| # taz.de -- „Theater der Welt“ in Düsseldorf: Ringen um Relevanz | |
| > In Düsseldorf sind beim Festival „Theater der Welt“ Produktionen aus fü… | |
| > Kontinenten zu sehen. Das Programm war bis zuletzt eine Zitterpartie. | |
| Bild: Szene aus der live aus Santiago de Chile gestreamten Produktion „Dragó… | |
| Als vor 40 Jahren das „Theater der Welt“ erfunden wurde, war | |
| Gründungs-Intendant Ivan Nagel noch stolz darauf, wenn er Produktionen des | |
| Wiener Burgtheaters zeigen konnte. Daran erinnerte zur Eröffnungs Joachim | |
| Lux die Presse. Der Intendant des Hamburger Thalia Theaters ist Präsident | |
| des Internationalen Theaterinstituts (ITI), des Gründers und | |
| Co-Veranstalters des Festivals. | |
| Längst ist sein Anspruch so global wie der internationale Festivalzirkus – | |
| wo derzeit nichts den Erfahrungen der Pandemie eigentlich mehr | |
| widersprechen könnte, als tatsächlich Theater aus der ganzen Welt zeigen zu | |
| wollen. In Zeiten von Reisebeschränkungen, Quarantäne-Vorschriften und | |
| reisefreudigen Mutationen. | |
| So war das Programm [1][bis zuletzt eine Zitterpartie.] Das Festival, das | |
| alle drei Jahre in einer anderen Stadt oder Region stattfindet, wurde 2020 | |
| wegen der Pandemie abgesagt und um ein Jahr verschoben. Aber auch der neue | |
| Termin war alles andere als sicher. Nun aber ist das Festival eine der | |
| ersten kulturellen Großveranstaltungen, die tatsächlich überwiegend live | |
| vor Publikum stattfinden kann. | |
| ## Die diffuse Weite der Themen | |
| Thematisch arbeitet sich das internationale Theatertreffen an allen | |
| brisanten Themen ab, die derzeit die Debatten beherrschen: Kolonialismus, | |
| der Kampf um Gleichberechtigung, die Chancen und Risiken künstlicher | |
| Intelligenz, Diskriminierung, die Rechte indigener Völker, Rollenbilder, | |
| Afrika, Klimawandel und der Zustand unseres Planeten. Klingt ambitioniert, | |
| aber auch ein bisschen beliebig. Aber vielleicht ist gerade diese etwas | |
| diffuse Weite der Themenfelder am besten geeignet, einen Überblick zu | |
| gewinnen über die aktuellen Anliegen und Ästhetiken des Theaters der Welt? | |
| Eröffnet wurde das Festival mit der Uraufführung einer Bühnenfassung des | |
| Romans „Leben und Zeit des Michael K.“ des Nobelpreisträgers J. M. Coetzee, | |
| allerdings nur live gestreamt aus dem Baxter Theatre in Kapstadt vor luftig | |
| besetzten Reihen im gastgebenden Düsseldorfer Schauspielhaus. Der 1983 | |
| erschienene Roman erzählt die Geschichte eines schwarzen Außenseiters aus | |
| prekären Verhältnissen, der am unteren Rand der von Apartheit geprägten und | |
| durch einen nicht näher definierten Krieg zerrissenen Gesellschaft | |
| herumgeschubst und brutal ausgegrenzt wird. | |
| Dieser Michael K. wird von einer fast lebensgroßen holzgeschnitzten Puppe | |
| verkörpert, die von drei sichtbaren Spielern der legendären Handspring | |
| Puppet Company virtuos geführt wird. Die weiße südafrikanische Regisseurin | |
| Lara Foot erzählt die Geschichte schnörkellos, der | |
| Puppen-Verfremdungseffekt sorgt für Überhöhung und zugleich für besondere | |
| Anteilnahme am Schicksal des Gebeutelten. | |
| ## Ein atmosphärisch starker, würdiger Auftakt | |
| Die lineare Inszenierung und ihre biederen ästhetischen Mittel wirken | |
