| # taz.de -- Interview mit der Titular-Organistin der Elbphilharmonie: „Viele … | |
| > Ohne die Wende von 1989 wäre Iveta Apkalna wohl nie Organistin geworden. | |
| > Nun will sie den Zuhörern in der Elbphilharmonie die Angst vor zu viel | |
| > Pathos nehmen | |
| Bild: Organistin der Elbphilharmonie: Für Iveta Akpalna sind Orgeln wie Freunde | |
| taz: Frau Apkalna, wie haben Sie Appetit auf die Orgel bekommen? | |
| Iveta Apkalna: Das erste Orgelkonzert meines Lebens habe ich mit 15 Jahren | |
| gehört, das war im Herbst 1990. Nach der Wende waren die Kirchen wieder | |
| offen, und es durfte auch wieder Orgelmusik gespielt werden. Ich hatte | |
| gerade mein Klavierstudium in meinem kleinen Heimatort in Lettland | |
| abgeschlossen und wollte in Riga Orgel studieren. Der Rigaer Orgelprofessor | |
| hatte mich während des Sommers auf das Studium vorbereitet, und an einem | |
| dieser Tage durfte ich nach meiner Orgelstunde ein Konzert im Rigaer Dom | |
| erleben. | |
| Wären Sie ohne die politische Wende von 1989 überhaupt Organistin geworden? | |
| Ich glaube nicht. Während der Sowjet-Besatzung konnte man Orgel nicht im | |
| Hauptfach studieren, denn Kirche und damit auch die Kirchenorgel waren im | |
| Sozialismus verboten. | |
| Und jetzt treten Sie beruflich in die Fußstapfen Ihres Großvaters und | |
| Urgroßvaters. | |
| Ja, auch sie waren Organisten. Das war noch vor der Sowjet-Besatzung, in | |
| der alten lettischen Zeit. Das habe ich erst nach der Wende erfahren. Meine | |
| Familie hat es mir vorher nichts gesagt, um mich zu schützen. Denn die Zeit | |
| der Sowjet-Okkupation war sehr schwer. Der Geheimdienst kontrollierte | |
| alles, und man durfte nicht über die Vergangenheit reden. Vor allem, wenn | |
| man nicht der Arbeiterklasse angehörte, sondern der Intelligenzija – so wie | |
| wir. Meine Großeltern und Eltern waren Lehrer und fürchteten immer, | |
| entlassen zu werden. | |
| Warum sind Sie nicht Pianistin geblieben? | |
| Ich liebe Klaviermusik, habe mit neun Jahren mein erstes Konzert für | |
| Klavier und Orchester gegeben und bin heute examinierte Solo-Pianistin. Das | |
| war eine exzellente Vorbereitung, um Organistin zu werden. | |
| Inwiefern? | |
| Weil ich durch das Klavierspielen technisch so versiert bin, dass ich auch | |
| schwierige Orgel-Partituren in kürzerer Zeit bewältigen kann. | |
| Warum bevorzugen Sie die Orgel? | |
| Beim Klavier hat mir der physische Aspekt gefehlt: dass der ganze Körper | |
| arbeitet, auch Füße, Hüfte, Bauch, Rücken. Das habe ich von Anfang an | |
| genossen. Als kleines Mädchen habe ich getanzt und an Wettkämpfen | |
| teilgenommen. Ich wollte eigentlich Tänzerin werden. Daher auch meine Liebe | |
| zu Schuhen, die ich immer selbst entwerfe. Außerdem hat mich irgendwann der | |
| Klang der Orgel gepackt. | |
| Der Klang einer bestimmten Orgel? | |
| Die Orgel im Rigaer Dom ist und war meine erste große Konzertorgel. Aber | |
| das eigentlich Faszinierende ist, dass jede Orgel anders klingt. Orgeln | |
| unterschieden sich im Klang viel stärker als Klaviere. Und ich liebe es, | |
