# taz.de -- Festival „Theater der Welt“: Die Rückseite der Hafenstadt | |
> Auf dem Wasser Menschen zuhören, die übers Wasser reden: Madeleine Flynn | |
> und Tim Humphrey mit ihrer Installation „Five Short Blasts“ zu Gast in | |
> Hamburg | |
Bild: Ganz schön grün und total urban: Die thematischen Bootsfahrten | |
Etwas früher sei es noch schöner, sagt die junge Frau im blauen T-Shirt: | |
„Wenn man um sechs auf dem Wasser ist, hängt noch so ein leichter Nebel | |
über der Alster, und es ist noch stiller.“ Nun ist es schon deutlich nach | |
halb sieben, still ist es trotzdem, aber es ist ja auch ein Samstag. Die | |
junge Frau im blauen T-Shirt schweigt wieder und rudert. Das ist ihre | |
Aufgabe, und die der anderen in Blau, an diesem Morgen: kleine Boote mit | |
jeweils bis zu drei Passagieren voranzubringen. | |
„Theater der Welt“ steht auf dem blauen T-Shirt, und die morgendliche | |
Bootsfahrt ist Teil dieses derzeit in Hamburg laufenden Festivals mit | |
internationalen Gästen, Stücken und Projekten. Madeleine Flynn und Tim | |
Humphrey sind Australier, und im Hafen von Melbourne sowie auf dem dortigen | |
Fluss Yarra haben sie „Five Short Blasts“ [1][zum ersten Mal 2013 in Szene | |
gesetzt]. Die Quadriennale in Prag hat diese „site-specific“, also dem | |
jeweiligen Ort angepasste Soundinstallation schon beherbergt. Zuletzt waren | |
sie damit beim Brighton Festival. | |
Immer geht es ums Wasser, um die Menschen, die von ihm leben, vielleicht | |
auch darin sterben; um die Seefahrt, Schwimmen und Fischen und – heutzutage | |
– auch die Flucht über irgendein Meer in irgendeinem Gefährt, das dazu | |
nicht taugt. „Five Short Blasts“, der Titel entlehnt sich ja unmittelbar | |
der Seefahrt. Mit fünf kurzen Hornstößen kommunizieren Schiffe | |
Unsicherheit: Ich weiß nicht genau, was du vorhast, aber wenn du so | |
weitermachst, rammen wir einander. | |
In Hamburg bieten Flynn und Humphrey jetzt zwei Touren an, die miteinander | |
korrespondieren, aber auch kontrastieren: In aller Herrgottsfrühe kann man | |
sich in einem der erwähnten Boote über die Außenalster rudern lassen und | |
durch die umliegenden Kanäle. Oder man fährt, zwei Stunden später, mit | |
einer motorisierten Barkasse übers Elbfahrwasser und durch – dann sehr viel | |
mehr an Arbeit erinnernde – Hafenareale. Auch wenn es kein Muss ist: Beides | |
unmittelbar nacheinander erlebt, entfaltet vielleicht die größte Wirkung. | |
„Hamburg ist vom Wasser aus am schönsten“, auch das sagt die Frau im | |
Ruderboot, und anders als aus dem Mund irgendwelcher | |
Tourismusverantwortlichen möchte man es sogar glauben. Die Schönheit ist | |
eine der Brüche: Im Stadtteil Winterhude hat sich, wie auch anderswo, das | |
Bürgertum eine teils schon aggressiv repräsentative Architektur hingestellt | |
– meine Zimmerdecke ist höher als deine. Mit dem Boot passiert man nun | |
sozusagen die Rückseite der prächtigen Fassaden. Auch hier lassen sich | |
Unterschiede ablesen: Der eine hat einen Garten mit Zugang zum Wasser und | |
ein eigenes Boot da liegen – der andere nicht. Aber es zeigt sich eben | |
auch, wie da das Wasser am Menschenwerk nagt, das bröckelt und gespalten | |
wird vom Wurzelwerk. | |
Mehr als die Summe seiner Teile? | |
Flynn und Humphrey veranstalten keinen Ausflug, auch keine sogenannte | |
alternative Hafenrundfahrt. Sie verstehen sich als „audio artists“, ein | |
wenig unscharf als Klangkünstler zu übersetzen. Übers möglicherweise | |
Pittoreske der Umgebung hinaus soll da etwas erzählt werden, Sinn | |
gestiftet. Da ist erst mal der Soundtrack, der aus eigens konstruierten | |
Lautsprecherkisten kommt: Während die Landschaft vorbeizieht, ist da eine | |
Collage zu hören: immer wieder unaufdringliche minimalistische | |
Gitarrenmusik, auch Originalgeräusche, aber vor allem gesprochener Text, | |
jeweils auf Deutsch und Englisch. | |
Tony Birch sowie Julia und Tim Crouch haben den ursprünglichen Text | |
verfasst. Der variiert mit dem Schauplatz: Spielte man etwa in Brighton auf | |
ein lokales Flugzeugunglück an, geht es in Hamburg plötzlich auch mal um | |
das Erlebnis, zum ersten Mal in der Alster zu schwimmen, diesem ja doch | |
recht großen Tümpel. „Urgesteine des Hamburger Hafens, Netzflicker mit | |
Walfanggeschichten, Seemänner und Elblotsen“ kommen da zu Wort, so fassen | |
es die Veranstalter zusammen, „aber auch Drachenbootfahrer, Triathleten | |
oder Geflüchtete, die übers Wasser gekommen sind“. | |
Und noch etwas will da Mehrwert stiften, Aha-Erlebnis vielleicht auch oder | |
eine Form des Poetischen: Da sitzt plötzlich eine Trompeterin am Ufer. Oder | |
das Boot fährt unter einer Brücke durch, auf der ein Mann ein | |
sehnsuchtsvolles Lied in irgendeiner mitteleuropäischen Sprache singt. Oder | |
diese Tänzerin: tanzt auf dem Dach eines Hausboots oder kopiert, auf einer | |
Alsterbrücke, ganz normale Passanten; übersteigert deren Gesten derart, | |
sodass sie auch von den Booten aus wahrgenommen werden können. | |
Alles schön und gut, schrieb über die Brightoner „Five Short Blasts“ der | |
[2][Guardian], „a nice experience“ – bloß werde daraus selten mehr als d… | |
Summe der Einzelteile. Ein wenig krankt daran auch die Hamburger Variante: | |
Nicht immer ist der Zusammenhang zwingend zwischen dem, was wir gerade | |
hören und wo wir gerade sind – aber das kann durchaus der frühen Stunde | |
geschuldet sein. Und es gibt doch wirklich schlimmere Aussichten, als am | |
Ende eine schöne, aber vielleicht nicht maximal Erkenntnis fördernde Zeit | |
verbracht zu haben. | |
Beide Touren werden jeweils am 2., 3. und 4. Juni nochmals durchgeführt. | |
(Rest-) Tickets unter www.theaterderwelt.de | |
30 May 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://madeleineandtim.net/portfolio/5-short-blasts/ | |
[2] https://www.theguardian.com/stage/2017/may/07/five-short-blasts-review-wate… | |
## AUTOREN | |
Alexander Diehl | |
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