# taz.de -- Ambivalente Elbphilharmonie: Der dunkle Weg zum hellen Glanz | |
> Bei allem Jubel darüber, dass die Elbphilharmonie endlich fertig ist: Die | |
> Vorgeschichte ist ein Paradebeispiel dafür, wie man's nicht macht. | |
Bild: Strahlend, als ob es die Depressionen der Bauzeit nie gegeben hätte | |
HAMBURG taz | Ende gut, alles gut? Es hätte ein so schönes Märchen werden | |
können. Wurde dann aber doch nur eine Durchschnittsklamotte, immerhin mit | |
einem schönen Schluss. Als Berg-und-Tal-Fahrt liest sich die Geschichte von | |
Hamburgs Elbphilharmonie, die nun nach zehnjähriger Bauzeit öffnet. Fast | |
800 Millionen Euro aus Steuern kostet sie, zehnmal so viel wie einst | |
versprochen. | |
Für handliche 77 Millionen Euro der öffentlichen Hand hatte Privatinvestor | |
und Architekt Alexander Gérard den Konzertsaal auf einen Kakaospeicher von | |
1963 in der Hafencity bauen wollen, querfinanziert durch Luxuswohnungen | |
nebst Hotel. Bauen sollten diesen „kommerziellen Mantel“ Privatinvestoren, | |
mit der Stadt als Bauherr, die – im Sinne der damals frenetisch gefeierten | |
Public-private-Partnership – günstige Kredite besorgen sollte. Die Stadt | |
trüge bloß das Risiko des Konzertsaals. | |
So war das gedacht. Dann begannen Terminchaos und Kostencrescendo, türmten | |
sich die Skandale. Vielleicht lag es daran, dass schon die Genese des | |
Projekts wenig demokratisch war. Dass es den Hamburgern so lange | |
schmackhaft gemacht wurde, bis alle vergessen hatten, dass es eigentlich | |
einer Ausschreibung bedurft hätte. | |
## Hamburg glaubte alles | |
Doch die Idee eines Konzertsaals, der die 1908 eröffnete Laeiszhalle | |
entlasten sollte, kam im rechten Moment auf: Hamburg hatte 2003 die | |
Bewerbung um die Olympischen Spiele 2012 verloren, und Bürgermeister Ole | |
von Beust (CDU) suchte neue Profilierungsfelder. Den in Rede stehenden | |
Kaispeicher A wollte er als braver Hanseat zwar lieber zum bürolastigen | |
„Media City Port“ machen. Aber nach der geplatzten IT-Blase war das passé. | |
Also griff von Beust den seit 2001 kursierenden Plan, sich ein Konzerthaus | |
zuzulegen, wieder auf. Das Konzept der Querfinanzierung gefiel ihm, und | |
wenn er etwas so Glamouröses billig haben könnte, wäre es doch wunderbar. | |
Das fand Hamburgs Senat auch. Kaufte Gérard aus den Verträgen heraus, | |
begrenzte den öffentlichen Anteil auf 77 Millionen Euro und akquirierte 40 | |
Millionen Euro Spenden. Berief 2006 den Wiener-Konzerthaus-Chef Christoph | |
Lieben-Seutter zum Intendanten. Schuf Fakten – und verkündete dann, dass | |
der öffentliche Anteil leider auf 114,3 Millionen Euro gestiegen sei. | |
Angeblich ein „Pauschalfestpreis“. | |
Hamburgs Bürgerschaft glaubte das – und noch weitere Unmöglichkeiten: dass | |
der Speicher die schwere Philharmonie problemlos tragen könne. Dass man die | |
Schweizer Weltklassearchitekten Herzog & de Meuron federleicht steuern | |
könne. Und dass der Baukonzern Hochtief mündliche Absprachen einhalten | |
werde wie im Mittelalter zu Zeiten der Hanse. | |
Es war eine Zeit der Träume, der öffentlich zelebrierten Vision. Eröffnet | |
werden sollte 2010, und es sollte ein „Haus für alle“ werden. Das predigten | |
Politiker und Intendant unaufhörlich, um vom Hochkulturimage wegzukommen. | |
Wobei sich der Intendant klugerweise stets als Konzert-, nicht als | |
Bauverantwortlicher definierte und so meist aus den Negativschlagzeilen | |
blieb. | |
Die kamen pünktlich. Denn natürlich musste der Untergrund nachgerüstet | |
werden, damit der Speicher das Konzerthaus trug. Und selbstredend reichte | |
Hochtief ab Baubeginn teure Projektänderungsmeldungen ein. Woran das lag? | |
Daran, dass Hochtief den Konkurrenten Strabag nur deshalb unterboten hatte, | |
weil mit genau jenen Nachforderungen kalkuliert worden war. Strabag dagegen | |
hatte sich angesichts unfertiger Baupläne geweigert, einen Fixpreis zu | |
nennen, und 100 Millionen Euro Risikozuschlag gefordert. Übrigens zu Recht, | |
wie später herauskam. Selbst die Architekten hatten vor einer übereilten | |
Auftragsvergabe gewarnt. Sie sahen es kommen. | |
Aber Ole von Beust sah vor allem die nächsten Hamburger Wahlen kommen und | |
brauchte den Elbphilharmonie-Beschluss der Bürgerschaft. Und die hätte | |
vielleicht nicht zugestimmt, wären Kostenrisiken bekannt geworden. Also | |
wurde die Stadt 2006 hektisch mit Hochtief und den Architekten einig – in | |
einer branchenunüblichen, konfliktträchtigen Dreiecksvertragskonstruktion, | |