| wie Alice in Wonderland durch das Wunderland der Orgel zu gehen und jedes | |
| Mal ein anderes Instrument, einen anderen Freund zu treffen. | |
| Das kann auch ein Hindernis sein. Ein Geiger kennt sein Instrument. Sie | |
| hingegen nie. Sie besitzen es nicht einmal. | |
| Ob man das mag, ist eine Temperamentsfrage. Ich bin sehr extrovertiert und | |
| gehe gern auf Leute zu. Deshalb finde ich es nicht schwierig, viele | |
| verschiedene Orgeln als Freunde zu haben. Aber natürlich kann ich neidisch | |
| werden, wenn ein Geiger sein Instrument nimmt, sich kurz warm spielt und | |
| dann auf die Bühne geht. Ich brauche viel länger, um das Instrument | |
| vorzubereiten. | |
| Was ist denn da alles vorzubereiten? | |
| Ich muss alle Werke, die ich spielen werde, einregistrieren. Das heißt: | |
| überlegen, in welchem Takt und bei welcher Note welches Register – welche | |
| Klangfarbe – zu ziehen ist. Das notiere ich, um es mit dem Assistenten, der | |
| während des Konzerts die Register umschaltet, zu proben. Das dauert. Aber | |
| immer dieselbe Geige wäre mir zu langweilig. | |
| Ist die Orgel im Rigaer Dom besser als die der Elbphilharmonie? | |
| Das kann und soll man nicht vergleichen. Die beiden Orgeln sind auf jeden | |
| Fall sehr besondere Instrumente. | |
| Inwiefern? | |
| Die Orgel in Riga ist eine historische deutsch-romantische Orgel von 1884. | |
| Es ist ein Instrument, das die ganze Orgelwelt kennt. Jeder Organist will | |
| dort spielen. Denn der Klang dieses Instruments geht nicht – wie | |
| üblicherweise – über die Ohren in den Körper. Sondern die Vibrationen gehen | |
| direkt durch die Fußsohlen in den Organisten und auch in den Zuhörer | |
| hinein. Bei der Elbphilharmonie-Orgel ist es ähnlich, was für eine | |
| Konzertorgel sehr ungewöhnlich ist. Hinzu kommt, dass sich der Klang der | |
| Elbphilharmonie-Orgel sehr gleichmäßig verteilt. Man sitzt in einem | |
| Klangbad. | |
| Welches ist das Alleinstellungsmerkmal der Elbphilharmonie-Orgel? | |
| Vor allem die vier zusätzlichen, für besondere Klangeffekte zuständigen | |
| Register im Deckenreflektor – das Fernwerk. Zudem hat diese Orgel eine sehr | |
| große klangliche und dynamische Bandbreite, einen kräftigen und | |
| gleichzeitig warmen Klang. Deshalb werde ich viel Zeit brauchen, um alle | |
| Qualitäten dieser Orgel kennenzulernen und kann nur sagen: Die Werke, die | |
| ich bis jetzt gespielt habe, passen wunderbar. Aber ich habe noch keine | |
| französische Literatur hier gespielt, keine englische. Deshalb kann ich die | |
| Frage nach Stärken und Schwächen dieser Orgel noch nicht beantworten. Im | |
| Moment glaube ich, sie kann alles. | |
| Was machen Sie überhaupt als Titular-Organistin der Elbphilharmonie? | |
| Grundsätzlich ist ein Titular ein Ehrenamt; jemand, der die Orgel pflegt | |
| und profiliert. Aber letztlich muss ich selbst definieren, wie ich diese | |
| Rolle ausfüllen will. Einfach da zu sein, reicht mir nicht. Ich bin | |
| diejenige, die der Orgel ein Gesicht gibt. Sodass darüber gesprochen wird, | |
| und zwar nicht nur in der Orgelszene, sondern in der ganzen Musikwelt. Vor | |
