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# taz.de -- Seichte Elbphilharmonie-Ausstellung: Devotionalien von Künstlerhand
> Die Hamburger Ausstellung “Elbphilharmonie Revisited“ arbeitet sich an
> der äußeren Form ab und wagt weder eine konkrete Kritik noch eine
> allgemeine Reflexion
Bild: Was Feines: Kabinett mit Tomas Saracenos senegalesischer Seidenspinne in …
Man kann das natürlich machen: Einfach „Elphilharmonie“ rufen und schauen,
was passiert. Das Ergebnis dann „Ausstellung“ nennen und deren Inhalt
„künstlerische Positionen.“ Aber dann darf man sich nicht wundern, wenn man
eine Villa-Kunterbunt-Mischung ohne Tiefgang bekommt.
Dabei war die Ausstellung „Elbphilharmonie Revisited“ in den Hamburger
Deichtorhallen mit ihren meist eigens geschaffenen Werken internationaler
Künstler sicher gut gemeint. Und die Riesenvitrine mit Modellen,
Materialproben, Skizzen der Architekten Herzog & de Meuron ist ja auch sehr
schön, wirkt allerdings ein bisschen wie ein Werbeblock.
So inkongruent wie die Genres, so irritierend ist auch das Motto der Schau.
„Elbphilharmonie Revisited“: Für die vielen Hamburger, die zur
Eröffnungssaison keine Karte ergatterten, der reine Hohn. Zumal auch die
Deichtorhallen-Schau nicht in den begehrten Konzertsaal führt, wenn man von
Candida Höfers kühl-neosachlichen Fotos mal absieht.
Überhaupt bietet die Ausstellung jede Menge Fotos. Von oben, unten, innen,
außen. Mal kühl, mal mythisch verpixelt, mal film-essayistisch in Schnee
und Nebel. Auffallend viele der zwölf Künstler arbeiten sich an der äußeren
Form des Gebäudes ab, als fürchteten sie, von der PR-trächtigen,
Heiligenschein-verdächtigen Benutzeroberfläche mehr als eine Handbreit
abzuweichen.
Worin liegt zum Beispiel der Erkenntnisgewinn des von Jean-Marc Bustmantes
theatralisch „EPHemer“ genannten Triptychons, für das er Aquarelle der
Elbphilharmonie-Silhouette einscannte, vergrößerte und auf Fotopapier
druckte? Wäre das nicht etwas für den Elbphilharmonie-Andenkenladen, der
auch Notizblöcke, Anhänger und Radiergummis in Elbphilharmonie-Form bietet?
Und dann Uli M. Fischers Film-Essay „Sang und Klang“: Zum gewollt morbiden
Kunstwerk geronnen sind da Fotos und Politiker-Zitate von Anfang, Mitte und
Ende der zehnjährigen Baugeschichte. Skandale hat der Künstler adrett
eingebaut und damit automatisch relativiert. Ästhetik schlägt Kritik.
Politisch wache Kunst ist das nicht.
Selbst wenn sie auftaucht: Die visionären Elbphilharmonie-Kommentare
diverser Politiker, die man in der großen hölzernen – innen als
Schamanenhütte gestalteten – „Kanalphilharmonie“ des Hamburger
Künstlerkollektivs Baltic Raw Org hören kann: abgenutzt, tausendmal gehört.
Denn merke: Musealisierte Kritik ist keine.
À propos: Wie anders als museal soll man die erwähnte Glasvitrine mit
Herzog & de Meurons rosa Pappmodellchen und Weiße-Haut-Materialproben
auffassen? Oder lauert hier ein selbstironischer Verweis darauf, dass die
Philharmonie eigentlich nicht Konzerthaus, sondern Museum ist, das vor
allem Eintagsbesucher zieht und für den Konzertalltag nicht taugt? Der ganz
reale Unmut etlicher Konzertbesucher, die sich den Elbphilharmonie-Saal
unter Überwindung mehrerer enger Kurven mühsam erklettern müssen, spricht
jedenfalls Bände.