| jedoch eigenartig aus der Zeit gefallen. Dennoch, die auf riesiger Leinwand | |
| über 9.500 Kilometer live erlebte Aufführung aus Kapstadt, wo derzeit | |
| Ausgangssperre herrscht, ist atmosphärisch stark und war ein würdiger | |
| Auftakt. | |
| Wiederum nur live-gestreamt kam aus Santiago de Chile die Produktion | |
| „Dragón“, eine Arbeit des chilenischen Autors und Regisseurs Guillermo | |
| Calderón. Das brillant geschriebene Stück spielt in einem Setting, das ein | |
| in Chile legendäres Lokal nachbildet, in dem sich traditionell | |
| Intellektuelle und während der Militärdiktatur besonders Dissidenten | |
| trafen. | |
| Verhandelt werden die Dispute des titelgebenden Künstlerkollektivs Dragón, | |
| das in einer tiefen Krise steckt. Zwei übrig gebliebene Mitglieder des | |
| Kollektivs diskutieren mit einer hinzugekommenen Frau ihr neuestes Projekt: | |
| die möglichst drastische Nachstellung des Mords an dem guyanischen | |
| Historiker und Politiker Walter Rodney in einer Galerie. Das Kunstprojekt, | |
| das an den schwarzen Theoretiker und Revolutionär erinnern soll, ist | |
| gedacht als Kommentar zu den aktuellen Verhältnissen im postkolonialen | |
| Chile. | |
| ## Treffsicher, mit bösem, selbstironischem Humor | |
| Treffsicher und mit bösem, selbstironischem Humor spießt Guillermo Calderón | |
| alle aktuellen Debatten auf, die den aktuellen Kunstdiskurs aufmischen, vom | |
| Black-Facing über Fake-News, Fragen der Repräsentation, Identität und | |
| Relevanz von (politischem) Theater und den Grenzen seiner Wirksamkeit. Das | |
| DarstellerInnen-Trio spielt dabei lustvoll mit Klischees aller Art und | |
| stellt die Rituale der Produktion von künstlerischer Scheinbedeutsamkeit | |
| gnadenlos aus. Klug gedacht und hinreißend gespielt ist es aber auch ein | |
| Theater der reinen Selbstreferenz. | |
| Amüsant, wenngleich etwas langatmig fiel dann der „European Philosophical | |
| Song Contest“ aus, ein live gebotenes Spektakel aus Lausanne von Massimo | |
| Furlan und Claire de Ribaupierre mit Beiträgen aus zehn europäischen | |
| Ländern. Nach dem Vorbild des Eurovision Song Contest wetteiferten zehn | |
| Songs um die Gunst einer vierköpfigen, divers besetzten Jury und des | |
| Saalpublikums, moderiert von Furlan und der Tatort-Dortmund-Ermittlerin | |
| [2][Anna Schudt.] | |
| Die Texte der überwiegend soften Songs stammen von gegenwärtigen | |
| europäischen DenkerInnen der Soziologie, Anthropologie, Geschichte, | |
| Rechtsphilosophie, Literatur und Philosophie, kreisen um aktuelle Diskurse | |
| und sollen vor allem eine Antwort geben auf die Frage: Was soll aus Europa | |
| werden? | |
| Neben den mehr oder weniger ansprechenden Songs und dem witzig karikierten | |
| Song-Contest-Pathos der Moderationen standen die Diskussionen der Jury, | |
| angeführt vom Düsseldorfer Star-Schauspieler André Kaczmarczyk, im | |
| Mittelpunkt des Abends. Dabei ging es wenig diskursiv, in teils | |
| weitschweifigem „Ich-finde-irgendwie“-Idiom ermüdend politisch korrekt zu. | |
| And the winner is: Portugal für einen raunenden öko-utopischen-Song. Na | |
| bitte! | |
| 25 Jun 2021 | |
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| ## AUTOREN | |
| Regine Müller | |
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