| allem will ich, dass die Leute, die bisher nichts mit Orgelmusik zu tun | |
| hatten, Orgelfreunde werden. Das braucht aber seine Zeit, denn viele | |
| fürchten sich vor der Orgel. | |
| Weil sie die Orgel mit Pathos und Kirche verbinden? | |
| Ja. Und da birgt die Konzertorgel natürlich Chancen. Im Konzertsaal bleiben | |
| zwar auch Fragen wie: Was ziehe ich an, wann applaudiere ich? Aber die | |
| Hemmschwelle ist niedriger als bei einem Kirchenkonzert. In der | |
| Elbphilharmonie kann sich die Orgel dann auch ohne den sakralen Ballast | |
| präsentieren. Und ich werde herauslocken, was sie kann. Das ist mir | |
| wichtiger als verrückte Ideen oder Crossovers. | |
| 27 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Petra Schellen | |
| ## TAGS | |
| Elbphilharmonie | |
| Orgel | |
| Klassische Musik | |
| Kirchenmusik | |
| Konzert | |
| Elbphilharmonie | |
| Elbphilharmonie | |
| Elbphilharmonie | |
| taz.gazete | |
| Elbphilharmonie | |
| Elbphilharmonie | |
| Elbphilharmonie | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Bremer Experte über Schnitger-Orgeln: „Sie funktionieren auch bei Null Akust… | |
| Der Bremer Organist Harald Vogel über das Besondere an den Orgeln Arp | |
| Schnitgers. | |
| So war's bei der Elphi-Eröffnung: Der Musen-Tempel ist geweiht | |
| Bei der Eröffnung der beiden Konzertsäle an der Elbe kamen die Erfinder des | |
| Projekts zu kurz: Sie wurden mit keinem Wort erwähnt. Und die Akustik | |
| braucht Nachhilfe. | |
| Ambivalente Elbphilharmonie: Der dunkle Weg zum hellen Glanz | |
| Bei allem Jubel darüber, dass die Elbphilharmonie endlich fertig ist: Die | |
| Vorgeschichte ist ein Paradebeispiel dafür, wie man's nicht macht. | |
| Konzert zur Elbphilharmonie-Eröffnung: „40 Jahre Schuldgefühle“ | |
| Georg Friedrich Haas, Nazitäter-Kind und Sadomasochist, hat zur Eröffnung | |
| des kleinen Saals das Stück „Release“ geschrieben. | |
| Häppchenweise Eröffnung der Elbphilharmonie: Kein Haus für alle | |
| Kaum war die Plaza der Elbphilharmonie freigegeben worden, begann der Run. | |
| Warum die Wut über Bauzeit und Kosten so schnell wich, bleibt rätselhaft | |
| Kultur und Personal und so: Ein Stuhl bleibt leer | |
| Die Nachfolge für die verstorbene Kultursenatorin Kisseler hat Olaf Scholz | |
| (SPD) noch nicht geregelt. Dann muss der Bürgermeister bei der | |
| Elphi-Eröffnung wohl selbst ran. | |
| Der Elbphilharmonie-Skandal war gestern: Ein großes Buch über die Liebe | |
| Der Hamburger Journalist Joachim Mischke hat zur Teil-Eröffnung einen | |
| fröhlich begeisterten Elbphilharmonie-Bild-Textband gemacht. | |
| Elbphilharmonie-Eloge wider Willen: Betörend schön | |
| Auch wenn man weiß, wie langwierig und teuer das alles war: Der Ästhetik | |
| des edlen Elbphilharmonie-Saals kann sich auch der Nörgel-Journalist nicht | |
| entziehen. | |
| Konkurrenz der Konzerthäuser: Elbphilharmonie: Kannibalin oder Lok | |
| Der große Saal der Elbphilharmonie ist fertig. Doch deren Saalmiete | |
| könnte Hamburgs Orchester mittelfristig zum Rückzug in die gute alte | |
| Laeiszhalle nötigen |