Aber Kritik ist nicht angesagt in der Deichtorhallen-Schau. Niemand zeigt
auf die Menschen, Firmen, Gremien, denen die Kosten letztlich wurscht
waren, darunter Exbürgermeister Ole von Beust (CDU), Hochtief, die
Architekten, die munter sonderwünschende Kulturbehörde. Da wird allenfalls
mal eine zahme Holz-Stahlträger-Plastik-Chaos-Installation Peter
Buggenhouts namens „Babel Variationen“ gezeigt, die allgemein auf
Größenwahn verweist.
Anderswo geht es um den wendig-windigen Prozess des Bauens – in einer wenig
originellen Installation aus Koffern, Ventilatoren, wehenden Skizzen. Um
ganz konkrete Auswirkungen – etwa den Unfall des 44-jährigen Arbeiters, der
am 13. Juli 2010 vom Gerüst in den Tod stürzte, geht es dann schon wieder
nicht. Dabei ist auch dieser Namenlose, dieses „Menschenopfer“, Teil der
Elbphilharmonie-Baugeschichte.
Und selbst wenn mal die Arbeiter ins Visier geraten – in der soziologischen
Studie von Monica Bonvicini etwa, die Bauleute zu Sexismus interviewte:
Auch dann geht es nicht direkt um die Elbphilharmonie, denn die à la
Hanne-Darboven seriell an die Wand gepinnten Fragebögen stammen von
ungenannten Baustellen in aller Welt. Eigenartig: So konkret die Schau sich
an der äußeren Form abarbeitet, so fern bleibt jede Kritik, so abwesend
auch jede allgemeinere Reflexion.
Dabei hätte man die Philharmonie durchaus in die weltweit grassierende
Sucht nach Alleinstellungsmerkmalen, nach Ikonen städtebaulicher Identität
einreihen können. Hätte eruieren können, inwiefern sie sich gleichen und ob
sich die Bewohner damit wirklich neu und anders fühlen.
Aber an solch unerfreulichen Themen zappt die Ausstellung lieber vorbei. Da
stellt man lieber einen Flügel von Liam Gillick auf, der selbsttätig
Strawinskys „Petruschka“ über eine ermordete Puppe spielt, und lässt
schwarze Asche draufrieseln. Nein, mit der Elbphilharmonie zu tun hat das
nichts, und extra für die Ausstellung gemacht ist es auch nicht. Aber der
Flügel ist ja – wie die Philharmonie – eine Hülle, die durch Musik zu
füllen sei. So steht es jedenfalls im Begleittext; ein bisschen für dumm
verkauft fühlt man sich da schon.
Bevor man die Ausstellung aber total frustriert verlässt, gibt es doch noch
was Feines: Das Kabinett mit Tomas Saracenos senegalesischer Seidenspinne.
Eigentlich sind es sogar zwei, die im straff (und artgerecht) getakteten
Schichtbetrieb abwechselnd in einer Dunkelkabine im Netz sitzen,
angestrahlt von einem Spot. Ihr anmutig geschwungenes Netz mit Rautenmuster
ähnelt auffallend der Deckenstruktur des großen Elbphilharmonie-Saals.
Schöne Vorstellung, eine Spinne hätte den gesponnen. Und als ob Saraceno
außerdem die Akustikprobleme der Elbphilharmonie erahnt hätte (was er nicht
tat, da das 2016 geschaffene Werk nicht für diese Schau entstand), setzt er
sogar eine interaktive Akustik hinein. Ein Spezialgerät übersetzt den vom
Besucher aufgewirbelten Staub in Schwingung, die per Fühler über das Netz
an die Spinne geht. Die darob – vielleicht – andere Formen spinnt. Die
Schwingungen der Spinne wiederum werden, in Töne übersetzt, in die Kabine
geleitet.
Soweit also eine angenehme, poetische Interaktion. Wenn man allerdings
bedenkt, dass die Spinne – deren Biss schmerzt, aber nicht tötet – völlig
frei da herumlungert, kann einem schon mulmig werden. Aber ruhig Blut: Die
Nephila senegalensis wandert nur nachts, und dann wären wir erstens nicht
da und zweitens übernachtet sie natürlich im Terrarium des
Deichtorhallenbüros einen Stock höher.
10 Mar 2017
## AUTOREN
Petra Schellen
## TAGS
Elbphilharmonie
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Kampnagel
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