die keine Kontakte zwischen Architekten und Hochtief vorsah. | |
Die Architekten wurden also nicht Subunternehmer von Hochtief und damit zu | |
Terminkoordination, Kompromiss und Einhaltung von Budgets verpflichtet, sie | |
waren nur der Stadt verantwortlich. Die hatte unverbindliche Budgets ohne | |
Obergrenze vereinbart. | |
Das hatte Folgen: Die Architekten planten und veränderten, die städtische | |
Projektgesellschaft leitete die Pläne, kaum geprüft, an Hochtief weiter. | |
Der Konzern baute und stellte die Mehrkosten in Rechnung. Verschob die | |
Eröffnung immer wieder, soll gar mit Baustopp gedroht haben. | |
Hamburgs Senat, darob verängstigt, beschloss daraufhin 2008 den „Nachtrag | |
4“: 137 Millionen Euro mehr für Hochtief, davon 30 Millionen | |
„Einigungssumme“ ohne Gegenleistung. Damit stieg der Anteil der | |
öffentlichen Hand, die inzwischen, von der Öffentlichkeit unbemerkt, auch | |
den Bau von Parkhaus, Gastronomie und Hotel finanzierte, auf 495 Millionen | |
Euro. Neuer Eröffnungstermin: Frühjahr 2012. | |
## Die Stadt als zahnloser Tiger | |
Doch während von Beust gelassen blieb, maulte das Volk: Vom Millionengrab | |
zulasten anderer Kulturinstitutionen war die Rede. Das stimmte nicht, Bau | |
und Betrieb der Elbphilharmonie wurden nie aus dem Kulturhaushalt | |
finanziert, aber etwas blieb hängen. Um also zumindest die Verantwortlichen | |
zu präsentieren, setzte die Bürgerschaft 2010 einen parlamentarischen | |
Untersuchungsausschuss (PUA) ein, dem später ein zweiter folgte. | |
Außerdem verklagte die Stadt den Konzern auf einen verbindlichen Terminplan | |
und lenkte Volkes Zorn geschickt auf Hochtief. Dabei verhielt sich der | |
Konzern bloß wie ein hanseatischer Kaufmann: nutzte Vertragslücken, | |
Kompetenzdefizite und Imageängste der Stadt und holte pekuniär heraus, was | |
möglich war. | |
Zudem wurde erst spät bekannt, dass die Stadt einen guten Teil der | |
Mehrkosten selbst verursacht hatte und keineswegs das Haus baute, das | |
Gérard einst geplant hatte. Aus einem Konzertsaal wurden zwei, die | |
Wohnungen vermehrten sich, man wollte zusätzliche Räume im Sockel. Und | |
hatte Verständnis für Architektenwünsche nach feinsten Materialien, einer | |
exquisiten „Tube“, aufwendig gefertigten Fenstern und lustigen | |
Dachpailletten. Und wie um das Ablenkungsmanöver zu befördern, inszenierte | |
sich Hochtief im Oktober 2011 erneut als Bösewicht. | |
Weigerte sich „aus Sicherheitsgründen“, das Dach abzusenken, und legte den | |
Bau für anderthalb Jahre still. Ob es wirklich statische Probleme gab, ist | |
bis heute unklar; jedenfalls ließ der Konzern die Muskeln spielen. | |
Statusspielchen mit allerlei städtischen Ultimaten begannen, aber es war | |
der Kampf des zahnlosen Tigers: „Jetzt ist aber Schluss“, maulten der | |
inzwischen amtierende Erste Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) und | |
Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) regelmäßig – um dann tatenlos | |
zu bleiben. | |
## Das klang wunderbar, war es aber nicht | |
Erst im November 2012 senkte Hochtief das Dach. Kurz vor Weihnachten | |
folgte, was seither als Durchbruch kolportiert wird: An die Stelle des | |
Vertragsdreiecks trat ein einziger Vertrag – zwischen Stadt und Hochtief. | |
Der Konzern garantierte die Fertigstellung bis Juli 2016 und übernahm alle | |
Kostenrisiken. | |
Das klang wunderbar, war es aber nicht. Rund 200 Zusatzmillionen Euro ohne | |
Gegenleistung berappte die Stadt und verzichtete auf | |
Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe. Es war kein demokratisch | |
abgestimmter Beschluss, und das wusste Scholz, als er dem Volk die nunmehr | |
800 öffentlichen Millionen Euro beichtete. Doch Hochtief zu kündigen und in | |
Eigenregie fertig zu bauen sei ihm zu riskant gewesen. | |
Die Opposition schäumte kurz, fand aber kaum Gehör. Die Hamburger waren der | |
Sache müde. Abgenutzt der Running Gag „Elbphilharmonie goes BER“. Jetzt | |
sollte das Teil einfach nur fertig werden. | |
Tatsächlich ging seither alles gut. Und wie um sich selbst aus der | |
Depression zu ziehen, haben die Hamburger ihren Frieden mit der | |
Elbphilharmonie gemacht. Die Eröffnungssaison war rasant ausverkauft. Was | |
einen einst empörte, schloss man angesichts der Verlockung, mit in der | |
Aureole zu stehen, verdächtig schnell ins Herz. | |
Und vom Geld spricht keiner mehr. So war es auch gedacht. | |
9 Jan 2017 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
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