
Backstein und einer stillgelegten Glashütte hat das Kulturlandbüro seinen
Hauptsitz. Inzwischen organisiert ein neu gegründeter Verein dort
selbständig gut besuchte [7][Erzählcafés] mit lokalen Zeitzeugen, manchmal
auch Lesungen und Konzerte.
Viele Veranstaltungen laufen unter dem Dach eines „Lexikons der
Erinnerungen“, in dem das Dorfleben zu DDR-Zeiten wieder-, auch
weitererzählt wird. Durch gemeinsames Aktenwälzen in der
Gemeindehaus-Rumpelkammer, Stöbern in privaten Fotoalben, die Besichtigung
alter Produktionsstätten und filmisch dokumentierten persönlichen
Erinnerungen ist da etwas in Gang gekommen – als schreibe das Dorf an einem
neuen Kapitel seiner Chronik.
Die Beschäftigung mit der eigenen, lokalen Geschichte hat sich als gut
geeigneter, inspirierender Ausgangspunkt erwiesen. Besonders in kleinen
Gemeinden der ehemaligen DDR scheinen Menschen über eine neu initiierte,
[8][kollektive Erinnerungskultur] wieder zueinanderfinden. Die
Künstler*innen von außerhalb geben oft nur den Anstoß, stiften einen
Anlass: als Chronist*innen, als interessierte Zuhörer*innen mit einer
Videokamera. Und mit dem Wissen, wie sich das gesammelte Material dann
aufbereiten lässt.
Erfolg oder Misserfolg ländlicher Kulturförderung hängt nicht nur ab von
Themen und Formaten. „Die Kommunen sind als Partner für das viele neue Geld
für ländliche Kulturförderung überfordert“, weiß David Adler, der selbst…
der Verwaltung einer ländlichen Gemeinde tätig war. „Von den 48 Gemeinden,
mit denen wir zusammengearbeitet haben, werden 43 von ehrenamtlichen
Bürgermeistern geführt.“ Wer kann da die notwendigen Anträge schreiben, um
an existierende Förderung zu gelangen? Wer aus der Verwaltung macht
Überstunden, wenn Veranstaltungen auch mal am Wochenende stattfinden? Und
organisiert für all das den erforderlichen Versicherungsschutz?
## Zwischen Arbeitslosigkeit und Projekten
Hier setzt das Kulturlandbüro auf seinen Neustart: Nachdem die vierjährige
Förderung ausgelaufen war, [9][gründete das Trio] Anfang des Jahres eine
gemeinnützige Unternehmensgesellschaft. Nun hofft es auf eine
Basisfinanzierung durch den Landkreis, um Wissen und Netzwerke neuen
Projekten zur Verfügung stellen zu können. Man unterstützt Gemeinden oder
Einzelpersonen bei der Antragstellung, vermittelt bei Bedarf geeignete
Kulturschaffende oder übernimmt auch mal die Veranstaltungsplanung.
Derzeit sind Elsner, Baum und Adler ehrenamtlich unterwegs, hangeln sich
selbst mit Gelegenheitsjobs oder Arbeitslosengeld von einem Projektantrag
zum nächsten. „Wir verstehen uns nicht selbst als Kulturschaffende“, sagt
Adler, „eher wie Gärtner, die ein Beet bestellen – was darauf wächst,
sollen die Leute selber entscheiden.“ Förderung könne aber keine fehlenden
Strukturen ersetzen: „Es gibt zu viele Projekte und zu wenig Träger.“
Ganz schön kompliziert, Kultur auf dem Lande ins Laufen zu bringen. Neue
Geldquellen müssen wie mit ortssensiblen Bewässerungssystemen verteilt
werden, wenn sie nicht versickern sollen. Hoffen lässt, dass Fördermittel
inzwischen vermehrt nach neuen Kriterien vergeben werden, also anders als
in urbanen Zentren – anders aber auch, als es noch vor wenigen Jahren
üblich war.
Bei [10][„Aller.Land“] – einem „Bundesprogramm Ländliche Entwicklung u…
Regionale Wirtschaftsförderung“ – beispielsweise gingen der
Juryentscheidung regelrechte Expeditionen in ländliche Regionen voraus.
Drei beteiligte Bundesministerien setzen zusammen mit der
[11][Bundeszentrale für Politische Bildung] auf eine enge Verzahnung mit
Ländern und Kommunen, bieten etwa auch Qualifizierungsangebote für die
Projektverantwortlichen vor Ort an. Bis 2030 stehen dafür 70 Millionen
Fördermittel zur Verfügung. Kein Cent zu viel.
10 Aug 2025
## LINKS
[1] /Stadt-Land-Gefaelle/!t5653328
[2] /Dieser-Film-erzaehlt-vom-Aufwachsen-in-der-saechsischen-Provinz-in-den-Nul…
[3] /Schwerpunkt-Coronavirus/!t5660746
[4] /Landflucht/!t5202198
[5] https://www.kulturlandbuero.de/
[6] https://www.kulturlandbuero.de/aktionen/dorfresidenzen/
[7] /Die-Nabelschnur-im-Nil--und-in-der-Alster/!5454228&s=Erz%C3%A4hlcaf%C3…
[8] /DDR-Buergerrechtsbewegung/!6076208
[9] https://www.kulturlandbuero.de/wir-haben-gegruendet/
[10] https://www.allerland-programm.de/
[11] https://www.bpb.de/
## AUTOREN
Dorothee Wenner
## TAGS
Schwerpunkt Stadtland
wochentaz
Landflucht
Kulturpolitik
Kulturförderung
Demografie
Social-Auswahl
Reden wir darüber
Kunst
Kunstverein Wolfsburg
Kino
Schwerpunkt Ostdeutsche und Migranten
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kunstbiennale an der Nordsee: Sich gegen den Rhododendron behaupten
In diesem Sommer findet die zweite Ausgabe der Ostfriesland Biennale statt.
Was kann die bildende Kunst auf dem platten Land?
Finanzierung kommunaler Kulturpolitik: Nach dem Gusto des Konzernchefs
Fabian Köster hat die Abhängigkeit kommunaler Kulturpolitik von der
Wirtschaft erforscht – an den Beispielen Wolfsburg und Gelsenkirchen.
Filmkunstfest Schwerin: Von der Kunst und dem Überleben
Beim 33. Filmkunstfest in Schwerin zeigen drei Dokumentarfilme die Mühen
von Künstler*innen in der sogenannten Provinz.
Kulturförderung in Sachsen: Integration ausgebremst
Der Bedarf wächst, die Mittel aber nicht. In Sachsen stehen renommierte
kulturelle Integrationsprojekte vor dem Ende.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.